Wer sich mit der Vielfalt der Cucina Italiana vertraut machen möchte, muss vor Ort in die Spezialitäten der 20 Regionen Italiens eintauchen. Eine einheitliche italienische Küche, wie sie hierzulande in den meisten Italo-Lokalitäten vorgespielt wird, gibt es nämlich gar nicht.
Das Geheimnis der italienischen Küche wölbt sich wie eine luftige Meringa-Haube über die schier unglaubliche Vielfalt regionaler Spezialitäten. Es ist die geniale Schlichtheit der Speisen, die unter Verwendung vergleichsweise weniger, aber möglichst hochklassiger und vor allem lokaler Grundprodukte einmalige Genusserlebnisse bieten. Der größte Konkurrent, die französische Grande Cuisine, musste dagegen tief in die Schublade der Opulenz und des kreativen Aufwands greifen. Diese Schlichtheit dürfte wohl der Hauptgrund dafür gewesen sein, warum die italienische Kochkultur weltweit wie keine andere assimiliert wurde. Sie konnte sich über die Jahrhunderte durch regionale Adaption arabischer, spanischer, französischer oder auch österreichischer Einflüsse etablieren und war so etwas wie eine frühe Fusionsküche. Sie etablierte sich im 16. Jahrhundert am Hofe der Medici in Florenz als erste europäische Kulinarik-Hochburg. Auch wenn die Ergebnisse mit dem Original kaum mehr etwas gemein hatten und über Banalitäten wie Pizza- und Spaghetti-Varianten häufig nicht hinaus kamen.
In Deutschland gab es nur ein einziges Mal den ernsthaften Versuch, authentische Cucina Italiana ohne Rücksicht auf hiesige Geschmacksvorlieben salonfähig zu machen. Doch letztlich waren es nur drei Jahre von 1989 bis 1991, in denen der in den allerbesten italienischen Gourmet-Tempeln geschulte Stefan Marquard die Gäste des „La Vigna" im fränkischen Wertheim-Bettingen verwöhnen durfte. Dort hatte er vom legendären Patron Adalbert Schmitt in dessen berühmtem Feinschmecker-Imperium „Schweizer Stuben" freie Hand für dieses kulinarische, vom Michelin-Guide mit zwei Sternen belohnte Experiment erhalten.
Gefälle zwischen Nord- und Süditalien
Während in der Sprache die Zergliederung der Apenninhalbinsel in unzählige Dialekte durch die Etablierung des vom Florentischen abgeleiteten Hochitalienischen infolge der späten Staatsgründung nach 1861 gelang, blieb der italienischen Küche eine Vereinheitlichung gottlob erspart. Nicht, dass es im Zuge der aufkommenden Hotel-Gastronomie und des damit verbundenen Tourismus-Aufschwungs durchaus Versuche gegeben hätte, so etwas wie eine Cucina Nationale mit Standardgerichten wie Cotoletta alla milanese – dem panierten Kalbskotelett –, oder Stracciatella alla romana – einer Eierflaumsuppe mit Grieß –, zu etablieren. Und es mit Pellegrino Artusi, einem durch den Seidenhandel reich gewordenen Feinschmecker, gewissermaßen das italienische Pendant zum französischen Auguste Escoffier und dessen Meisterwerk „Le Guide Culinaire", gab. Mit dem Unterschied, dass Artusis 1891 erschienenes Opus „Von der Wissenschaft des Kochens und der Kunst des Genießens" zwar ebenfalls ein Bestseller und ein „Evangelium der italienischen Küche" wurde. Mit zunächst 475, in späteren Auflagen 790 Rezepten konnte sie nur einen Überblick über die schier unerschöpfliche italienische Speisenauswahl liefern, ohne dass sich daraus eine Art von italienischer Nationalküche herausbilden sollte.
Jede der 20 Regionen des heutigen Italiens konnte sich ihre durch geografischen, klimatischen, gesellschaftlichen und historischen Gegebenheiten geprägte Küche bewahren. Kein Wunder also, dass die sogenannte Slow-Food-Bewegung von Italien aus die Welt erobern konnte, weil deren Motto eines genussvollen, bewussten und regionalen Essens schon immer die Basis der italienischen Küche war und ist.
Grundsätzlich hat es natürlich schon immer ein kulinarisches Gefälle zwischen dem reichen und kühleren Norden sowie dem armen und heißeren Süden gegeben. Während in Nord- und Mittelitalien mit Bologna als heimlicher Feinschmecker-Hauptstadt viel häufiger Fleisch – vor allem von Rind und Schwein – auf den Tisch gekommen war, verdankte der Süden seine Nahrungsmittel vor allem dem Meer. Alternativ wurde dort auf Geflügel oder Lämmer zurückgegriffen. Auch was Zutaten und Zubereitung der Gerichte anging, waren Aufwand und Raffinesse in Nord- und Mittelitalien doch einen Tick höher als im Süden, wo einfachste Speisen die Regel waren.
