Mit ihren figurbetonten Lingerie-Looks hat die gebürtige Albanerin Nensi Dojaka einen kometenhaften Aufstieg in der Fashion-Welt hingelegt. Sie gilt derzeit als angesagteste Marke in Großbritannien und hat zudem den renommierten LVMH-Preis für Jungdesigner gewonnen.
Dass bei der Londoner Fashion Week für die Sommersaison 2022 renommierte Marken wie Burberry oder Victoria Beckham durch Abwesenheit geglänzt hatten, hatte Newcomern und weniger bekannten Labels plötzlich die unerwartete Chance eröffnet, aus dem Schatten der Großen herauszutreten und ihre Kollektionen ins Licht der interessierten Öffentlichkeit zu rücken. Mehr als überraschend dann allerdings, dass sich so ziemlich alle glamourösen Instagram- oder Tik-Tok-Girls zum gleichen Event eingefunden hatten Und sich die begehrten Plätze in der Front Row bei der Show der 28-jährigen Nensi Dojaka mit den international wichtigsten Fashion-Insidern teilen mussten.
Es war zwar nicht der erste Auftritt der gebürtigen Albanerin auf der Londoner Modewoche. 2020 konnte sie bereits ihre Kollektionen an der Themse im Rahmen des junge Talente fördernden und von Lulu Kennedy geleiteten Fashion East-Projekts zeigen. Aber der September 2021 war für sie dennoch ein Karrieresprung, weil sie erstmals in London mit einer Solo-Show vertreten war. Das konnte kaum als Erklärung für den gewaltigen Auftrieb und das riesige Medieninteresse herhalten. Eher schon, dass Nensi Dojaka nur wenige Tage zuvor mit dem weltweit wohl bedeutendsten Designer-Nachwuchspreis ausgezeichnet worden war, dem LVMH-Award, der ihr in Paris durch Schauspielerin Isabelle Huppert überreicht worden war. Zudem war sie von der British Fashion Council’s Foundation zum bemerkenswertesten Aufsteiger-Talent gekürt worden. Ein von ihr entworfenes Kleines Schwarzes hatte es im Lyst-Index (das weltweit wichtigste Fashion-Suchportal) unter die Top Ten der beliebtesten Mode-Artikel des Jahres 2021 geschafft. Und auch die „Vogue" hatte eines ihrer hauchzart-freizügigen Lingerie-Kleider unter die 17 Must-Have-Items des Jahres 2021 eingereiht.
Hierzulande wurde von all dem kaum Kenntnis genommen. Einzig „Harper’s Bazaar" hatte der Jungdesignerin Mitte 2021 mal einen ausführlichen Beitrag gewidmet und vom „Trendlabel des Jahres" gesprochen, weil es Nensi Dojaka gelungen sei, „komplexe Weiblichkeit" in perfekter Umhüllung zu präsentieren: „Nensi Dojaka entwirft Kleider aus Seidenchiffon und Mesh, die sich mit Raffungen und Riemen collagenartig um den Körper drapieren. Strumpfhosen aus Tüll mit Schnürungen. Oder Bodys mit Layering- und Bra-Details. Schön, stark, verführerisch und doch geheimnisvoll." Was auch die Verantwortlichen des Luxus-Mode-Online-Stores Mytheresa von Anfang an überzeugt hatte: „Wir lieben die zarten Details und die 90er-Ästethik von Nensi Dojaka. Es ist modern und sexy aber gleichzeitig nicht allzu freizügig. Man zeigt etwas, aber nicht alles. Und es ist ziemlich empowering, weil es für den weiblichen Selbstausdruck gemacht ist und nicht für den männlichen Blick."
Bella Hadid macht das Label populär
Dojaka spielt gekonnt auf der Klaviatur des Enthüllens und Verbergens, womit sie den Beweis angetreten hat, dass Power Dressing nicht immer unbedingt prüde sein muss. „Die meisten Stoffe, mit denen Nensi Dojaka arbeitet", so „Harper’s Bazaar", „sind transparent, aber werden so übereinander geschichtet, dass sie den Körper an den richtigen Stellen trotzdem bedecken". Wodurch sich Nensi Dojaka mit ihren figurbetonten oder bodycon-geprägten Lingerie- beziehungsweise Boudoir-Looks ohne eigenes bewusstes Zutun zur Protagonistin eines der zentralen Fashion-Trends namens „Das neue Sexy" des Sommer 2022 gearbeitet hat. Weil ihrem Vorbild offenbar eine ganze Reihe von anderen Newcomern, aber auch etablierte Labels gefolgt sind – beispielsweise Supriya Lele, Ludovic de Saint Sernin, Coperni, Maximilian, Eckhaus Latta, Valentino, Versace, Saint Laurent oder Givenchy. „Es ist erst die Trägerin, die ein Kleid zum Leben erweckt", so Nensi Dojaka, „man darf sexy nicht mit einem sexualisierten Bild verwechseln."
