Fairtrade, Slow Fashion und die Verwendung nachwachsender Rohstoffe sind erste wichtige Schritte hin zu einem bewussten Umgang mit Kleidung. Doch das allein reicht längst nicht mehr aus. Es muss sich etwas tun, regenerative Mode muss her.
Inzwischen gibt es einige Projekte, die sich bewusst mit der Kreislaufwirtschaft von ausgewählten Produkten beschäftigen. Eines davon ist ON, eine Kooperation zwischen Spinnova und Bergans of Norway. Hier können Kunden einen speziellen Abo-Sneaker namens Cyclon kaufen. Dieser lässt sich recyceln, soll dadurch keine Ressourcen verschwenden und umweltbewusst sein. Eine gute Idee, leider bisher eine von wenigen. Noch immer gibt es eine riesige Hürde weg von ausschließlich organischer Kleidung zu nehmen, die ohne die umweltschädliche Verwendung von chemischen Bestandteilen auskommt, hin zu einem wiederverwertbaren Artikel, der auch nach seiner beschränkten Lebensdauer etwas Gutes für die Umwelt tut und damit seinen ökologischen Fußabdruck nahezu gegen Null reduziert. Das Problem liegt in der Wertschöpfungskette begründet. Neben der Herstellung und Produktion muss auch die Entsorgung einwandfrei funktionieren. Deshalb reicht es einfach nicht aus, den Schuh aus Recycling-Materialien herzustellen, wenn er sich trotzdem am Ende nicht komplett recyceln lässt. Hier muss also ein starker Umdenkprozess bei den Produzenten stattfinden und ein völlig neues Konzept entwickelt werden. Wichtig wäre es, nach Möglichkeit Mono-Materialien zu verwenden oder zumindest solche, die am Ende wieder leicht voneinander zu trennen sind. Je langlebiger und robuster ein Artikel aber werden soll, desto komplexere Mischstoffe braucht es und umso schwieriger ist auch die spätere Entsorgung. Ein Problem ist dies speziell für den Outdoor-Bereich, in dem nach wie vor hauptsächlich Naturfasern versetzt mit synthetischen Komponenten Verwendung finden. Eine Herausforderung, da Ordnung hineinzubringen – eine die bald gesetzlich geregelt werden soll. Wann das sein wird, steht in den Sternen. Ohne geeignete Entwicklungen und entsprechende Industrien ist der Weg noch steinig. Aktuell laufen Tests mit kompostierbaren Schuhen und Kleidungsstücken. Ebenfalls Pilotprojekte, die noch keinen Massenwert haben. Nachhaltige Rohstoffe erzeugen am besten solche, die komplett klima-positiv ausfallen, das muss das erklärte Ziel sein, sind sich die Experten einig. Dort sollte die Bekleidungsindustrie ansetzen, um den eigenen CO2-Fußabdruck zu minimieren.
Komplexe Mischstoffe erschweren Entsorgung
Und woher beziehen die großen Label ihre Materialien? Zu großen Teilen von den Feldern der Bauern, deshalb sind die Sorgen und Nöte der regenerativen Landwirtschaft auch so untrennbar mit der Mode verbunden. Und Naturfasern gibt es einige, neben Bio-Baumwolle zählen dazu auch Viskose und Hanf. Rund ein Drittel aller verwendeten Fasern sind natürlichen Ursprungs. Einige wie Kaschmir oder Wolle stammen von Tieren. Der Rest schließlich ist chemischen Ursprungs und findet zum Teil allein oder als Beimischung Verwendung. Bei den Naturfasern ist es wichtig, ausreichend Anbauflächen zu haben, die die benötigte Menge an Rohmaterial liefern können. Eine regenerative Ökolandwirtschaft ist von Nöten, denn Nährstoffe wie Kohlenstoff müssen dringend wieder in die Böden zurück. Durch Dürre, einseitige Anbaumethoden und brachliegende Flächen ist es immer schwerer, gesunde Landwirtschaft zu betreiben. Nutzbares Ackerland mit nährstoffhaltigem Boden schrumpft. Das, was noch da ist, wird überwiegend zum Anbau von Nahrungsmitteln verwendet. Das, was übrig bleibt, steht schließlich der Anpflanzung von Naturfasern zur Verfügung. Aktuell belegt deren Anbaufläche weltweit etwa 2,5 Prozent des gesamten Ackerlandes. Trotzdem verbrauchen Bauern hier teilweise bis zu 16 Prozent schädlicher Insektizide. Ein Beispiel, das zeigt, wie fatal es sein kann, Naturfasern anzubauen und das hier noch viel Nachholbedarf hin zu umweltfreundlichen Methoden besteht. Aus diesem Grund haben sich Labels wie The North Face und Patagonia zu Initiativen zusammengeschlossen, um die Baumwoll-Farmer in den USA bewusst bei ihrer Arbeit zu unterstützen und auf die Probleme aufmerksam zu machen. Seit 2017 führt The North Face beispielsweise eine Partnerschaft mit Fibershed, einer gemeinnützigen Organisation, die die Herstellung von Öko-Wollmützen aus regenerativer Landwirtschaft fördert.
