Nach dem missratenen Saisonstart besinnt sich Eishockey-Meister Eisbären Berlin auf das einfache Spiel – und hat damit Erfolg. Doch für eine Aufholjagd in der DEL muss sich das Team noch steigern.
Es klingt kurios: Ausgerechnet der erste Saisonsieg markierte den Tiefpunkt des missratenen Starts der Eisbären Berlin in die Spielzeit 2022/23. Beim 5:4 nach Verlängerung gegen Aufsteiger Löwen Frankfurt am dritten Spieltag hielt sich der Jubel bei den Spielern und den 10.230 Fans in der Arena am Ostbahnhof deutlich in Grenzen. Es überwog der Frust, eine 4:0-Führung in der regulären Spielzeit nicht über die Runden gebracht zu haben. Das sei „inakzeptabel", sagte Angreifer Manuel Wiederer: „Den Punkt haben wir hergeschenkt." Wenn man es positiv betrachten wolle, „haben wir einen Weg gefunden, das Spiel noch zu gewinnen", ergänzte der 25-Jährige. Ihm persönlich reiche das aber nicht. „Ich hoffe, dass dies ein Weckruf an die Mannschaft war, dass 60 Minuten zu spielen sind und nicht nur zwei Drittel." Drei Spiele später muss man feststellen: Nein, ein Weckruf war es nicht unbedingt. Der Titelverteidiger verlor die anschließenden Partien gegen die Topclubs EHC Red Bull München (1:4) und Adler Mannheim (2:4). Dass die Stimmung beim Rekordchampion in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) nicht komplett im Keller war, lag am 5:2-Pflichtsieg zu Hause gegen die Düsseldorfer EG.
Hätte das Team von Trainer Serge Aubin auch dieses Spiel verloren, wären höchst ungemütliche Zeiten für Coach und Profis eingebrochen. „Es tut gut, jetzt zurück auf der Seite der Sieger zu stehen", sagte Aubin hinterher spürbar erleichtert. Die Startbilanz mit nur zwei Siegen und sechs Punkten aus den ersten sechs Partien ist zwar nach wie vor enttäuschend, aber zumindest besteht Hoffnung auf eine Trendwende. Im Auswärtsspiel bei ERC Ingolstadt am Freitag (7. Oktober, 19.30 Uhr) und in der Heimpartie zwei Tage später gegen die Nürnberg Ice Tigers müssen weitere Punkte her.
„Wir gehen unseren Weg weiter"
„Keine Sorge", sagte Aubin in der Pressekonferenz nach dem Sieg gegen Düsseldorf, „wir gehen unseren Weg weiter". Der Kanadier ist der festen Meinung, dass die schwerste Phase, vielleicht sogar die schwerste seit seiner Amtsübernahme im Jahr 2019, nun hinter dem Team liege. Er sei „sehr glücklich", aber der zweite Saisonsieg freue ihn vor allem „für die Jungs. Sie arbeiten sehr hart, hatten aber zuletzt keinen Erfolg". Deswegen sind die Eisbären zu ihren Grundtugenden zurückgekehrt, sie haben sich wieder an die Basics erinnert, die sie auch in den Vorjahren so stark gemacht hatten. „Wir haben es in der Offensive einfach gehalten. Wir haben die Pucks vors Tor gebracht, um die Abpraller gekämpft, um die zweiten, dritten Chancen", erklärte Aubin. Drei der fünf Tore seien aus diesen sehr simplen, aber effektiven „Puck-aufs-Tor-und-Nachsetzen"-Situationen entstanden, lobte der Trainer, „das ist sehr positiv".
Es zeigt auch, dass der Coach die Spieler immer noch gut erreicht. Denn der hatte ihnen vor der Begegnung immer wieder eingetrichtert: „Haltet es einfach! Bleibt in der Nähe des Pucks! Schlagt im richtigen Moment zu!" Und das taten die Eisbären. „Mit dieser Identität haben wir uns heute Nacht durchgesetzt", lobte Aubin. Der Meistertrainer weiß natürlich, dass spielerisch noch vieles auf der Strecke blieb und die Defensive nach wie vor nicht den höchsten Ansprüchen genügt. Aber er muss in der aktuellen Phase mit kleineren Verbesserungen zufrieden sein. Denn das Selbstvertrauen der Spieler hatte in den Auftritten davor mächtig gelitten.
