Das „Neue Europäische Bauhaus" hat eine ambitionierte Leitlinie: Umweltschutz auf ästhetische Weise mit Funktionalität und Nachhaltigkeit sowie Menschen wieder zusammenbringen. Über allem steht der Green Deal, denn die EU will der erste klimaneutrale „Kontinent" werden.
Die Veränderung des Klimas und die damit einhergehende Krise betreffen nahezu alle Lebensbereiche. Egal, ob es um Wohnen, Heizen, Mobilität oder schlichtweg das Wetter geht. Das Klima nimmt auf alles Einfluss, und deshalb will auch der Europäische Green Deal an allen Bereichen ansetzen. Die europäischen Ziele zur Klimaneutralität bis 2050 sind gesetzt – jetzt müssen Brücken geschlagen werden. Brücken zwischen all den Bereichen, die über Jahre so gewachsen sind, dass sie eher gegeneinander- statt zusammenarbeiten.
Soziale Komponente steht im Zentrum
Das „Neue Europäische Bauhaus" will so eine Brücke sein. Im September 2020 hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein Projekt vorgestellt, dass den Europäischen Green Deal „um eine kulturelle und kreative Dimension ergänzen" soll. „Es zielt darauf ab, eine frische, innovative Denkweise über die Welt und unsere Rolle in ihr zu sein. Es will ein Umdenken sein", erklärt Adalbert Jahnz, Sprecher der EU-Kommission für Umwelt, maritime Angelegenheiten und Fischerei, Transport und das Europäische Bauhaus. „Mit der immensen Herausforderung des Klimawandels und der Umweltzerstörung, mit der wir konfrontiert sind, lädt uns das Neue Europäische Bauhaus ein, Nachhaltigkeit als etwas zu betrachten, das sowohl schön als auch inklusiv sein kann." Soweit so gut, aber was genau heißt das?
Das Europäische Bauhaus orientiert sich an dem historischen Bauhaus, das sich von Weimar aus über die ganze Welt verbreitet hat. Doch es soll nicht bloß eine Architekturschule sein, sondern sich darüber hinaus auch in den Bereichen Kultur, Bildung und Politik vernetzen. Ähnlich wie das historische Bauhaus, will auch das Europäische Bauhaus mit neuen Materialen arbeiten, wie Rohstahl oder dekarbonisiertem Stahl – ganz im Sinne des Green Deals. Dazu verfolgt das Projekt einen inklusiven Ansatz. Innerhalb der Mitgliedstaaten soll sich jeder beteiligen können, von jung bis alt. Dazu zeichnete das Europäische Bauhaus bereits 2021 und 2022 bei einer Preisverleihung Architekturideen, insbesondere junger Talente, und bestehende Projekte für Nachhaltigkeit, Inklusivität und Ästhetik aus. Vor allem die soziale Komponente und die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern stehen bei dem internationalen Projekt im Zentrum, denn die schutzbedürftigsten Menschen und die Gebäude, die am schlechtesten abschneiden, sollen Vorrang haben.
Das Projekt fußt auf dem Europäischen Green Deal und bewegt sich damit im politischen Umfeld sämtlicher Maßnahmen, die eingeleitet wurden, um das weltweite Klima zu retten. Zwei Bestandteile des „Fit für 55"-Paktes, nämlich die Richtlinie 2012/27/EU zur Energieeffizienz und die Richtlinie 2010/31/EU über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden, sind für das Neue Europäische Bauhaus von besonderer Bedeutung. So soll das Projekt auch zur geplanten Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent beitragen. In einer „Renovierungswelle für Europa" wurden Grundsätze für eine Dekarbonisierung der Gesellschaft bis 2050 festgelegt. Durch Kreislaufwirtschaft, die Integration erneuerbarer Energien, Gebäudesanierung und Umweltschutz soll die Lebensqualität in allen Lebensräumen gesichert werden. Der gesamte Lebenszyklus wird berücksichtigt, denn auch Bezahlbarkeit für geringere Einkommensgruppen, Barrierefreiheit, Gesundheitsnormen und die gleichzeitige Bewältigung des ökologischen und digitalen Wandels sollen jetzt in den Fokus rücken. Abgerundet wird dieses massive Gesamtpaket dann noch durch den Anspruch all das unter der Berücksichtigung von Ästhetik und architektonischer Qualität zu tun.