„Berliner Fashion Summit"
Anfang des Jahres fand eine Diskussionsrunde zum Thema statt, der „Berliner Fashion Summit", wo sich Klima-Experten und -Expertinnen und Modeschaffende zusammensetzten, um über das dringliche Problem des Umweltschutzes in der Branche diskutieren. Auch hier war man sich schnell einig: Der regenerativen Mode gehört die Zukunft. Die Frage blieb, wie das zu schaffen sei. Dabei zeigten sich unterschiedliche, sehr spannende Ansätze. Renana Krebs vom Tech-Style-Start-up Algaeing stellte zum Beispiel ihr Algenkonzept vor, bei dem die Naturmaterialien aus dem Meer zunächst verflüssigt werden und dann als Farbstoff nutzbar sind, mit dem sich Textilien umweltfreundlich einfärben lassen. Ein guter Ansatz zu mehr Klimaverträglichkeit. Doch das allein reicht Lauren Bright vom Biomimicry Institute noch nicht aus. Es müsse auch darum gehen, das Sourcing, also den Einkauf von Produkten, so zu organisieren, dass er in Premiumqualität zu einem guten Preis funktioniert. Nur so sei sichergestellt, dass die Landwirte und Landwirtinnen umweltfreundliche Anbaumethoden einsetzen und der „Wert" der Ware steigt. Das zu erreichen kann allerdings kaum von den Labels und Verbrauchern umgesetzt und finanziell entsprechend ausgeglichen werden. Hier brauche es auch klare Signale der Regierungen, nicht zuletzt, um die Abhängigkeit großer Zweige der Modeindustrie vom schädlichen Erdöl zu unterbinden, warf Chandra Prakash Jha vom Fashion for Biodiversity Solutions ein. Mode müsse ihren Preis haben, aber trotzdem wettbewerbsfähig bleiben, schließlich gehe es selbst bei Fast Fashion um Konsum. Wichtig sei in erster Linie, dass Mode und deren Produktion transparent bleiben. Durch neue Technik wie Satelliten und Drohnen ist es heute möglich zu überwachen, wie die Feldwirtschaft wirklich abläuft und ob tatsächlich keine schädlichen Düngemittel in den Boden gelangen. Ein wichtiger Schritt zu gesunder Landwirtschaft. Trotzdem mahnt Jha eindringlich:
„Lets go regenerative or die!" Ganz so drastisch formulierten die anderen Podiumsteilnehmenden ihre Lösungsansätze nicht, doch man war sich einig, dass nach wie vor Aufklärungsbedarf besteht. Es sei zudem sinnvoll, sich an einem offenen Brief zu beteiligen, der die „5 Commitments" aufgreift, die nötig sind, um nachhaltige Veränderungen zu bewirken, die anhaltend sind.