Norditalien
Im kleinen, von den Alpen geprägten Aostatal wird die eher deftige Küche noch immer von den bäuerlichen Almen geprägt. Berühmt ist der Fontina-Käse, eine Spezialität ist die Carbonada, ein in Rotwein gekochtes Rindfleisch. Im benachbarten hügeligen Piemont, das mit der Emilia Romagna um die italienische Feinschmecker-Krone streitet, sind natürlich die weißen Alba-Trüffel weltweit am bekanntesten, aber auch die Grissini sind hier zu Hause. Die Einheimischen lieben Schmorbraten, wobei aber auch der Bollito misto, ein aus verschiedenen Fleischsorten gekochter Eintopf, ein Klassiker ist. Nicht zu vergessen die Bagna cauda, ein Saucendip aus Olivenöl, Sardellen und Knoblauch.
Im südlich anschließenden Ligurien, einem schmalen Landstrich entlang der Küste, spielt natürlich Fisch eine zentrale Rolle. Aber vor allem ist die Region die Heimat des Pesto, wofür selbstredend nur das lokal erzeugte Olivenöl und das hier kleinblättrige Basilikum verwendet werden darf. Auch wenn die besten Reissorten für Risotto im piemontesischen Novara angebaut werden, so wird dieses Getreide doch schon seit dem 15. Jahrhundert in der Lombardei kultiviert. Und der mit Safran parfümierte goldgelbe Risotto alla milanese gilt als das bekannteste Risotto-Gericht ganz Italiens. Das mit dem Wiener Schnitzel verwandte Cotoletta alla milanese wurde ja bereits genannt. Das Weihnachtsgebäck Panettone zählt ebenso zu den Spezialitäten der Region wie das Käse-Quartett Gorgonzola, Mascarpone, Taleggio und Grana Padano.
Die Provinz Trentino-Alto Adige setzt sich aus zwei Regionen zusammen, wobei die Küche des nördlichen Südtirols noch immer österreichisch-ungarische Klassiker wie Gulasch oder Knödel, die hier Canederli genannt werden, pflegt. Auch Geräuchertes oder Gepökeltes wie der Südtiroler Bauernspeck genießen einen glänzenden Ruf. In Trentino wird italienischer gekocht, wobei das Hasenragout Lepre alla trentina besonders köstlich mundet, am besten mit Polenta als Beilage. Der aus Maisgrieß hergestellte Brei aus der Pflanze, die Kolumbus nach 1650 mit nach Europa gebracht hatte, wird im gesamten italienischen Norden hoch geschätzt.
Das gilt vor allem auch für Venetien und Friaul-Julisch Venetien. In beiden Regionen werden häufig gebratene oder geröstete Polenta-Scheiben anstelle von Brot zum Hauptgericht gereicht. Die Pasta gelangte vermutlich dank venezianischer Seefahrer aus China nach Italien. Schon der Doge von Venedig ließ sich die Spezialität Risi e bisi, Reis mit jungen Erbsen, schmecken. Genauso bekannt ist die Fegato alla veneziana, die Kalbsleber mit Zwiebeln. Das Carpaccio aus der legendären „Harry’s Bar" nicht zu vergessen. Natürlich dürfen auch Fische und Meeresfrüchte auf keiner Speisekarte in der Lagunenstadt fehlen. Aus Friaul, wo die Küche kaum mediterran angehaucht ist, sondern eher einfach-bäuerlich, stammt der San-Daniele-Schinken. Und auch das weltberühmte Dessert Tiramisu wird offiziell Friaul-Julisch Venetien zugesprochen, auch wenn Venetien ebenfalls das Urheberrecht für sich beansprucht.
Mittelitalien
In Mittelitalien kommt langsam die Tomate ins Spiel, die im 16. Jahrhundert aus Südamerika ins Land gekommen war und danach vor allem die Küche Süditaliens prägen sollte. Kulinarisches Herzstück Mittelitaliens ist die Emilia Romagna, die ihre herausragende Küchenposition auch dem Wohlstand ihrer Bürger verdankt. Das Ragù alla bolognese, das bei uns in Abwandlung als Spaghetti bolognese bekannt ist, ist nur eine von zahlreichen hier heimischen Pasta-Spezialitäten, zu denen auch Lasagne und gefüllte Nudeln wie Capelletti zählen. Parmaschinken, Coppa, Mortadella oder der Aceto Balsamico Tradizionale stammen ebenfalls aus diesem Schlaraffenland.
