Zunächst war der vor 35 Jahren verstorbene Lorne Greene als „The Voice of Canada" der bekannteste Nachrichtensprecher seines Landes. Erst viel später wurde er als Oberhaupt der Cartwright-Family in der legendären TV-Western-Serie „Bonanza" als Schauspieler berühmt.
Ältere Semester werden sich vielleicht noch an die Mega-Hits vom Jahresausgang 1964 wie „Leader of the Pack" von den Shangri-Las, „Baby Love" von den Supremes oder „I feel fine" von den Beatles erinnern. Doch daneben gab es eine inzwischen weitgehend in Vergessenheit geratene Single mit dem Titel „Ringo", bei der in Gestalt einer Folk-Ballade von der Beziehung zwischen einem berüchtigten Revolverhelden und einem Gesetzesbrecher aus der Frühzeit des Wilden Westens erzählt wurde. Die Single war eine Auskopplung aus dem Anfang 1964 veröffentlichten Album „Welcome to the Ponderosa" des „Bonanza"-Schauspiel-Teams.
Die 1959 gestartete und vom amerikanischen Fernsehsender NBC produzierte Western-Serie hatte 1964 in den USA dank der Verlegung auf den bevorzugten Sendeplatz am Sonntagabend in Sachen Einschaltquoten erstmals den Spitzenplatz erobert. Und diesen konnte sie drei Jahre lang behaupten, bis 1967. Mit jeweils 50 Minuten langen Episoden in 14 Staffeln brachte es „Bonanza" bis zum Jahr 1973 auf stolze 431 Folgen, womit das Format hinter „Rauchenden Colts" in der ewigen TV-Western-Rangliste den zweiten Platz belegt.
Da war es nicht weiter verwunderlich, dass der NBC-Konzern den Erfolg der Serie auch auf Vinyl-Scheiben bei seinem Tochterunternehmen RCA versilbern wollte. RCA hatte den „Bonanza"-Chef Lorne Greene alias Benjamin „Ben" Cartwright für die Vertragsverhandlungen ausgewählt. Der spielte in der Serie die Rolle des ruhigen, nachdenklichen, besonnenen, seine drei zuweilen heißblütigen Söhne in Zaum haltenden Familienoberhaupts mit obligatorischer Lederweste und Stetson-Hut.
Mit Sprechgesang Charts erobert
Mit „Ringo" hatte RCA ihm auch das bemerkenswerteste Stück des Albums auf den Leib geschnitten. Das Problem dabei war nur, dass Lorne Greene überhaupt nicht singen konnte. Seine Stimme hatte dennoch etwas Außergewöhnliches, nämlich einen kräftigen, tiefen, sonoren Bariton, von dem Greene schon in einem früheren Lebensabschnitt als bekanntester Nachrichtensprecher seines Heimatlandes Kanada profitiert hatte.
Seinem Bariton war es dann wohl auch hauptsächlich zu verdanken, dass der im Oktober 1964 als Single herausgebrachte Titel „Ringo" mit Greenes Sprechgesang wenig später die Charts in den USA und Kanada stürmte und in beiden Ländern sogar den Spitzenplatz erobern konnte. Schon 1961 hatte Greene bei MGM mit dem Album „Robin Wood of El Dorado" einen ersten Ausflug ins Musik-Business unternommen, dabei aber ebenso wenig geschäftlich abräumen können wie mit weiteren Gesangsversuchen nach „Ringo" bis zur letzten Langspielplatte „Portrait of the West" (1966) oder der letzten Single-Veröffentlichung „Spirit of America" (1976).
Lorne Greene wird es sicherlich verkraftet haben, denn schließlich wurde er als Schauspieler weltweit wesentlich bekannter. Trotz jahrelanger, unermüdlicher Versuche konnte er sich allerdings nie in die Gilde der berühmten Hollywood-Stars einreihen und erntete letztlich „nur" als TV-Darsteller globalen Ruhm.
Dabei war es alles andere als ausgemacht, dass der am 12. Februar 1915 als Lyon Himan Green geborene Sohn jüdisch-osteuropäischer Einwanderer jemals den Berufsweg auf die Broadway-Bühne oder vor die Kameras einschlagen würde. Wenn es nach dem Willen seiner Mutter Dora gegangen wäre, wäre er Geigenvirtuose geworden. Sie zwang ihren Sohn mit Zustimmung des als Schuhmacher tätigen Vaters Daniel zu fünf Jahren Geigenunterricht. Diese Fron ging erst aufgrund eines beim Baseballspiel erlittenen Unfalls im Alter von 15 Jahren für den jungen Mann zu Ende.
Laut seiner Tochter Linda Greene Bennett, die 2004 eine Biografie über ihren Vater veröffentlicht hat, konnte niemals so ganz ermittelt werden, wann und warum sich Greene zur Änderung seines Geburtsnamens, mit neuem Vornamen und einem dem Nachnamen angehängten -e, entschieden hatte. Nach Abschluss der Highschool am Lisgar Collegiate Institute in Ottawa, wo er durch Teilnahme an der Komödie „Les Deux Sourds" erstmals Interesse am Schauspiel bekundet haben soll, wählte er bei seinem Studieneinstieg 1932 am Queen’s College in Kingston, Ontario, mit Chemie-Ingenieurwesen ein Fach, das meilenweit von jeglichen Künstler-Ambitionen entfernt war.
Doch schon bald entdeckte er sein Faible für studentische Theateraufführungen und für den auf Dramen spezialisierten Radio-Workshop der Universität. Das hatte letztlich einen Fächerwechsel hin zu Deutsch und Französisch zur Folge und mündete 1937 in einem Abschluss als Bachelor of Arts.
