Manuela Warda zog 2019 auf Hallig Hooge mitten in der Nordsee und ist dort zurzeit die einzige Lehrerin. Die 47-Jährige unterrichtet 13 Schüler aus neun Jahrgangsstufen. Der Start war kein Zuckerschlecken.
Ein Leben im Takt der Tide: mit tosender See und wilder Romantik, mit dunklen Wintern und langen Sommertagen: Das ist Hooge, die zweitgrößte Hallig im nordfriesischen Wattenmeer. „Wer hier lebt, der muss vor allem sich selbst aushalten können", sagt Manuela Warda, die weiß, wovon sie spricht. 2019 wagte sie den großen Schritt und zog mit Sack und Pack nach Hooge mitten auf die Nordsee. Hier ist sie für 13 Warften die einzige Lehrerin! Zwischen Stellenausschreibung und Umzug lagen gerade einmal ein paar Wochen, wie sie im Interview erklärt. Ihre Klasse bilden 13 Kinder und Jugendliche aus neun Jahrgängen. An normalen Unterricht sei da nicht zu denken.
„Für mich war es aber der perfekte Zeitpunkt, in meinem Leben nochmal was zu verändern. Ich bin glücklich, dass ich diesen Schritt gewagt habe." Doch der Start auf der Hooger Ockelützwarft sei kein Zuckerschlecken gewesen. Denn Unterricht auf einer Hallig erfordere ganz andere Kompetenzen als auf dem Festland, wie sie sagt. Vor allem aber ist Manuela Warda meist ganz auf sich allein gestellt. „Was hier wirklich fehlt, sind Austausch und Teamarbeit. Ich trage allein die Verantwortung für sämtliche Bereiche, muss in organisatorischen und pädagogischen Angelegenheiten auf meine eigenen Erfahrungen vertrauen", so die gebürtige Oldenburgerin, die sich über diesen Umstand jedoch nicht beschweren will. Auch Wetter und Fährplan machten es schwierig, Hilfe von außen in Anspruch zu nehmen. „Das fordert mich schon sehr, da ich auch in Gebieten gute Arbeit leisten muss, in denen ich bislang noch gar nicht tätig war. Mit dieser Unsicherheit umzugehen und sich auf so vielen unterschiedlichen Ebenen schlau zu machen, ist sehr anstrengend."
Freunde und Familie sind weit weg
Nicht nur ihre Schulkinder, auch die eigene Tochter brauchte anfangs besondere Zuwendung, um Veränderungen im neuen Lebensumfeld zu verkraften. Freunde und Familie waren weit weg. Dazu kamen lange Winter mit Stille und Einsamkeit, so Manuela Warda. „Da brauchte es schon einen starken Willen. Hier muss man sich beschäftigen können." Die Hallig könne auch Grenzen aufzeigen – im doppelten Wortsinn: „Hier kann man nicht einfach weg, das muss man immer im Hinterkopf behalten. Gelassenheit ist wohl eine der wichtigsten Eigenschaften auf einem Eiland, das von der Tide abhängig ist", sagt die Norddeutsche.
Doch diese Herausforderung sei gleichzeitig Vorzug ihres neuen Hallig-Lebens. Denn Manuela Warda genießt es auch, mehr Zeit zu haben: „Die Sohlen meiner Schuhe sind nach stundenlangen Spaziergängen durchgelaufen, es liegt immer ein Buch auf dem Sofatisch und ich werde nicht müde, der Natur zuzusehen", schwärmt die 47-Jährige vom Inselleben.
Eine gewisse innere Ruhe sei jedoch unerlässlich, um im Takt der Gezeiten zu leben. „Das Gefühl der Einsamkeit und des Nicht-weg-könnens, das mir viele vor meinem Umzug hierher zu bedenken gaben, äußert sich bei mir selten. Vielmehr ist es das angenehme Gefühl der Weite und des Durchatmens, das ich spüre." Den „Kontinent", wie die Norddeutsche das Festland nennt, vermisse sie nicht. Ihr altes Leben habe sie vor allem als laut und schnell in Erinnerung: „Alles war immer verfügbar. Diesen Alltagsstress vermisse ich am wenigsten. Hier habe ich Zeit zum Lesen, zum Rezepte ausprobieren und Schreiben. Das genieße ich sehr."
Mal spontan essen zu gehen oder einem Straßenmusiker in der City zu lauschen, sei natürlich schön. Das alles habe durch ihr Hallig-Leben nun einen ganz anderen Stellenwert, erklärt die Mutter von drei Töchtern. Apropos Rezepte ausprobieren und essen: Für beides bleibe auf der Hallig ausreichend Zeit, wie Manuela Warda am Telefon erklärt. Hoch im Kurs stünden bei ihr Apfelkuchen auf Biskuitboden, Käsekuchen mit Baiser und viele Kekse.
„Während ich früher zu Backmischungen griff, rühre ich heute die Zutaten einzeln zusammen. Außerdem gibt es hier den frischesten Fisch, den man sich vorstellen kann. Direkt vom Kutter in meine Küche – ganz vornweg aber Krabben." Hin und wieder dürfe es auch eine kleine Scholle in Butter gebraten mit Zitrone und Dill sein, wie die Hobby-Köchin verrät. Ihr Frühstück falle vergleichsweise spartanisch aus: Es gibt aufgebackene Brötchen mit Belag und frisch gepresstem Orangensaft.