Alle 27 Mitgliedstaaten der EU sind über verschiedene Initiativen an dem allumfassenden Projekt beteiligt. Nach einer ersten „Design-Phase" von Januar bis Juli 2021, die der Ideenfindung diente, waren bereits 200 Partner mit im Boot. „Seit dem Eintritt der Initiative in die Umsetzungsphase Mitte 2021 wurden mehrere Ausschreibungen veröffentlicht, die darauf abzielen, Projekte im Sinne des Neuen Europäischen Bauhauses von Anfang an zu fördern und zu unterstützen", erzählt der Sprecher der EU-Kommission. 15 Länder waren unter den Gewinnern des Neuen Europäischen Bauhaus-Preises 2022 vertreten. Darunter Zypern, Spanien, Frankreich, Österreich, Litauen, Belgien, Griechenland, Portugal, Rumänien, Deutschland, Polen, Tschechien, Italien, Ungarn, Finnland.
„Im September 2021 haben wir angekündigt, dass in den Jahren 2021 bis 2022 rund 85 Millionen Euro für neue europäische Bauhaus-Projekte aus EU-Programmen bereitgestellt werden", so Adalbert Jahnz. Die Finanzierung erfolgt über verschiedene EU-Programme, darunter das Programm „Horizont Europa" für Forschung und Innovation, das „Life-Programm" für Umwelt- und Klimapolitik und der Europäische Fonds für regionale Entwicklung.
Alle EU-Mitgliedstaaten sind beteiligt
Erst kürzlich wurden fünf Leuchtturmprojekte in elf Mitgliedstaaten, in Belgien, Tschechien, Deutschland, Dänemark, Griechenland, Kroatien, Italien, Lettland, Niederlande, Slowenien und Portugal sowie in Norwegen und der Türkei, ausgewählt, die die EU-Kommission mit insgesamt 25 Millionen Euro fördern will. Darunter auch Deutschland mit dem „NEBourhoods"-Projekt in München-Neuperlach. „NEBourhoods" fußt auf den europäischen Werten des Grünen Deals. Es will auf den Stärken des Gebietes aufbauen und auch seine Schwächen angehen: ein starkes Gemeinschaftsgefühl, weitläufige Grünflächen, großflächige Wohnungen und deren Renovierung, aber auch die überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit und das unterdurchschnittliche Bildungsniveau.
„Ein weiteres interessantes Projekt ist ein internationaler Architekturwettbewerb, den wir ins Leben gerufen haben, um den künftigen ständigen Standort der Gemeinsamen Forschungsstelle der Kommission in Sevilla zu definieren", erklärt Adalbert Jahnz weiter. Der Wettbewerb suche explizit nach Konzepten, die vom Europäischen Bauhaus inspiriert seien. Bereits im April 2022 wurde der Auftrag an den Gewinner des Wettbewerbs vergeben. 2024 sollen die Bauarbeiten beginnen, die von Anfang an mit den Werten und Prinzipien des Neuen Europäischen Bauhauses einhergehen.
Mit dem europäischen Großprojekt hat die EU einen Versuch gestartet, der beim ersten Hören nur schwer umsetzbar, beim zweiten jedoch vielversprechend klingt. Denn so wie die Klimakrise alle Bereiche des Lebens betrifft, können auch Lösungen für die Zukunft nur dann effizient sein, wenn sie allumfassend gedacht werden.
Die Klimakrise ist eine Herausforderung bei der alle an einem Strang ziehen müssen. Dadurch gewinnt die soziale Komponente des Neuen Europäischen Bauhauses eine besondere Bedeutung. Denn auch der beste Umweltschutz bringt nichts, wenn dabei Menschen, die schlechter gestellt sind, durch das soziale Netz fallen. Damit alle ins Boot geholt werden können, braucht es zuweilen auch Ästhetik und vor allem architektonische Qualität. Denn nur wer sich in seinem Lebensraum wohlfühlt, ist auch bereit, etwas für das Klima zu tun.
Die Denkerinnen und Denker des Europäischen Bauhauses scheinen an alles gedacht zu haben. Spannend bleibt jetzt, wie sich das Projekt in Zukunft etablieren wird. „Wir sind der Meinung, dass wir die Verantwortung haben, mit gutem Beispiel voranzugehen. Die Vision ist, dass das Neue Europäische Bauhaus ein wichtiger Teil des Denkens der Bürger wird und dass es ein Ziel bleibt, das in Projekten erreicht werden muss", so der Sprecher der EU-Kommission.