Produktionsketten sollen überdacht werden
Große Luxusmarken wie Chanel sind da schon einen Schritt weiter: Seit März läuft die Initiative „Chanel Mission 1.5". Damit fördern die Modemacher regenerative Landwirtschaft, in der die Produktqualität stimmt und gesunde Lebensmittel als Resultat daraus hervorgehen. Richard Malone, ein irischer Designer, geht sogar noch weiter und setzt sich gemeinsam mit den Oshadi Studios dafür ein, unfruchtbar gewordenes Land zu regenerieren, um neue Ernteflächen zu gewinnen. Das ist aktuell ein wichtiger Ansatz, denn pro Jahr geht schätzungsweise ein Prozent des gesunden Bodens verloren. Gleichzeitig wächst die Weltbevölkerung unaufhörlich, sodass Experten schätzen, dass sich die Landwirtschaft irgendwann dazu durchringen muss, ausschließlich Lebensmittel anzubauen statt Naturfasern. Für ihren Ansatz zum Flächenaufbau erhielten die Designer den Woolmark-Preis. Das Label Timberland ist ebenfalls bemüht, regenerativ zu arbeiten. Erklärtes Ziel ist es, bis zum Jahr 2030 ausschließlich Naturmaterialien zu verwenden, die aus entsprechend landwirtschaftlichem Anbau stammen. Alternativ dazu gibt es noch zwei andere Ansätze: Label wie Twothirds und Designer wie die Inderin Priya Ahluwalia versuchen, Textilien wieder zu recyceln und sie somit vor dem Müll zu bewahren. Das spart Naturfasern, die ohnehin rar sind. Adidas und Puma launchten ebenfalls einzelne Kollektionen, die auf diesem Ansatz beruhen. Hier nimmt man die Altschuhe auch gern zurück und recycelt sie. H&M macht es ähnlich und bietet Secondhand-Teile zum günstigen Preis an, die Kunden zuvor zurückgeschickt haben. Auch das reduziert den CO2-Abdruck enorm. Andere Hersteller suchen Alternativen zu den natürlichen Rohstoffen und stellen zum Beispiel Leder aus Apfelschalen (Sohotree) oder Pilzwurzeln (Stella McCartney) her. Die Pilzwurzeln wachsen in nur zwei Wochen und lassen sich zu einem Rohstoff verarbeiten, der ebenso positive Eigenschaften hat wie Leder, allerdings weitaus besser für die Umwelt und das Tierwohl ist. Pilzleder ist robust, wasserfest und widerstandsfähig. Deshalb bestehen immer mehr Schuhe und Handtaschen ausgewählter Labels daraus.
Bei so viel Einsatz für eine umweltbewusste Ressourcengewinnung ist es kein Wunder, dass die Modezeitschrift „Vogue" die regenerative Landwirtschaft zum Nachhaltigkeitstrend für das Jahr 2021 ausrief. Das Thema darf allerdings kein kurzweiliger Trend sein, sondern sollte zum zukünftigen Standard werden, sonst können alle Ideen und Projekte nicht fruchten und das Klima leidet weiter. Noch gilt der Schlüsselbegriff „regenerativ" scheinbar bei einigen Unternehmen als Türöffner, um das Image aufzupolieren. Hier werden kritische Stimmen laut, dass regenerative Mode nur als „Buzzword" Verwendung findet, um sich bei Kunden in einem besseren Licht darzustellen. Es reicht für große Unternehmen längst nicht aus, Geld für Maßnahmen zur Verfügung zu stellen. Es geht vielmehr darum, die Produktion langfristig umzulagern und sich über Einkauf, Herkunft und Verwendung der Rohstoffe Gedanken zu machen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob Naturfasern, neue Rohstoffe wie Apfelleder oder recycelte Materialien zum Einsatz kommen. Bei allen gilt, diese bewusst einzusetzen und sich nach dem Verkauf der neusten Kollektion auch darüber Gedanken zu machen, wie die schicken Teile nach dem Kauf irgendwann wieder recycelt werden können, um eine funktionierende Kreislaufwirtschaft herzustellen. Themen, die auch immer mehr Kunden interessieren, denn kleine Start-up-Labels mit guten Ideen wachsen wie Pilze aus dem Boden und zeigen, dass die Nachfrage nach Nachhaltigkeit da ist. Nun besteht Handlungsbedarf bei den ganz Großen der Branche, und zwar nicht nur in Form einzelner Sonderkollektionen.