Sogar für die auch in der Sommersaison 2022 wieder zu beobachtende Vorliebe vieler Labels für schnürende Details hat das deutsche Fashion-Portal modepilot.de Nensi Dojaka als Vorreiterin ausgemacht: „Begonnen hat die Wickelei mit der hervorragenden Abschlusskollektion von Designerin Nensi Dojaka am Central Saint Martins College Anfang 2019. Die Albanerin zeigte hauchdünne Minikleider mit asymmetrisch, aber logisch gesetzten dünnen Trägern. Die Bänder hingen hier und da von ihrer Unterwäsche-ähnlichen Kleidung, ohne dabei an Eleganz einzubüßen." Auch dem Kunstjournal „Monopol" war Dojakas Faible für feine Schnürungen aufgefallen, mit denen die transparenten Stofflagen aus hochwertigen, geschoppten Materialien, „die genau ausgelotet den Körper umspannen und ausgewählte Stellen bedecken oder entblößen", perfekt zusammengehalten werden können. „Ihre Kreationen formen den Körper visuell in eine neue, asymmetrische Silhouette, scheinen fragil, zierlich und gleichzeitig von kämpferischer Stärke, ausgeklügelt und bedacht erarbeitet."
Alles schön und gut. Nur hätte wohl kaum jemand so schnell Notiz von diesem neuen Label genommen, wenn nicht Megastar Bella Hadid die Newcomerin mit ihrem Look bei den MTV-/VMA-Awards im August 2020 über Nacht zur angesagtesten und hottesten Designerin der Insel gemacht hätte. Hadids Stylist Carlos Nazario hatte das Topmodel auf das neue Designer-Talent aufmerksam gemacht. Zu einer tief sitzenden schwarzen Hose aus Dojakas erster Kollektion trug Hadid einen atemberaubenden, hauchzarten und transparenten Bodysuit mit langen Ärmeln. Der darunter liegende Busen war von einem Schallplatten-Scheiben ähnelndem Mini-Bra notdürftigst verhüllt. Die Kombi weckte Erinnerungen an Tom Fords Lingerie-Pants-Mixtur für Gucci 1998. Innerhalb kürzester Zeit waren Hose und Bodysuit bei Dojakas frühestem Vertriebspartner Ssense mit Sitz im kanadischen Montreal ausverkauft. Dass sich wenig später auch die Gen-Z-Lieblinge Zendaya und Hailey Bieber in Haut zeigenden Dojaka-Klamotten präsentiert hatten, sollte einen weiteren Popularitätsschub für die Newcomerin zur Folge haben. Beinahe logisch, dass sich dann bald auch Stars wie Dua Lipa und Rita Ora, die beide ebenfalls albanische Wurzeln haben, als Dojaka-Fans geoutet hatten. Damit nicht genug, konnte Dojaka auch die Gunst von Kendall Jenner, Kaia Gerber oder Emily Ratajkowski gewinnen.
Zwischen Eleganz und Punk
Im zarten Alter von 16 Jahren hatte sich Nensi Dojaka von der albanischen Hauptstadt Tirana aus auf den Weg gen London gemacht, um dort ab 2013 zunächst am London College of Fashion zu studieren, wo sie sich vor allem mit der Lingerie-Technologie beschäftigt hatte. Nachdem sie ihren Bachelor in Lingerie-Design erworben und auch schon ihr eigenes Label gegründet hatte, schloss sie ab 2017 einen Master-Studiengang in Womenswear am renommierten Central Saint Martins College of Fashion an, inklusive Praxissemester bei Peter Pilotto und Fyodor Golan. Ihre Master-Abschlusskollektion war so überzeugend, dass Ssense ihre Klamotten sogleich ins Vertriebssortiment aufgenommen hatte. Es wurden stilistische Vergleiche mit Helmut Lang, Ann Demeulemeester oder Alessandro Dell’Acqua angestellt, wobei Dojaka Letzteren selbst als ihr großes Vorbild bezeichnet hatte. Außerdem hat sie die 90er-Jahre als bevorzugte Inspirationsquelle genannt. „Ich habe so viel in Zeitschriften der 90er-Jahre recherchiert, weil ich die Kleidung, die Ästhetik und sogar die Art und Weise, wie die Bilder damals aufgenommen wurden, liebe", so Dojaka, „Sie haben etwas Rohes und Seelenvolles, das ich unbedingt zurückbringen möchte." Die „Vogue" zeigte sich schon von Dojakas Debütkollektion 2020 hellauf begeistert: „Mit ihrem Look werden sich viele junge Frauen identifizieren können. Er entsteht aus echtem Können und einem weiblichen Instinkt, Dinge zusammenzusetzen. Wenn Mode trotz aller Schwierigkeit eine Zukunft haben soll, braucht sie solche Talente."
Als Dojakas besondere Stärke wird ihr modischer Balanceakt zwischen weiblicher Verletzlichkeit und Stärke angesehen, wobei sie spielerisch zwischen Eleganz und Punk hin- und herpendelt. Dabei bilden die Boudoir-Stücke aus Seide, Tüll, Organza, Bio-Georgette oder leichter Wolle mit raffinierten Cut-outs so etwas wie ihre Marken-DNA – vor allem Bodys, Lingerie-Kleider oder Bra-ähnliche Tops. Aber clevererweise hat Nensi Dojaka längst auch erkannt, dass sie das Repertoire ihrer Marke und die Farbauswahl – bislang hauptsächlich Schwarz – erweitern muss. Das hat sich in ihrer Sommerkollektion 2022 allerdings auch schon niedergeschlagen. Plötzlich tauchen auch mal andere Farben wie Pink, Braun oder Rot auf. Und neben ihren Trägerkleidchen sorgen außerdem breitschultrige Blazer, hochtaillierte Zigarettenhosen, Strickkleider, Bademoden sowie allerlei Accessoires wie spitze Kitten-Heels oder umwerfende Strumpfhosen mit blütenförmigen Cut-outs für gehöriges Aufsehen.