Die Schlagzeilen in den Berliner Medien über den missratenen Saisonstart waren eindeutig: „EHC-Stars rumpeln weiter durch die Saison" („Berliner Kurier"), „Der Meister sucht seine Form" („Berliner Morgenpost"). Im Club selbst wollte man von einer Krise nichts wissen, die Devise lautete: Ruhe bewahren! „Das wird noch", versicherte Kapitän Frank Hördler. Der Routinier erinnerte daran, dass die Eisbären auch in der Vorsaison erst spät ins Rollen gekommen und dann in den Play-offs nicht mehr zu stoppen waren. Doch allein auf diese Comeback-Qualitäten zu vertrauen, wäre gefährlich. Genauso, wie die schwachen ersten Spiele nur mit fehlendem Spielglück oder den verletzten Leistungsträgern Leo Pföderl und Yannick Veilleux zu erklären. „Wir hatten bisher auch ein bisschen Pech", meinte Hördler, und Stürmer Wiederer verwies auf die Integration der zwölf neuen Spieler: „Mit dem blinden Verstehen dauert es einfach eine Weile."
Umso wichtiger sind in dieser heiklen Phase die Tore von Matt White. Der Angreifer war in der Vorsaison mit 32 Toren und 73 Scorerpunkten ein Garant für den Titel, in dieser Spielzeit lief es nicht rund – bis zum Düsseldorf-Spiel. Mit einem Doppelpack schoss sich White den Frust von der Seele, und alle Berliner hoffen, dass beim US-Amerikaner endlich der Knoten geplatzt ist. „Wir alle wissen: Matti ist ein Torjäger. Und wenn so einer längere Zeit nicht trifft, kann ihn das beschäftigen", sagte Aubin: „Wir sind sehr glücklich, dass er sich belohnt hat. Wir hoffen, dass er sich jetzt besser fühlt, wir brauchen ihn in seiner Bestform."
Auch in der Vorsaison erst spät angerollt
Öffentliche Kritik an seinem Starstürmer oder anderen Spieler hatte sich Aubin in den Wochen davor verkniffen – und das aus gutem Grund. „Nach einem schlechten Abend würde ich nicht mit dem Finger auf jemanden zeigen und einen Schuldigen suchen, sondern Möglichkeiten anbieten, daraus zu lernen", sagte der frühere NHL-Center dem „Tagesspiegel". Er bezeichnet sich als ein Trainer, der die Spieler stets antreibe, um „sicherzustellen, dass sie besser werden". Doch das gelinge nur über Vertrauen und Zusammenarbeit. Profis sollen bei ihm „die volle Überzeugung" haben, „dass sie von mir Hilfe erhalten".
Auch in einer Schwächeperiode wie zuletzt dürfe er von seinem Arbeitsansatz nicht abweichen, meinte Aubin. Als Trainer müsse man „immer diese Gesamtentwicklung im Auge haben und entsprechende Reize setzen". Und wenn es mal „ein, zwei Wochen etwas knirscht, ist das nicht schlimm, aber es muss klar sein, dass du nicht stehen bleibst". Auch der Kanadier verwies auf den Fakt, dass die Eisbären unter seiner Leitung stets besser wurden, „je weiter die Saison fortgeschritten war". Und das sei ihm „natürlich lieber, als wenn es andersherum wäre".
Mit dem Erfolgsgefühl der ersten drei vollen Punkte ließ sich das Highlight-Spiel gegen NHL-Club San Jose Sharks am vergangenen Dienstag auch leichter genießen. Denn genau das war es, was der Trainer den Eisbären-Profis im Duell mit den Kufencracks aus Nordamerika, zu denen seit diesem Sommer auch der deutsche Nationalspieler Nico Sturm gehört, mit auf dem Weg gegeben hatte. „In dem Spiel geht es nicht um Sieg oder Niederlage, sondern darum, möglichst gut zu spielen und dieses spezielle Event zu genießen", sagte Aubin.
Gerade für die jungen Spieler im Team, die die NHL-Stars bislang nur aus der Ferne kennen, sei das Testspiel eine „einmalige Erfahrung fürs Leben". Anders als bei einer normalen DEL-Partie wollte der Trainer größtenteils auf taktische Vorgaben und Anweisung verzichten. Seine Spieler sollten „mit freien Herzen und freien Köpfen" auflaufen und „Erfahrungen auf höchstem Eishockey-Level sammeln".
Und am Ende könnte man sehen, „wo wir im Vergleich stehen". Schon 2019 hatte die NHL im Rahmen der Global Series Challenge in Berlin Halt gemacht, damals schlugen sich die Eisbären beim 1:3 gegen die Chicago Blackhawks wacker.