In die Fußstapfen der EU-Gesundheitsbehörde und dem Wunsch von Bundesminister Karl Lauterbach folgend, hat die Stiko eine zweite Corona-Auffrischungs-Impfung ab 60 Jahren empfohlen. Für Jüngere liefert der Zweitbooster noch keine ausreichenden Vorteile.
Die Corona-Sommerwelle hatte Anfang August ihren Gipfelpunkt überschritten. Das hatte sich in rückläufigen Sieben-Tage-Inzidenzen und einem Sinken der Zahl der Patienten auf Intensivstationen und in Arztpraxen bemerkbar gemacht. Etwa gleichzeitig hatte die Bundesregierung ihre Pläne für ihre neuen Corona-Schutzmaßnahmen vorgelegt, die ab 1. Oktober in Kraft treten sollen. Dabei hatte vor allem die Entscheidung für eine Maskenpflicht für gehörige Diskussionen gesorgt. Den Bundesländern wurde dabei nämlich ein großer Spielraum eingeräumt und es wurde bundesweit lediglich ein verpflichtendes Tragen im Luft- und öffentlichen Personenfernverkehr sowie in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen vorgeschrieben. Dem Ermessen der Bundesländer war eine mögliche Einführung einer Maskenpflicht in Innenräumen anheimgestellt worden. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte auf die von vielen Bundesländern sogleich wegen der Kontroll-Problematik heftig kritisierte Möglichkeit hingewiesen, dass es dabei beispielsweise bei einem Restaurantbesuch zu Ausnahmen für frisch Geimpfte oder Getestete sowie gerade Genesene kommen könnte. Für frisch Geimpfte könne aus Studien der Schluss gezogen werden, dass sie drei Monate lang vor einer Ansteckung geschützt seien. Je nach Entwicklung des Infektionsgeschehens sollen die Länder zudem Obergrenzen für die Anzahl der Menschen in Innenräumen erlassen können.
Impfstoff gegen BA.5 ist noch in Arbeit
Da das RKI wie auch der Bundesgesundheitsminister in den letzten Monaten immer wieder auf die große Wichtigkeit der Impfung im Kampf gegen Corona hingewiesen hatten, wurde die Mitte August lancierte Ankündigung Lauterbachs, dass ab Ende September mit der Auslieferung eines neuen, speziell auf die BA.1-Omikron-Variante angepassten Vakzins von Biontechh zu rechnen sei, hierzulande mit großer Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen. Auch wenn dabei zu bedenken ist, dass diese Virus-Variante in Deutschland gar nicht mehr dominant ist, sondern durch die Variante BA.5 abgelöst wurde. Deshalb sind Biontech sowie Moderna schon mit der Entwicklung eines Impfstoffs gegen BA.5 beschäftigt und Biontech hatte den Start einer ersten klinischen Studie bereits für den August angekündigt.
Es könnte allerdings durchaus Sinn machen, wenn Deutschland ähnlich wie von den USA geplant auf den Einsatz des BA.1-Vakzins verzichten und mit leichter zeitlicher Verzögerung auf die Bereitstellung eines Impfstoffs gegen die BA.5-Variante warten würden. Allerdings hat die Bundesregierung schon Millionen von BA.1-Impfdosen bei Biontech fest für den deutschen Markt geordert, während die US-Regierung cleverer Weise mit Biontech und Moderna nur einen Vertrag mit der festen Zusage eines beschleunigten Zulassungsverfahrens über die Lieferung von BA.5-Impfdosen für den Herbst vereinbart hatte. Laut Lauterbach hat die Bundesregierung bei Biontech beide neuen Impfstoffe „in auskömmlicher Menge" bestellt, wobei auch die EU-Arzneimittelbehörde Ema zunächst eine Zulassung des BA.1-Vakzins beabsichtigt und sich erst danach im Laufe des Herbstes mit dem Zulassungsverfahren für den Impfstoff gegen BA.5 beschäftigen möchte.
