Angepasste Impfstoffe und ein neues Infektionsschutzgesetz: Die Republik bereitet sich auf den dritten Pandemie-Herbst vor. Die Infektionszahlen steigen, und die Menschen sind ziemlich genervt.
Genervt von Covid? Nachvollziehbar nach den mehr als zweieinhalb Jahren, in denen uns das Virus mit immer neuen Varianten und Wellen konfrontiert hat. Eine Studie der HTW Saar (Hochschule für Technik und Wirtschaft, Saarbrücken) bestätigt nun, was die Alltagserfahrung lehrt. Drei Viertel der befragten Saarländerinnen und Saarländer zeigen deutliche Anzeichen von „Corona-Müdigkeit", so das Forscherteam um Tatjana König. Bei den Jüngeren ist der Anteil der Genervten noch deutlich höher. Die Stimmungslage im Rest der Republik dürfte den saarländischen Ergebnissen ziemlich ähneln.
Die Nerven werden weiter angespannt sein. Die jüngsten Infektionszahlen zeigen, dass sich die schon viel diskutierte und prognostizierte Herbstwelle offensichtlich allmählich aufbaut. Seit Mitte September steigen die Inzidenzzahlen kontinuierlich, und das Saarland nimmt aktuell einen Spitzenplatz ein.
Anfang Oktober lag die Sieben-Tage-Inzidenz im kleinsten Flächenland Saarland so bei 676,6. Nummer zwei im Landerranking ist aktuell der Freistaat Bayern, dass wohl auch durch das Oktoberfest einen Wert von 534,5 erreicht.
Dass die Inzidenzzahlen mit gewisser Zurückhaltung gelesen werden sollten, ist inzwischen bekannt. Die Entwicklung ist dennoch eindeutig. In der ersten Septemberhälfte lagen die Zahlen bundesweit im Schnitt unter 250, zu Beginn der letzten Septemberwoche wurde wieder die Zahl von 300 überschritten, seitdem zeigt die Kurve in eine Richtung: nach oben. Die Herbstwelle „baut sich langsam auf", befand Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Dass zu diesem Zeitpunkt auch Kanzler Olaf Scholz und Innenministerin Nancy Faeser, später auch Bauministerin Klara Geywitz positive Befunde melden mussten, passt ins Bild.
Inzidenzen bilden nicht alle Fälle ab
„Dass die Herbstwelle jetzt startet, davon kann man ausgehen", wird Kristan Schneider zitiert. Der österreichische Mathematiker modelliert die Pandemie seit ihrem Ausbruch und erstellt Prognosen über die Entwicklung. Kritiker werfen ihm zwar vor, seine Prognosen hätten über den registrierten Zahlen gelegen. Gleichzeitig gehen aber so ziemlich alle Experten davon aus, dass die registrierten und veröffentlichten Zahlen nur einen Teil des Infektionsgeschehens wiedergeben. Für die Annahme spricht eine Reihe von Gründen: Spätestens mit Auslaufen der kostenfreien Bürgertests hat die Testbereitschaft erkennbar nachgelassen. In die Statistik gehen zudem nur bestätigte PCR-Tests ein, und unregelmäßige Übermittlungen lassen auch die Vermutung zu, dass die Angaben nicht vollständig sind. Es gibt folglich eine Dunkelziffer, die sich allerdings ebenfalls kaum greifen lässt.
Dass die Infektionszahlen im Herbst wieder steigen würden, ist nicht überraschend. Nach den großen Ferien ist wieder Normalbetrieb, in Schulen und an den Arbeitsplätzen, enge Kontakte in Innenräumen nehmen mit den herbstlichen Temperaturen wieder zu. Also alles wie gehabt. Ob das Land mit dem kürzlich verabschiedeten neuen Infektionsschutz besser auf den dritten Corona-Herbst und -Winter vorbereitet ist, ist noch nicht wirklich ausgemacht. Noch liegen die Entwicklungen nicht in Bereichen, in denen auf den im Gesetz vorgesehenen Instrumentenkasten zurückgegriffen werden musste.
