Der Beginn des neuen Schuljahres mit allen Änderungen hat Widerspruch hervorgerufen. Die CDU-Bildungsexpertin Jutta Schmitt-Lang hält G9 für wenig durchdacht und warnt vor einem „Schuleinheitsbrei".
Frau Schmitt-Lang, zum neuen Schuljahr gibt es eine Reihe von Veränderungen. Die augenfälligste ist die Rückkehr zu G9, was ja auch die CDU vorhatte. Was kritisieren jetzt daran?
Wir hatten uns nicht ohne Grund sehr viel Zeit genommen, um ein Konzept zu entwickeln, wie wir uns die Umsetzung von G9 vorstellen. Wir sind schon sehr verwundert, dass die Landesregierung in einem Hopplahopp-Verfahren aus dem Nichts heraus im neuen Schuljahr damit beginnt – so sagt sie zumindest. Das ist aber ein Etikettenschwindel, weil sich zum neuen Schuljahr ja gar nichts ändert. Der Stundenplan ändert sich nicht, der Lehrplan ändert sich nicht, die Bücher ändern sich nicht, also eigentlich ändert sich für die Schüler nichts. Das sollte man dann aber auch transparent und klar sagen. Auf der anderen Seite wundern wir uns schon darüber, dass über die Inhalte so gut wie gar nicht gesprochen wird, also darüber, wie das neue Gymnasium aussehen soll, wie wir ein neues, modernes Gymnasium auf die Beine stellen – und wie wir gleichzeitig die anderen Schulformen mitnehmen und darüber nachdenken, wie wir auch deren Profil schärfen. Darüber wird inhaltlich nichts gesagt, und das finde ich sehr bedenklich.
Schulreform muss gut durchdacht sein
Jetzt hatten aber viele Betroffene und Beteiligte auf eine zügige Entscheidung gedrängt, um schnell Klarheit zu haben, und der Protest war dann überschaubar.
Lehrer sehen schon sehr deutlich, dass überhaupt nichts klar ist, was diese Kinder erwartet. Letztlich werden wir auch im nächsten Schuljahr spüren, wie sich Eltern entscheiden. Wo sind eigentlich die Abgrenzungen zwischen Gymnasium und Gemeinschaftsschule? Was macht eigentlich das Gymnasium aus? Das sind Entscheidungen, die gut durchdacht sein müssen. Wenn wir eines aus der Vergangenheit gelernt haben, dann, dass Schulreformen wohl durchdacht sein sollten und dass man sich Zeit nehmen sollte, sie inhaltlich gut aufzustellen. Deshalb kann ich nicht nachvollziehen, wie das im Moment hier läuft. Ich finde enttäuschend, dass für die Klassenstufe sieben und die Oberstufe gar kein Angebot gemacht wurde. Das ist ursprünglich ein bisschen anders angeklungen. Ab Klasse 7 soll Informatik on top kommen. Die Schüler, die jetzt dort drin sind, die auch schon die ganze Corona-Zeit mitgemacht haben, die auch Bedarfe haben, bleiben im alten System. Dass an die so gar nicht gedacht wird, finde ich schon dramatisch. Ich wollte nicht, dass wir eine verlorene Generation bekommen, die jetzt hinten runterfällt.
Informatik kommt als neues Fach. Es gab aber auch viele weitere Vorschläge zu neuen Schulfächern.
Neuen Fächern gegenüber bin ich skeptisch. Ich glaube, wir brauchen inhaltlich mehr Lernzeit, mehr Möglichkeiten zum Experimentieren und Vertiefen. Es war ja immer ein Kritikpunkt, dass die Schüler gehetzt und gestresst sind und in der Schule nicht die Zeit haben, sich die Dinge zu erarbeiten und anzueignen. Ein Qualitätsverssprechen sieht anders als das aus, was uns jetzt geboten wird. Da hätte ich deutlich mehr erwartet.
Sie machen Ihre Kritik auch an der Festlegung für die Jahreswochenstunden fest. Ist der Unterschied wirklich so groß?
Bei den Jahreswochenstunden ist 185 der bundesweite Durchschnitt, 178 ist das untere Ende der Fahnenstange. Man kann das aber alles nicht so einfach vergleichen. Andere Länder, die auch am unteren Ende der Fahnenstange sind wie etwa Schleswig-Holstein, haben abseits der Stundentafel noch Förderstunden, also andere Instrumente zusätzlich, die es bei uns in diesem Umfang nicht gibt. Das bedeutet, dass unsere Schüler weniger Möglichkeiten fürs Vertiefen und Experimentieren haben werden. Unsere Schüler gehen aber nachher auf dieselben Hochschulen, haben dieselben Anforderungen. Mit dieser Reform war doch eines verbunden: Es sollte eine Qualitätsverbesserung mit sich bringen, es sollte ein zukunftsfähiges Gymnasium mit sich bringen. Wenn wir diesen Weg gehen, dann müssen wir ihn richtig gehen, und dann darf das kein Sparmodell sein.