Es wird also auf jeden Fall neue, auf die Omikron-Varianten abzielende Impfstoffe geben. Was zwangsläufig die seit Monaten viel diskutierte Frage aufwirft, für wen sie geeignet sind, speziell was Auffrischungs-Impfungen nach der Grundimmunisierung (Stand 16. August 2022: 63,4 Millionen Bundesbürger oder 76,3 Prozent der Bevölkerung) oder der ersten Booster-Impfung (Stand 16. August 2022: 51,5 Millionen Bundesbürger oder 61,9 Prozent der Bevölkerung) betrifft. Wobei sich Stand 16. August 2022 immerhin schon 7 Millionen Deutsche (8,4 Prozent der Bevölkerung) ein zweites Mal hatten boostern lassen, also eine zweite Auffrischungs-Impfung erhalten hatten. Über deren Nutzen herrscht derzeit reichlich Verwirrung. Die Stiko, also die Ständige Impfkommission, hatte im vergangenen Februar im Blick auf das Infektionsgeschehen und dem Aufkommen der ersten Omikron-Infektionswelle eine zweite Auffrischungs-Impfung für besonders gefährdete beziehungsweise exponierte Personengruppen empfohlen. Dabei hatte es sich in der Regel um die vierte Impfung gehandelt. Die Stiko hatte vor allem Menschen über 70 Jahre, Menschen mit Immunschwäche ab fünf Jahren, Bewohner und Betreute in Pflegeeinrichtungen (die allesamt den zweiten Booster frühestens drei Monate nach der ersten Auffrischungs-Impfung erhalten sollten) sowie Beschäftigte im medizinischen Bereich und in Pflegeeinrichtungen (Zweitbooster frühestens sechs Monate nach dem Erstbooster) im Blick.
Eine vierte Impfung wurde also nur besonderen Risikogruppen nahegelegt, weil sich Anfang 2022 ein erheblicher Anstieg schwerer Erkrankungen bei den über 70-Jährigen abgezeichnet hatte. Angesichts der unerwartet starken Corona-Sommerwelle hatte Gesundheitsminister Karl Lauterbach auch gesunden jüngeren Menschen die zweite Booster-Impfung angeraten: „Wenn jemand den Sommer genießen will und kein Risiko eingehen will zu erkranken, dann würde ich, in Absprache natürlich mit dem Hausarzt, auch Jüngeren die Impfung empfehlen." Ins gleiche Horn sollten Anfang Juli die EU-Gesundheitsbehörde ECDC und die EU-Arzneimittelbehörde Ema blasen, die in Person der EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides eine zweite Auffrischungs-Impfung für alle über 60 und gesundheitlich besonders gefährdete Personengruppen empfohlen hatten. Grund war der durch den Vormarsch der Variante BA.5 verursachte rapide Anstieg der Infektionszahlen und Krankenhauseinweisungen. Damit wurde die bis dahin geltende EU-Empfehlung einer vierten Impfung für über 80-Jährige deutlich ausgeweitet. Der Booster sollte allerdings frühestens vier Monate nach der letzten Impfung verabreicht werden dürfen.
Sechs Monate nach der letzten Impfung
Die Gesundheitsbehörden in Australien und den USA waren im Vergleich zu Europa sogar noch einen Schritt weitergegangen und hatten die zweite Booster-Impfung schon für Personen ab 50 Jahren empfohlen. Schwer zu sagen, welche Altersgrenze richtig sein dürfte. Auf jeden Fall scheint festzustehen, dass eine vierte Impfung für ältere Menschen den Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf oder im schlimmsten Fall sogar einem Tod infolge von Covid-19 deutlich erhöhen kann. Die Ständige Impfkommission hat diesem Tatbestand offenbar Rechnung getragen und laut einem Mitte August in den hiesigen Medien kolportierten Empfehlungs-Entwurf die zweite Booster-Impfung auf den Personenkreis ab 60 Jahren erweitert. Mit der Einschränkung, dass der erste Booster oder die letzte Corona-Impfung mindestens sechs Monate zurückliegen müssen, wovon nur „in begründeten Einzelfällen" abgewichen werden und die Impfung dann schon nach vier Monaten erfolgen dürfe. Zusätzlich rät die Stiko „Personen im Alter ab fünf Jahren mit erhöhtem Risiko für schwere Covid-19-Verläufe infolge einer Grunderkrankung" – etwa: Diabetes, Immundefizienz oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen – zur zweiten Auffrischungs-Impfung.
