Sie beendet ihre Ära auf ihre Art – mit einem selbst gemixten Aperitif in einem Modemagazin: Superstar Serena Williams. Die Spielerin mit den meisten Grand-Slam-Titeln in der Ära des modernen Profi-Tennis, wird wohl bei den US Open (29. August bis 11. September) tatsächlich von der großen Bühne abtreten. Emotionsbetont und elegant.
Es war im Big Apple, bei den US Open kurz vor der Jahrtausendwende, als die 17-jährige Serena strahlend die Trophäe der Siegerin hochreckte und ihren ersten von 23 Grand-Slam-Titeln in seither 23 Jahren als Profi feierte. „Meine Güte habe ich Freude am Tennis. Aber jetzt hat der Countdown begonnen", textete die Amerikanerin auf ihrem Instagram-Account wenige Wochen vor ihren voraussichtlich letzten US Open. Daneben ein Bild, das sie auf dem Cover der September-Ausgabe der „Vogue" zeigt. Tochter Olympia trägt darauf die Schleppe eines Aquablau schimmernden Gewandes, in dem Serena in glamouröse oder gar spirituelle Sphären zu entgleiten scheint.
Ein stylisher Abgang und so ganz Williams, die mit ihrer Superkraft und starkem Willen stets ihren eigenen Weg zum Erfolg ging, der einst beim Training mit Schwester Venus in einem Park im kalifornischen Compton begann und den sie nicht nur beim Design ihrer Court-Outfits selbstbewusst selbst gestaltete. Ihr Trophäen-Rucksack ist schwer: Vier Goldmedaillen von vier Olympia-Teilnahmen, 73 Titel im Einzel, 23 im Doppel und zwei im gemischten Doppel, zweimal alle vier Grand-Slam-Titel in Folge gewonnen, fast 100 Millionen Dollar an Preisgeldern sowie die Botschaft, dass sich jede und jeder gegen alle Barrieren und Vorurteile durchsetzen kann, wenn sie an sich und ihre Talente glaubt, wenn sie ihre Chancen nutzt. „Wenn Serena sich vom Tennis zurückzieht, wird sie als die größte Spielerin des Sports gehen", urteilte Billie Jean King, selbst Inspiration für viele weibliche Champs.
In New York noch einmal – ein siebtes Mal – zu siegen, das wäre die Krönung dieser Superstar-Genese. Die kleinen Scharten auswetzen, die Auseinandersetzungen mit den Schiedsrichtern 2009 und 2018 in der Legende der Größten aller Zeiten des Profisports hinterließen. Den 24. Grand-Slam-Titel holen, um selbst die Australierin Margaret Court zu schlagen, die sich vor der offenen Ära leichter beim Trophäen-Sammeln als Serena dieser Tage tat. Dieser 24. Grand-Slam-Titel ist ein Traum, den sich die fast 41-Jährige in den fünf Jahren seit der Geburt ihrer Tochter so gern noch erfüllt hätte.
Das Tüpfelchen auf dem I einer Karriere, die das Frauentennis in eine neue Ära transportierte. Power und Prominenz, Durchsetzungskraft und Durchhalten, Gewinnen und Gewinne, auch neben den Courts: All das brachte Serena Williams seit sie ein Teenager war, vorbildlich als Kombi-Paket ins Spiel der Profi-Frauen ein und veränderte damit die Außenwahrnehmung dieses Sports komplett.
„Licht am Ende des Tunnels"
Serena, die Kämpferin. Manchmal schien sie nach über 20 Jahren auf der Tour die Schritte vom Pausenstuhl zurück zur Grundlinie kaum zu schaffen, um dann doch wieder in einem Gewaltakt ihre Gegnerin zu überrennen. Ungleich schmerzhafter als manch mühsames Fighten und Trainieren scheint sich für Williams der Schlussstrich unter ihr Leben als Tennisstar anzufühlen. Immer wieder wurde in den vergangenen Jahren über ihren sportlichen Abschied spekuliert. Noch und noch hatte Serena eine Rückkehr aus langen Pausen probiert. Nach ihrem tränenreichen Abgang 2021 mit einem Kniesehnen-Riss aus der Wimbledon-Kulisse, versuchte sie ihr Comeback am selben Ort ein Jahr danach. Drei Stunden kämpfte die 40-Jährige dort vor den Augen ihrer königlichen Fans in diesem Juni wacker, aber ohne Konstanz, und unterlag der Französin Harmony Tan am Ende doch.