Überraschenderweise ist die Küche in der benachbarten Toskana eher einfacher gehalten, wobei Bohnen das bevorzugte Gemüse der Einheimischen sind. Beispielsweise bei Fagioli alla fiorentina. Dabei handelt es sich hier um weiße Bohnen mit Tomaten, Knoblauch, Salbei und Olivenöl. Aber auch ein saftiges Steak kann hier à la carte als Bistecca alla fiorentina neben dem delikaten Ochsenschwanz, dem Ossobuco alla milanese, auftauchen. Und der Pecorino, ein milder Schafskäse, wird außerdem gern offeriert.
Die Marken sind vor allem für ihre Pasta-Gerichte wohlbekannt, wobei die Lasagne-ähnliche Spezialität Vincisgrassi – mit Hühnerleber-Pilz-Ragout gefüllt und mit Béchamelsauce überbacken – fraglos der Primus inter pares ist. Ein Geheimtipp sind auch die Oliven nach Ascoli-Art, bei denen es sich um Fleischbällchen handelt, die mit grünen Oliven umhüllt sind. Umbrien lässt den Gaumen von Gourmets mit seinen schwarzen Trüffeln schnalzen. Was den lustvollen Verzehr einer Porchetta-Scheibe, eines gerollten und am Spieß gebratenen Spanferkels, natürlich nicht ausschließt.
In Latium und Rom gibt sich die Küche weltläufig, zwischen Eleganz und kräftigen Aromen pendelnd. Büffelmozzarella aus Latium zählt ebenso wie die Variante aus dem benachbarten Molise zu den besten ihrer Art. Dort wird zudem eine sehr scharfe Peperoncino-Sorte angebaut, die der pikanten römischen Penne all’arabiata ihren besonderen Pfiff verleiht. Die Büffelmozzarella aus den südlichen Regionen Kampanien und Apulien werden allerdings ebenso hoch gehandelt. Rund um die Landeshauptstadt zählen außerdem Saltimbocca alla romana, in Butter gebratenes Kalbsschnitzel mit Salbei und Zitrone, Spaghetti alla carbonara oder die Gnocchi alla romana zu den Lieblingsgerichten. Die Küche in den Abruzzen ist in erster Linie bodenständig und herzhaft gehalten, wobei vor allem Wurstspezialitäten wie luftgetrockneter Schinken oder Pancetta auch überregional einen besonders guten Ruf genießen. Die Sagne e fagioli nicht zu vergessen, ein Gericht bestehend aus kurzen, hausgemachten Tagliatelle mit Bohnen.
Süditalien
Im Mezzogiorno fällt die Vorliebe für die ursprünglich in Neapel erfundenen Hartweizennudeln im Unterschied zu den frisch gemachten Eiernudeln im übrigen Land besonders ins Auge. Zudem wird hier wesentlich mehr Gemüse wie zum Beispiel Tomaten, Auberginen, Paprika, Artischocken oder Zucchini angebaut und konsumiert als im restlichen Italien. In Kampanien verweist man mit Stolz auf die Erfindung der Pizza durch die Neapolitaner. Dabei hatte es sich ursprünglich nur um eine schlichte Scheibe gebackenen Brotteig gehandelt, der mit Tomatenpüree, idealerweise von Früchten aus San Marzano, und Käse belegt war. Unter den Dolci ist besonders der Babà zu nennen, ein mit Rum getränktes Hefegebäck.
In Apulien wird die landesweit größte Menge an Olivenöl produziert. Und da hier nach Sardinien und Latium die drittmeisten Schafe des Landes aufgezogen werden, sind Lammgerichte ebenso angesagt wie Fischrezepturen. Auch in der Basilikata dreht sich kulinarisch alles um Lammfleisch. In Kalabrien, Italiens Stiefelspitze, versteht man es schon seit Jahrhunderten perfekt, vor allem der Aubergine einen herausragenden Platz auf der Tafel zuzuweisen – egal ob süß-sauer eingelegt, frittiert oder in Essig mariniert. Gereicht wird sie beispielsweise als Beilage zu Fischgerichten, die natürlich auch auf Sizilien einen festen Platz auf dem täglichen Menüplan haben. Zitrusfrüchte und Mandelbäume gedeihen hier prächtig, weshalb viele Italiener auch die Desserts aus Sizilien besonders hoch einschätzen. Interessant auch das süß-saure Gemüsegericht namens Caponata oder die frittierten und mit Ragù gefüllten Reisbällchen Arancini.
Die Küche Sardiniens nimmt eine Sonderstellung ein, wobei besonders die Wertschätzung für Wild ziemlich ungewöhnlich ist. Beim Fiore Sardo handelt es sich um eine alte Käsesorte aus reiner Schafsmilch.