ARD fand „Bonanza" zu brutal, das ZDF griff dankend zu
Gleich im Anschluss daran zog es ihn nach New York, wo er zwei Jahre lang eine Schauspiel- und Tanzausbildung absolvierte – unter anderem an der renommierten „Martha Graham School of Contemporary Dance". Wegen ausbleibender Engagements kehrte er allerdings 1939 nach Kanada zurück und ergatterte dank seiner prägnanten Stimme einen Job als Chefnachrichtensprecher bei der drei Jahre zuvor gegründeten „Canadian Broadcasting Corporation" (CBC). Bis 1942 hielt er die kanadischen Radiohörer täglich vor allem über das aktuelle Kriegsgeschehen im fernen Europa auf dem Laufenden. Das brachte ihm schnell den Spitznamen „The Voice of Canada" ein, nicht selten wurde er wegen der von ihm zwangsläufig zu übermittelnden düsteren Nachrichten auch als „The Voice of Doom" bezeichnet. Als Innovation zur besseren Einschätzung der Redezeit entwickelte er für seinen Radiojob eine rückwärts laufende Stoppuhr.
Gelegentlich lieh er seine Stimme damals auch schon für Hörspiele oder Dokumentarfilme. Nach kurzem Militärdienst bei der Royal Canadian Air Force setzte er seine Rundfunk-Karriere in Kanada fort. Greene wechselte zu einem privaten Sender und war für CBC nur noch freiberuflich tätig. 1945 gründete er in Toronto die Rundfunk-Ausbildungsstätte „Lorne Greene Academy of Radio Arts", die bis 1952 bestehen blieb. Er war zudem Mitinitiator des „Jupiter Theater" in Toronto, für das er in mehr als 50 Produktionen als Regisseur und Schauspieler tätig war.
Doch es zog ihn zu Höherem, weshalb Lorne Greene 1953 nach New York zog, um dort am Broadway und beim amerikanischen Fernsehen Fuß zu fassen. Trotz guter Kritiken beispielsweise für seine Rolle des O’Brien in der 1953 von der CBS produzierten TV-Adaption von George Orwells „1984" und für sein Hollywood-Debüt als Petrus im biblischen Monumentalfilm „Der silberne Kelch" und trotz Umzug nach Los Angeles blieb Greene bis Ende der 1950er-Jahre ein öffentlich kaum wahrgenommener Schauspieler.
Das änderte sich durch „Bonanza" allerdings schlagartig. Die Western-Serie wurde von Anfang an in Farbe gedreht, obwohl der Großteil des amerikanischen Publikums damals nur Schwarz-Weiß-Fernseher besaß. Das Engagement für die Rolle des Cartwright-Patriarchen mit dem silbergrauen Haarschopf verdankte Greene seiner Darstellung des O’Brien. In der Bundesrepublik wurde die Serie 1962 von der ARD ausgestrahlt, aber schon nach 13 Folgen mit der absurden Begründung, sie sei „zu brutal" wieder aus dem Programm genommen. Das ZDF schnappte sich daraufhin die Rechte und begann ab August 1967 mit einem Neustart, in dessen Verlauf Greene alias Ben Cartwright zu einem Liebling des deutschen TV-Publikums und 1983 mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet wurde.
Auch in seiner zweiten bekannten TV-Serien-Großproduktion „Kampfstern Galactica", die zwischen 1978 und 1980 in 34 Episoden mit jeweils 45 Minuten Laufzeit über die US-Bildschirme flimmerte, ab Januar 1981 auch von der ARD ausgestrahlt wurde und aus deren Sequenzen noch drei Kinofilme zusammengeschnitten wurden, mimte Greene als Raumschiff-Commander Adama erneut eine Art Vaterfigur. Bei der Science-Fiction-Produktion lieh ihm, wie schon bei „Bonanza", für die deutsche Fassung erneut der geniale Synchronsprecher Friedrich Schütter seine markante Stimme. In einem 2007 veröffentlichten Ranking der beliebtesten TV-Väter der Film- und Fernsehgeschichte wurde Greene als „Bonanza"-Oberhaupt auf dem zweiten Platz direkt hinter Bill Cosby alias Cliff Huxtable eingereiht.
Geplantes Bonanza-Revival erlebte Greene nicht mehr
In den 1980er-Jahren zählte Greene zu den frühen Protagonisten des Umwelt-, Tier- und Naturschutzes, was er auf der TV-Leinwand als Moderator und Erzähler seiner Tier- und Naturserie „Lorne Greene’s New Wilderness" umsetzte. Zwischen 1982 und 1987 brachte es die Reihe auf stolze 104 Folgen.
Greene führte ein skandalfreies Privatleben. Er war zweimal verheiratet. Zwischen 1938 und 1960 mit Rita Hands – aus der Ehe waren die Zwillinge Linda und Charles hervorgegangen – und zwischen 1961 bis zu seinem Tod mit Nancy Deale, die ihm die Tochter Gillian Dania schenkte.
Kurz vor seinem Tod – Greene starb an Herzversagen infolge einer nach einer Magenoperation entstandenen Lungenentzündung – am 11. September 1987 im kalifornischen Santa Monica hatte er im Alter von 72 Jahren noch mit einer Teilnahme an einem „Bonanza"-Revival geliebäugelt. Doch der Pilotfilm für „Bonanza – Die nächste Generation", der von der CBS am 23. März 1988 ausgestrahlt wurde, musste schließlich leider ohne ihn gedreht werden.