Das Ganze muss ja jetzt noch im Landtag beraten werden. Was werden Sie dabei einbringen?
Unser Ziel ist: Wir wollen die Qualität gesichert sehen. Wir brauchen mehr Möglichkeiten für Förderung und Vertiefung, wir brauchen Zugangsvoraussetzungen für das Gymnasium, damit die Eltern nicht ganz alleine sind mit dieser Entscheidung. Im Moment sehen sie zwei Schulformen, die beide nach neun Jahren zum Abitur führen, aber unterschiedliche Türschilder haben. Nicht jedes Elternteil kann die Unterschiede wirklich beurteilen. Gleichzeitig wollen wir auch, dass darüber diskutiert wird, wie Gemeinschaftsschulen neu aufgestellt werden. Dabei geht es um personelle Ressourcen, aber auch inhaltlich darum, wie sich Gemeinschaftsschule neu aufstellt. Wir wollen nicht, dass wir in einem Einheitsschulbrei enden, sondern dass wir eigene Schulformen mit eigenen Stärken und eigenen Perspektiven haben.
Wie sollte sich Ihrer Meinung nach die Gemeinschaftsschule entwickeln?
Gemeinschaftsschulen müssen stärker auf Differenzierung setzen. Sie bietet verschiedene Bildungswege an, aber sie muss auch stärker auf diese Bildungswege vorbereiten. Das Kurssystem muss früher ansetzen und es muss klar sein, welche Schüler in welche Richtung gehen. Und darauf müssen sie dann auch gezielter darauf vorbereitet werden. Das Gymnasium muss klar geprägt sein in eine wissenschaftliche Richtung und zur Vorbereitung auf ein Studium. Deshalb müssen die Arbeitsweisen sehr klar an den Fachwissenschaften orientiert sein.
Klare Profile für beide Schulformen gefordert
G9 mit allen Folgen kostet Geld. Wo soll es herkommen?
Bei der Finanzierung würde ich auch gerne wissen, wo es herkommen soll. Es geht um Personal, es wird steigende Raumbedarfe geben. Ich erwarte, dass das im Haushalt ausgewiesen wird, und zwar nicht erst, wenn die Umsetzung aufgewachsen ist. Wir werden nach neuesten Berechnungen bis zu 150 zusätzliche Lehrkräfte fürs Gymnasium mit G9 brauchen. Die kriegen wir nicht alle auf einen Schlag. Es wäre also wichtig, gleich mit der Einstellung von Lehrkräften zu beginnen.
Die CDU hat Anfang des Jahres im Wahlkampf ein eigenes Bildungskonzept „Q plus" vorgestellt. Findet sich davon etwas in den Plänen der Landesregierung?
Ich vermisse das Q, also die Qualität. Das Plus ist insofern drin, als wir ein Jahr mehr haben, aber Q suche ich noch. Das macht sich an ganz vielen Beispielen fest. Wenn ich sehe, wie viel einstündige Fächer in der Stufentafel finde. Wie viel Qualität da unterzubringen ist, erschließt sich mir nicht ganz. Das ist auch mein Vorwurf. Seit über einem halben Jahr liegt unser Konzept vor, da kann man auch ein anderes haben, auch ein besseres, aber es braucht eine inhaltliche Auseinandersetzung. Und die fehlt. Das sieht man auch daran, dass das Gremium von den einzelnen Schulformen, das hinzugezogen wurde, eigentlich nur ein Feigenblatt war. Inhaltlich hatte es nur wenig mitzuentscheiden. Letztendlich hat das Ministerium einen Stundenplan vorgelegt und gesagt: herzlichen Glückwunsch.
Bei den Grundschulen gibt es auch eine Reihe von Herausforderungen. Wie beurteilen Sie die Vorbereitungen?
Zunächst: Dass der Eingangsklassenteiler gesenkt wurde, ist ein sehr wichtiges Signal, das wir auch gefordert haben. Auf der anderen Seite fühlen sich Schulen alleingelassen, Beispiel Sprachförderung. Wir haben jetzt ganz viele ukrainische Schülerinnen und Schüler, die eingeschult werden, haben aber ohnehin teilwiese sehr heterogene Schülerschaften. Gleichzeitig sind Programme zur Sprachförderung eingestellt worden. Und wir bräuchten dringend eine Entlastung der Direktoren, damit sie all den Dingen, die jetzt noch on top auf sie zukommen, auch gerecht werden können. Auch dort hätten wir uns eine Perspektive gewünscht.