In der Weltrangliste wurde die Frau, die insgesamt 319 Wochen Nummer eins der Welt war (Steffi Graf: 377 Wochen), schon länger nicht mehr geführt. Das lag auch an zu viel Konzentration auf Grand Slams, an mangelnder Präsenz, an lediglich einem Turniersieg (2020 in Neuseeland) seit 2017. Zwischen 2013 und 2016 hatte Williams sagenhafte 186 Wochen lang die Position einer Nummer eins der WTA-Tennisrangliste nicht freigegeben. Doch zuletzt verbuchte Williams 14 Monate kein gewonnenes Match bis zu einem Befreiungssieg in Toronto gegen die Spanierin Nuria Parrizas-Diaz. „Ein Licht am Ende des Tunnels", zeigte sich die leidenschaftliche Gewinnerin nach dieser ersten Runde euphorisiert.
Sie inszenierte ein sehr allmähliches goodbye. „Ich bin schrecklich im Verabschieden", sagte Williams, nachdem ihr Olympiasiegerin Belinda Bencic anschließend den Einzug ins Achtelfinale in Kanada weggeschnappt hatte: „Auf Wiedersehen, Toronto". – Vielleicht, irgendwann. Jetzt führte kein „Come on", kein Selbst-Pushen, kein Weg mehr an einer klaren Entscheidung vorbei: Zwischen Tennis und einer weiteren Tochter – kein Sohn, wenn es nach Tochter Olympia geht.
Rund um ihren Rücktritts-Aperitif nutzte Williams die Aufmerksamkeit um ihre Person, um in den sozialen Medien über ihre Investments in mentale Gesundheit oder ähnliches Engagement zu plaudern. Fortsetzung folgt. Film-Produzentin, Risiko-Kapitalgeberin für innovative Unternehmungen, des Öfteren technologisch verortet und von Frauen geführt: Immer wieder schlägt Serena mit etwas Neuem auf. Einfach nur Mutter sein, das wäre nichts für die Befreierin aus vorurteilsbeladenen Lebensumständen.
Der Nachwuchs giert nach Titeln
Die dominanteste Spielerin der vergangenen zwei Jahrzehnte will auch nicht von Ruhestand sprechen, sondern von Weiterentwicklung. Die betrifft allerdings nicht mehr ihr Dasein als Tennis-Queen. Obwohl junge Spielerinnen wie Iga Swiatek, die amtierende Nummer eins der Welt, Emma Raducanu, US-Open-Siegerin des Vorjahres, oder auch Leylah Fernandez, Finalistin von 2021, ihren Rückzug bedauern und sich gern ein erstes Match mit ihr gegönnt hätten. Wenige Chancen dazu bekam diese Generation, die erst geboren wurde, als die 23-malige Grand-Slam-Siegerin schon lange im Geschäft war. Serena schaute ja nur noch selten auf den Courts vorbei, auf denen sie einst mit Herzblut und grandioser Power kämpfte. Auf denen lief sie dann zur Bestform auf, wenn sie zu scheitern drohte. Wenn sie den Menschen immer von neuem beweisen wollte, dass sie, Williams, die Größte ist, in dem Sport, dem sie sich erstmals mit 18 Monaten angenähert haben will. Von der die 18-jährige Coco Gauff – gesetzt, als die neue Serena – jüngst in Toronto sagte, dass die 40-Jährige der Grund sei, warum sie heute Tennis spiele.