In Sachen Impfungen sind Vorbereitungen getroffen. Nach der Zulassung von angepassten neuen Impfstoffen ist die Auslieferung angelaufen, die Stiko (Ständige Impfkommission) hat ihre Empfehlungen veröffentlicht. Apothekerverbände meldeten gestiegene Nachfrage der Apotheken nach den neuen Impfstoffen, aber so wirklich viel hat sich im September an der gemeldeten Zahl geimpfter Menschen (noch) nicht getan. Obwohl hinzukommt, dass sich zum Stichtag 1. Oktober für viele Menschen der offizielle Impfstatus geändert hat. Menschen, die nur eine Impfung haben oder deren zweite Impfung bereits über ein Jahr her ist, haben den Status „vollständig geimpft" verloren. Wie alles ist es etwas komplizierter, wenn dazwischen noch eine überstandene Infektion („genesen") liegt. Einigermaßen sicher wäre also auf jeden Fall eine dritte Impfung (oder bei Älteren auch eine zweite Booster-Impfung.
Dabei haben die weiterentwickelten, angepassten Impfstoffe zunächst für etwas Verwirrung und Zögerlichkeit gesorgt. Viele haben auf die angepassten Impfstoffe gewartet. Der zunächst zugelassene war eine Anpassung auf die ersten Omikron-Varianten. Während der Sommerwelle hat sich nun aber mit den Varianten BA.4 und vor allem BA.5 weitere neue und hochansteckende Varianten durchgesetzt. Helfen nun also die zugelassenen Neuentwicklungen auch dagegen, ist somit eine der Fragen für eine mögliche Impfentscheidung.
Im Kern sind die Aussagen dazu weitgehend übereinstimmend: Die angepassten Impfstoffe verhindern zwar letztlich keine Infektion, aber sie sind eine signifikante Vorbeugung gegen schwere Verläufe. Da bei hochansteckenden Varianten (Omikron) eine Infektion also nie ganz auszuschließen ist, empfiehlt sich dringend eine entsprechende Auffrischung. Für vulnerable Gruppen und ältere Menschen gilt das ohnehin.
Impfung weiterhin Hauptschutz
Viele hatten sich mit den ersten Angeboten für eine Booster-Impfung entschieden. Zwischen Dezember 2021 und Februar 2022 stieg die Zahl der Booster-Impfungen sprunghaft von 12,5 auf fast 50 Millionen (und macht seither nur geringe Fortschritte, aktuell: 51,7 Millionen). Diese ersten Booster-Impfungen liegen folglich schon ein gutes halbes Jahr zurück. Erfahrungsgemäß lässt die Antikörperkonzentration nach vier bis sechs Monaten nach, eine Auffrischung wäre somit jetzt angezeigt.
Damit noch weiter zu warten, bis womöglich noch neuere Impfstoffanpassungen zur Verfügung stehen, wäre dabei wenig sinnvoll. Zum einen, weil die jetzt zugelassenen über die beschriebene Wirksamkeit verfügen. Zum anderen aber auch, weil Viren ständig neue Varianten entwickeln, somit der Impfstoffentwicklung naturgemäß immer voraus sind.
Der Leipziger Epidemiologe Markus Scholz geht derzeit davon aus, dass in der erwarteten Herbstwelle Omikron die weiter beherrschende Variante sein wird. Allerdings gehen nach allgemeinen Virus-Kenntnissen die Entwicklungen ständig weiter. Viren bilden permanent neue Unterarten und auch ganz neue Mutationen. Der Virologe Marco Binder vom Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg verweist auf Studien, die auf neue Varianten hindeuten, die möglicherweise die Abwehr gebildeter Antikörper unterlaufen könnten. Allerdings sind Antikörper nur ein Teil der Immunantwort (Stichwort: T-Zellen). Was sich aber durchsetzen könnte, sei nicht vorhersehbar. „Die Situation wird immer komplizierter", sagt Binder. Nur in einem Punkt ist er sich ziemlich sicher, „dass wir nach wie vor allem durch die Impfung und durch durchgemachte Infektion weiterhin einen ordentlichen Schutz vor schweren Krankheitsverläufen haben werden".