Für die Nordische Kombination ist der Winter der Anfang eines Kampfes um die Existenz. Als eine der ältesten Disziplinen im Winterspiele-Programm muss sich der Zweikampf für eine Zukunft bei Olympia in kurzer Zeit unter ungünstigen Voraussetzungen grundlegend modernisieren.
Eric Frenzel macht sich keine Illusionen. „Für die Zukunft der Nordischen Kombination sehe ich schwarz", sagte der erfolgreichste Athlet in der Geschichte des anspruchsvollen Winterzweikampfes aus Skisprung und Langlauf nach der Ablehnung von Frauen-Wettbewerben bei den nächsten Winterspielen 2026 durch das Internationale Olympische Komitee (IOC) zu Sommerbeginn. „Das sind", meinte der dreimalige Olympiasieger und siebenmalige Weltmeister weiter, „Zeichen gegen den Sport, gegen die traditionsreichen Sportarten, gegen alles, was Olympische Spiele ausmacht".
Wie Frenzel empfand auch die gesamte Branche den IOC-Beschluss als Todesurteil mit eingebauter Aufschubfrist. Tatsächlich nämlich könnten die Herren der Ringe durch ihren zumindest vorläufigen Korb für die Frauen nur die Einleitung des Sterbeprozesses eingeleitet haben. Der Auftakt der Weltcup-Saison Ende November im finnischen Ruka ist für die Kombinierer denn auch der Anfang ihres Kampfes um nichts weniger als die Existenz ihrer gesamten Sportart – womöglich aber auch schon der Anfang vom Ende.
Zumindest gibt die Ausgangslage nur sehr wenig Anlass zu Optimismus. Die Kombination ist die einzig noch verbliebene Disziplin bei Winterspielen ohne Frauen-Konkurrenzen, sodass der Vorstoß beim seit einiger Zeit an Gleichberechtigung arbeitenden IOC für die Aufnahme von Frauen bei den Spielen in vier Jahren in Mailand/Cortina d’Ampezzo geradezu alternativlos war. Der jüngste IOC-Beschluss in Verbindung mit der gleichzeitigen Forderung nach „deutlich positiven Entwicklungen" für einen Kurswechsel 2030 indes mutet geradezu zynisch an, weil die Ablehnung für 2026 zusammen mit dem ausdrücklich dicken Fragezeichen hinter 2030 nachwachsenden Generationen Zukunftsaussichten raubt – und von IOC-Vertretern außerdem ausdrücklich auch als „Signal für die Zukunft auch an die Männer" bezeichnet wird.
„Das sind Zeichen gegen den Sport"
Unbestritten kann der Weg zur Rettung nur über die Stärkung der Frauen-Sparte, die immerhin schon seit 2020 eine Weltcup-Saison austrägt und bei der bevorstehenden WM 2023 in Planica zum zweiten Mal nach ihrem Debüt im Vorjahr in Oberstdorf zum Programm gehört, erfolgen. „Aber wie", meint Frauen-Bundestrainer Florian Aichinger zur grundsätzlich entstandenen Problematik in seinem bislang aufstrebenden Fachbereich, „soll sich eine Sportart entwickeln können, wenn man ihr die Perspektiven nimmt?"
In der Tat dürften aktive Kombinierinnen ebenso wie vielversprechende Talente ihr weiteres Engagement für diesen Sport intensiv hinterfragen. Ohne die garantierte Aussicht auf Olympia-Teilnahme jedenfalls erscheint eine Laufbahn in der Kombination nicht sonderlich attraktiv. Denn ohne olympischen Glanz fühlen sich Sponsoren weniger angezogen, fallen andere Förderungen nahezu vollkommen weg, werden weitere Stützpunkte kaum noch eröffnet werden und TV-Anstalten wie Zuschauer kein ausreichendes Interesse mehr haben oder gar nicht erst entwickeln. So lassen sich „deutlich positive" Fortschritte, wie vom IOC angemahnt, allerdings kaum bewerkstelligen.
Wie so oft in prinzipiellen Fragen aber gibt das IOC in seinem ebenfalls überlebensnotwendigen Jugendwahn für seine Winterspiele einmal mehr Grund zu Kritik – die Begründungen für seinen weitreichenden und folgenreichen Beschluss sind schlichtweg oberflächlich und deswegen auch nur wenig überzeugend. Denn anders als vom IOC behauptet, wird die Kombination auch außerhalb von Europa betrieben und in den Teilnehmerfeldern sind auch immerhin 13 und eben nicht nur zehn Nationen vertreten. Die innovative WM-Premiere der Frauen-Kombination 2021 als einmaliges Ereignis nicht als Entwicklungsstufe zu bewerten und zudem als nicht ausreichend für 2026 einzustufen, verdeutlicht die löchrige Argumentation der Ringe-Organisation: Bis zu den nächsten Winterspielen finden noch zwei weitere Weltmeisterschaften statt.
Allem Unverständnis über das IOC und seine ganz spezielle Frauen-Förderung zum Trotz müssen die Macher der Kombination aber auch die brutale Realität zur Kenntnis nehmen: Die lautstark propagierte Gendergerechtigkeit kann das IOC 2030 außer durch die Aufnahme von Frauen-Wettbewerben auch noch auf eine andere Weise erreichen: durch den Rauswurf der Männer und mithin der seit den ersten Spielen dazugehörenden Sportart aus dem Olympia-Programm. Schon 2026 sind die Männer laut IOC nur aus Rücksicht auf die seit Jahren auf die Spiele in Italien hinarbeitenden Aktiven dabei. „Winterspiele ohne die Kombination wären wie Sommerspiele ohne die Leichtathletik", kommentierte der norwegische Weltmeister Jarl Magnus Riiber die trüben Aussichten.
Oberflächlich und wenig überzeugend
Nach der Überwindung des Schockzustands im Sommer hat die Szene die Herausforderung indes angenommen. Der Weltverband FIS hat bereits umfangreiche Reformpläne für künftige Olympia-Austragungen und zudem Konzepte für eine Neuausrichtung der Sportart ab der Weltcup-Saison 2023/24 vorgestellt.
Zum olympischen Facelifting soll neben der Reduzierung der Teilnehmerzahl die Ersetzung des langatmigen Mannschafts-Wettbewerbs durch einen kurzweiligeren Teamsprint gehören. Sollten die Frauen für 2030 doch aufgenommen werden, ist ein Mixed-Wettbewerb vorgesehen.
Zuvor will die FIS auch das Weltcup-Geschehen aufhübschen. Als Neuerungen stehen „Supersprints", Massenstartrennen und Mixed-Team-Wettbewerbe auf der Agenda. Darüber hinaus soll die Chancengleichheit durch ein einheitliches Skiwachs sowie die Reglementierung von Sprung- und Laufanzügen erhöht werden. Zur Betonung des Verständigungsgedankens im Sport setzt die FIS außerdem auf Entwicklungshilfeprogramme von Top-Nationen für schwächere Teilnehmerländer.