Bundesgesundheitsminister Lauterbach zeigte sich über die Stiko-Entscheidung hocherfreut, was sein Twitter-Feed belegt: „Dank an die #Stiko dass jetzt die Empfehlung 4. Impfung für die Ü60 Gruppe kommt". Lauterbach forderte denn auch gleich die angesprochene Zielgruppe auf, sich möglichst schnell Impfen zu lassen und nicht erst auf den angepassten Omikron-Impfstoff zu warten: „Jetzt ist das Risiko schon da. Vorhandene Impfstoffe schützen vor schwerem Verlauf." Sehr zufrieden mit der Empfehlung der Ständigen Impfkommission zeigte sich auch Dr. Andreas Gassen, der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der zudem auf den Sachverhalt aufmerksam machte, dass laut der Stiko der Nutzen einer vierten Impfung für Jüngere „nach derzeitigem Kenntnisstand" zur Erhöhung der Immunisierung „nicht nennenswert" sein soll: „Es ist zu begrüßen, dass die Stiko wissenschaftlich gut begründet die Indikation für eine zweite Auffrischung auf Personen ab 60 Jahren sowie auf solche mit einem erhöhten Risiko für schwere Covid-19-Verläufe erweitert." Gleichzeitig gebe es aber auch die klare Aussage, „nämlich dass immungesunde Menschen, die jünger als 60 sind, von einem zweiten Booster nicht profitieren und dieser deshalb auch nicht pauschal empfohlen wird."
Gesunde Jüngere profitieren nicht wirklich
Auch bekannte deutsche Wissenschaftler wie Professor Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, oder Professor Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie gehen von nur einem geringen Vorteil einer zweiten Booster-Impfung für unter 60-Jährige aus, weil aus ihrer Sicht für diese Personengruppe die drei Corona-Impfungen ausreichend sind, um ein stabiles immunologisches Gedächtnis aufzubauen, und weil auch eine vierte Impfung keine absolute Garantie für einen langanhaltenden Schutz vor einer Infektion bieten könne. Fundierte Forschungsbelege für die These, dass Jüngere kaum von einem zweiten Booster profitieren können, gibt es allerdings so gut wie keine. Das bemängelte jüngst auch ein Beitrag des ARD-Wissensmagazins „Quarks": „Es gibt generell bislang nur wenige Studien, bei denen der Effekt der vierten Impfung gezielt nur bei Jüngeren untersucht wurde." Fast immer wird eine israelische Studie mit vergleichsweise wenigen Probanden aus dem Gesundheitswesen zitiert, die für junge und gesunde Erwachsene einen nur „geringfügigen Nutzen" nach Verabreichung einer vierten Dosis eines mRNA-Impfstoffs von Biontech oder Moderna belegen konnte. Zwar habe sich dabei die Zahl der neutralisierenden Antikörper erhöht, die ein Eindringen des Corona-Virus in die Zellen verhindern könnten. Allerdings seien die Werte nach der vierten Dosis denen nach der dritten Impfung sehr ähnlich gewesen. Die Probanden mit einer vierten Biontech-Dosis hatten lediglich ein um 30 Prozent geringeres Infektionsrisiko als Dreifach-Geimpfte, bei der Viert-Impfung mit Moderna gab es sogar nur ein um 18 Prozent geringeres Infektionsrisiko.
Dreifach-Impfung ist meist genug
Laut RKI gilt jeder und jede Deutsche, der dreifach geimpft und nicht zu einer der gefährdeten Gruppen gehört, in der Regel als sehr gut vor Covid-19 geschützt. Die Dreifach-Impfung hat laut RKI aufgrund ihrer „hohen Schutzwirkung vor einem schweren Verlauf" auch bei Erkrankungen durch die Omikron-Variante nicht an Bedeutung verloren, zudem gebe es in der jüngeren Altersgruppe vergleichsweise wenige Hospitalisierungen. Das allein dürfte schon Grund genug sein, jüngeren Menschen keine vierte Impfung generell zu empfehlen. Allerdings hatte Bundesgesundheitsminister Lauterbach vor einigen Wochen schon mal das Argument ins Spiel gebracht, dass eine vierte Impfung das Long-Covid-Risiko möglicherweise reduzieren könne. Etwas vorsichtiger äußerte sich diesbezüglich das RKI, aber es sei nicht auszuschließen, dass ein Zweitbooster die Häufigkeit und Ausprägung von Long-Covid-Symptomen nach einer Durchbruch-Infektion abmildern könne – was aber erst noch durch aussagekräftige Studien belegt werden müsse. Jüngere, dreifach-geimpfte Menschen mit gesundem Immunsystem müssen keineswegs in Booster-Hektik verfallen. Sie können auf jeden Fall mit einer vierten Impfung bis zur Auslieferung des neuen BA.5-Impfstoffs warten, der aller Wahrscheinlichkeit nach dann auch noch den Älteren und Risikogruppen als fünfte Impfung empfohlen werden wird.