Serena benannte ihre persönliche Evolution als ihr Zukunftsszenario: Wenn sich eine Frau so betont nebulös aus dem Tenniszirkus verabschiedet, dann ist klar, dass sie bereits jetzt auf der Sonnenseite des Lebens angelangt ist. Dass lediglich kleine Attribute ihres neuen Seins noch zur Diskussion stehen. Egal, wie sich die Frage nach der Zukunft von Serena Williams gewandet: Die bald 41-Jährige hat Fakten geschaffen und auch ihrer Rücktrittsankündigung ihren ganz eigenen Look gegeben: In einem Essay für die September-Ausgabe des Modemagazins „Vogue" sinniert Serena gefühlvoll über den Wunsch, ihrer mittlerweile fünfjährigen Tochter eine große Schwester zu sein, und vieles mehr, was sie bewegt und –
trotz inneren Widerstrebens – zum Lebewohl bewogen habe. Olympia wurde 2017 geboren, ein paar Monate, nachdem Serena ihren 23. Grand-Slam-Titel bei den Australian Open erfochten hatte.
Ein zweites Mal schwanger Turniere spielen: Das will Serena keinesfalls: So viel ist aus ihren Äußerungen, ihren Erfahrungen und ihrem Verhalten schon lange klar. Sie scheint sich entschieden zu haben. Zu erzählen hat Williams ihren Kindern und Enkeln auch so schon eine Menge. Sicher auch von ihrem Abschied bei den US Open, von ihrer finalen Sentimental Journey zu einem ihrer heiß geliebten Grand Slams. Ob Serena bei ihrem wehmütigen Abschied von ihrem liebsten Spielplatz, der Grand-Slam-Bühne, auf den fußkranken Rafael Nadal treffen wird, ist offen. Der Spanier schätzt sie und ihre ihm ebenbürtige Spielweise ebenso sehr, wie Roger Federer, Novak Djokovic und Andy Murray. Keineswegs alle „Big Four" werden die „Big One" der letzten zwei Jahrzehnte als Teilnehmer bei ihrem letzten großen Auftritt begleiten. Novak Djokovic erlebt beim letzten Grand Slam des Jahres ein Déjà-vu zu den Australian Open im Januar: Sein Ausschluss droht wegen seiner anhaltenden Impfverweigerung.
Doch Carlos Alcaraz, Jannik Sinner und Wimbledon-Halbfinalist Nick Kyrgios stehen bereit für einen ersten Grand-Slam-Sieg in dieser Saison, in der die beiden erstgenannten Spieler (noch) bescheiden von sich weisen, in die Fußstapfen der großen Vier treten zu wollen. „Ich habe alles versucht, um es zu den US Open zu schaffen. Aber es war zu knapp", sagte indes Alexander Zverev, der nach seiner schweren Bänderverletzung wieder trainiert.
Kürzlich machte die deutsche Nummer eins öffentlich, dass er an Diabetes Typ I erkrankt ist. Als er vier Jahre alt war, wurde die Krankheit diagnostiziert. „Ich habe die Goldmedaille von Olympia, ich bin die Nummer zwei der Welt, habe zweimal die Weltmeisterschaft gewonnen und schon ein paar Erfolge hinter meinem Rücken", listete Zverev auf. Er will Kindern vorleben, dass man auch mit einer Erkrankung erfolgreich seine Träume verfolgen kann. Während der Matches kontrolliert der gebürtige Hamburger seinen Zuckerstand mit einem Gerät: „Manchmal gehe ich auf die Toilette und muss mich spritzen, manchmal muss ich die Gels nehmen. Ich habe das Glück, dass ich das Ganze im Griff habe."
Mit seiner Stiftung „Alexander Zverev Foundation – Aufschlag gegen Diabetes" will er künftig Betroffenen der Stoffwechselkrankheit in aller Welt helfen. Auch Menschen, denen das Geld für das lebensnotwendige Insulin fehlt.