Dass die Pädagogin immer offen für Neues ist, merken ihre Gäste vom Festland auch an Manuela Wardas Herd. Beispiel „Porrenpann", das uralte Rezept der Einheimischen. Die friesische Krabbenpfanne „funktioniere" so: Zwei Esslöffel Butter schmelzen, zwei Esslöffel Mehl dazugeben und zur festen Masse verrühren. Danach das Ganze mit einem Schuss Weißwein verrühren, mit Milch aufgießen, glattrühren, aufkochen und den Topf vom Feuer nehmen. In diese Soße kommen noch 500 Gramm frisches Krabbenfleisch und ein Bund gehackte Petersilie. Kurz ziehen lassen, Kartoffeln dazu, fertig! Als Manuela Warda von ihrem ursprünglichen Krabben-Rezept – Spaghetti mit einer Krabben-Lachs-Sahne-Soße – berichtete, erntete sie bei den neuen Nachbarn nur ungläubige Blicke. Schickimicki-Sahnekram? Auf Hooge gibt’s „Porrenpann". Basta!
Über den Neuanfang ein Buch verfasst
Dann kommt die Hallig-Lehrerin noch mal auf ihre Schüler zu sprechen. Ein weiterer Unterschied im Umgang mit den Mädchen und Jungen auf dem Festland liege in Begegnungen außerhalb des Unterrichts. Als Lehrerin habe sie auf Hooge auch Anteil an deren Freizeitbeschäftigung. Sie treffe die Kinder unter anderem beim Muscheln tauschen oder Fußball spielen. „Manchmal spiele ich mit. Dadurch ist es sehr familiär", lächelt die Pädagogin, die ursprünglich mal Schauwerbegestalterin lernte und später ein Lehramtsstudium aufnahm. Seit 2005 unterrichtete sie an verschiedenen Grund- und Gesamtschulen in Niedersachsen. Manuela Wardas letzte Schule auf dem Festland wurde mittlerweile geschlossen. Ihr turbulenter Neuanfang auf Hallig Hooge inspirierte sie zu ihrem lesenswerten Buch „Den Wind im Haar, das Meer im Blick" (Eden Books), das kürzlich erschien. Es ist eine Liebeserklärung an ihre neue Heimat, wie in der Lektüre nachzulesen ist: „Hallig war Gelassenheit. Dinge hinnehmen, die ich nicht ändern konnte, ohne Groll, ohne Wehmut und ohne Angst. Ich bekam zwei Wochen lang keine Post, weil der Postbote krank war. Okay, dann warte ich es halt ab. Ich bekam im Laden kein Brot mehr, weil es ausverkauft war. Na gut, dann backte ich heute mal selbst. Diese Woche fuhr keine Fähre mehr wegen Sturm? Tja, dann machte ich es mir zu Hause gemütlich. Eine Pandemie kam auf mich zu? Na dann passen wir mal gut auf uns auf."
Auch eine zarte Liebelei, aus der im ersten Anlauf nichts wird, erwähnt Manuela Warda in ihrem Werk. Halligleben kann offenbar nicht jeder – der Angebetete sucht vorerst das Weite. Wie die teils ausführlichen Natur- und Landschaftsbeschreibungen zelebriert die Autorin auch eine Abschiedsszene: „Er hastete auf die Fähre in sein hastiges Festlandleben, und ich winkte." Den kompletten Abschied gibt’s im Buch.
Manuela Warda steckt es weg, konzentriert sich auf den Unterricht und genießt Stunden später schon wieder Hallig Hooge. „Majestätische Schwäne, kecke Stockenten, Graugänse, Ringelgänse, freche Möwen, erhabene Nonnengänse und viele kleinere gefiederte Geschöpfe tummelten sich im und am Wasser", ist im Buch zu lesen. Die Lehrerin schwärmt vom Sommerdeich, auf dem sie oft Richtung Westerwarft unterwegs ist und von der Abendsonne, die sich über Amrum, nordwestlich gelegen, dem Horizont entgegenneigt: „Ein Farbenrausch, der sich auf meine Haut legte. Der Wind, der mir durchs Haar strich. Ich atmete tief ein und blickte aufs Meer. Hier auf Hooge war alles ganz echt und ursprünglich. Die Hallig brachte in jedem das Innerste zum Vorschein. Man fand keine Zerstreuung auf diesem Eiland, keine Ablenkung. Man fand nur eins – sich selbst."
„Den Wind im Haar, das Meer im Blick" dürfte für alle, die sich nach Entschleunigung sehnen und in das besondere Halliggefühl eintauchen wollen, die richtige Lektüre sein. Auch wenn die Autorin zum Schluss etwas überraschend erklärt, dass sie sich einige Episoden und Personen – wie in einem Roman – ausgedacht hat. Dennoch schrieb Manuela Warda ein Buch, das ermutigt, sich auf die großen und kleinen Abenteuer des Lebens einzulassen. Und das Rezept für „Porrenpann" steht auch noch drin!