Ein großes Stichwort ist Digitalisierung. Da hat Corona einiges in Bewegung gebracht. Wie weit ist der Aufholprozess gediehen?
Natürlich hat sich etwas bewegt. Corona war, wenn es überhaupt für etwas gut war, dann gut dafür, dass wir aus dem bildungspolitischen Schlaf erweckt wurden. Was Technik betrifft, sind wir ein gutes Stück weiter, aber was die inhaltlichen Fragen angeht, hinken wir noch hinterher. Es ist viel passiert, was die Ausstattung betrifft. Wir haben noch in der Großen Koalition sehr viel Geld in die Hand genommen, um die Ausstattung zu verbessern und Endgeräte anzuschaffen. Aber was damit gemacht wird, wie sie eingesetzt werden, das bleibt weit hinter dem zurück, was wir an Erwartungen haben. Es gibt keine inhaltliche Handreichung. Da erwarten wir Rahmenrichtlinien vom Ministerium und mehr passgenaue Fortbildung vor Ort.
„Schule muss in erster Linie Lernort sein"
Die CDU hat immer auch ein besonderes Augenmerk auf Förderschulen. Was ist Ihnen dabei wichtig?
Dass es eine Schule mitten im Leben und eine ganz wichtige Schule ist. Wir haben eine Inklusion, die wichtig ist und in vielen Fällen auch funktioniert. Aber wir haben auch Kinder mit besonderen Herausforderungen, denen es an einer Förderschule viel besser geht. Es gab zwei zusätzliche Standorte, darauf hatten wir im Koalitionsvertrag Wert gelegt. Aber die Bedarfe steigen weiter. Wir stoßen jetzt schon wieder an Kapazitätsgrenzen, und dass wir an einzelnen Standorten erweitern müssen, davon ist auszugehen. Aber wir haben einen Lehrermangel. Förderschullehrkräfte sind gesucht, wir brauchen sie an allen Schulformen, für die Inklusion, aber gerade auch an Förderschulen. Wir müssen ganz dringend in eine Fachkräfteoffensive.
Der jüngste Bildungsmonitor hat für das Saarland einen guten fünften Platz im Ländervergleich bestätigt. Wie ordnen Sie das ein?
Das ist natürlich ein guter Platz. Wenn es darum geht, wie viel Geld ins Bildungssystem geht, ist das ein gutes Zeichen. Aber es fehlt ein bisschen das qualitative Feedback, wie das umgesetzt wird. Genauso wie beim Thema Digitalisierung: Dass die Geräte da sind, ist gut, reicht aber nicht. Es ist also immer die Frage, wie aussagekräftig die Kriterien sind. Nichtsdestotrotz sind wir natürlich froh, dass wir einen guten Platz erreicht haben.
Ein Dauerthema der Schuldiskussionen ist der Bildungsföderalismus. Wie lange wird uns diese Debatte noch begleiten?
Ich sehe kein Ende der Fahnenstange. Es gibt Befürworter und Gegner, das wird absehbar so bleiben. Ich glaube, dass der Weg zu mehr einheitlichen Kriterien in den Abschlüssen, den die Kultusministerkonferenz geht, richtig ist. Aber ich denke, dass der Bildungsföderalismus seine Sinnhaftigkeit hat. Wir sehen das ja gerade bei uns in der Grenzregion mit unserem Französischschwerpunkt. Die Regionen sind unterschiedlich. Man braucht gewisse Vergleichbarkeiten, aber auch individuelle Möglichkeiten. Es ist ein Wettbewerb der Ideen und Möglichkeiten. Ein einheitliches Schulsystem von Bayern bis Bremen sehe ich nicht. Es ist wichtig, in einem guten Wettbewerb mit neuen Ideen in der Bildung weiterzukommen, denn wir müssen darum ringen, Kinder mit dem bestmöglichen Rüstzeug ins Leben zu schicken.
Was ist aus Ihrer Sicht eigentlich Kerngeschäft von Schule angesichts zunehmend gesellschaftlicher Aufgaben und Herausforderungen an Schule?
Schule muss in erster Linie Lernort sein. Natürlich brauchen wir Unterstützungselemente, wir brauchen Schulsozialarbeit, aber das sind Unterstützungsangebote. Wir wollen nicht, dass die komplette Jugendhilfe in den Vormittag verlegt wird. Die Familie ist für uns immer noch der Kernort, wo die Verantwortung für die Kinder und Erziehung liegt, und da muss Familie auch in die Verantwortung genommen werden. Es gibt Familien, die können das nicht, deshalb brauchen wir Unterstützung. Aber Schule als Rundum-sorglos-Paket wäre die eierlegende Wollmilchsau. Schule kann nicht alles. Kernaufgabe ist Lernen, Bildung, Weiterentwicklung.