„In einem Land, das es nicht mehr gibt" läuft aktuell im Kino und porträtiert die offizielle und alternative Modeszene der DDR der späten 1980er-Jahre.
Ostberlin, 1989. Die 18-jährige Suzie (Marlene Burow) träumt von einem Studium der Literaturwissenschaft. Doch der Traum platzt. Wegen ihrer Kleidung wird sie von der Polizei kontrolliert. Und hat dabei dummerweise eine Ausgabe von George Orwells Buch „1984" in der Tasche, in dem der Schriftsteller Überwachung anprangert. Suzie fliegt von der Schule und muss in der Produktion anfangen. Sie bohrt Tag für Tag Löcher in Metallstücke.
Eines Tages macht ein junger Mann Fotos von ihr, während sie Straßenbahn fährt. Eines der Bilder, das sie am Fenster der Bahn zeigt, landet in der „Sibylle", der Mode- und Frauenzeitschrift der DDR.
Suzies jüngere Schwester, die gern Model werden würde, ist begeistert. Sie schreibt an die Redaktion. Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten: Sie sei noch zu jung, aber ihre Schwester könne sich gern bei der Zeitschrift melden.
Suzie geht in die Redaktionsräume der „Sibylle". Und erlebt dort eine Welt, die sie bis dahin nicht kannte. In der Redaktion herrscht eine kreative Atmosphäre, überall hängen Kleider herum und Modefotos werden gemacht. Chefin Dr. Elsa Wilbrodt (Claudia Michelsen) ist zunächst nicht besonders an Suzie interessiert. Aber Fotograf Coyote (David Schütter) setzt durch, dass er sie für die nächste Titelgeschichte fotografieren darf – in dem Betrieb, in dem sie arbeitet.
Pseudo-Unbeschwertheit
Regisseurin Aelrun Goette hat in dem Film ihre eigenen Erinnerungen verarbeitet. Sie selbst wurde in den 1980er-Jahren auf der Straße als Model entdeckt. Mit Schauspielern, die man überwiegend aus Serien und Fernsehproduktionen kennt, hat sie die Welt von damals nachempfunden. Das ist ihr sehr gut gelungen – was auch an der Leistung der Darsteller liegt.
Kein Medium stand so sehr für den Traum vom unbeschwerten, eleganten Leben im Sozialismus wie die „Sibylle". Für die Zeitschrift arbeiteten die bekanntesten Fotografen der DDR. Arno Fischer und Roger Mehlis etwa. Beide haben die Fotografie in der DDR maßgeblich beeinflusst.
Suzie kommt der kreativen Szene im Umfeld der Modezeitschrift schnell näher. Da ist Fotograf Coyote, der eigentlich bei der politischen Führung in Ungnade gefallen ist. Aber die Chefredakteurin setzt ihn trotzdem heimlich ein, weil sie seine Fotos liebt. Und dann ist da noch Rudi (Sabin Tambrea), der nebenbei in der Untergrund-Modeszene aktiv ist und eine eigene Modenschau plant.
Der Film porträtiert eine bislang relativ wenig beachtete Szene, die es in der DDR gab. Er zeigt, wie unter dem Schutzschild der Modezeitschrift kreatives, unkonventionelles Denken und Leben möglich war. Er zeigt aber auch, welche faulen Kompromisse die Beteiligten mitunter eingingen, um ihre privilegierte Position in einem System zu behalten, an das sie eigentlich nicht glaubten.
Zwischen Luxus und Stasi-Spitzel
Auch wenn es für jemanden, der nicht dabei war, schwer zu beurteilen ist: Die erzählte Geschichte wirkt realitätsnah. Klar ist: Die alternative Modeszene hat es gegeben. Ihr gehörte zum Beispiel der später als Türsteher des Technoclubs „Berghain" zur Legende gewordene Sven Marquardt an. Gleichzeitig fotografierte er für die „Sibylle".
Leichtigkeit bekommt die Handlung dadurch, dass sie im Jahr 1989 angesiedelt ist. Anders als für die Protagonisten ist für den Zuschauer so von Anfang an klar: Egal was passiert, in wenigen Monaten wird sowieso alles anders sein.
Nach dem erfolgreichen Fotoshooting im Betrieb soll Suzie mit zur Messe nach Leipzig fahren. Zur alljährlichen Präsentation von Kreationen der Luxusmarke Exquisit vor Parteifunktionären. Gleichzeitig merkt sie, dass der Staat versucht, die Freigeister der Modeszene unter Kontrolle zu halten. Die Wohnung von Coyote wird ganz offensichtlich von der Stasi beobachtet, und auch für sie bahnt sich die Frage an, wie sie zu den Autoritäten steht.