Diese Mode entstand rund um den Erdball aus Jahrtausende alten Kulturen: So in etwa ließen sich die Grundzüge von Bohemian-Fashion umschreiben. Und sie zu tragen war nie so kontrovers wie dieser Tage.
Das ist ethisch vertretbar und was nicht? Diese Frage beschäftigt gerade Medien, Politik und Veranstalter. Warum? Das ist nicht so leicht zu beantworten, wie es scheint. Zunächst bekamen hellhäutige Musiker mit Rastafrisuren in der Schweiz plötzlich Auftrittsverbot erteilt, weil einigen Zuschauern scheinbar ihre Frisuren nicht passten. Ähnlich erging es auch Ronja Maltzahn, die bei der Fridays-for-Future-Demo in Hannover eigentlich einen Auftritt haben sollte, der wegen ihrer Frisur von den Veranstaltern kurzerhand wieder abgesagt wurde. Dann mussten sich Liebhaber von Karl-May-Büchern plötzlich fragen, wieso (angeblich, Anm. d. Red.) keine Winnetou-Bücher mehr erscheinen dürfen. Selbst Kinderbücher sollten aus den Regalen verschwinden, kündigte der Verlag Ravensburger an. Als Grund nennen die Verantwortlichen „ein romantisierendes Bild mit vielen Klischees", mit denen man „die Gefühle anderer" (hier der indigenen Bevölkerung Nordamerikas) verletzt habe. Ob sich diese wirklich verletzt fühlten, sei dahingestellt – in einem Interview mit Native Americans unterschiedlicher Stämme in der „Bild"-Zeitung zumindest empfanden diese die literarischen Darstellungen nicht als rassistisch oder gemein.
Verklemmtheit loslassen
Wie dem auch sei, Vorwürfe von Rassismus und „kultureller Aneignung" scheinen dieser Tage kaum noch von Kunst zu trennen. Wie sieht es damit in der Mode aus? Hier gehört es zur festen Tradition, sich an anderen Kulturen und ihrer traditionellen Kleidung zu bedienen, um daraus neue Entwürfe zu kreieren. Jede Saison braucht schließlich frische Inspirationen. Ein buntes Potpourri an Möglichkeiten ist optimal für einen Stil, der so facettenreich wie kaum ein zweiter und unter dem Spitznamen Boho bekannt ist. Dabei handelt es sich um eine Abkürzung des Französischen Ausdrucks „bohème". Dieser steht für einen kreativen Freigeist, der Ausdruck findet in einer offenen Lebensweise, der Art, sich zu kleiden und sogar das ganze Zuhause entsprechend einzurichten. Entstanden ist dieser Freiheitsgedanke bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Als bekannteste Vorreiterin gilt Dora Maar. Sie war eine Muse des berühmten Malers Pablo Picasso und inspirierte seine Schaffensphasen durch ihre Schönheit. Dazu hüllte sie sich in persische Gewänder und schmückte ihr Haar mit Federn. Während der Hippie-Ära in den 60er- und 70er-Jahren kamen bunte, wilde Looks erneut in Mode und trugen den Freiheitsgedanken weiter. Da ist es auch kein Wunder, dass der klassische Hippie-Style und die Boho-Bewegung fast nahtlos miteinander verschmelzen. Mit einem entscheidenden Unterschied: Boho ist heute immer noch da und total angesagt. Selbst Designer wie Chanel oder Dior zeigen in schöner Regelmäßigkeit ausgefallene Entwürfe, kombiniert mit dramatischem Make-up. Auch das kann boho sein, einfach mal jedwede Verklemmtheit loslassen und sich entfalten, egal ob bei der Auswahl der Kleidung, der Art des Schminkens oder der Gestaltung der Frisur. Prominente Vorbilder gibt es schließlich reichlich, von Sienna Miller über Miley Cyrus bis hin zu Kate Moss startete der Stil zu Beginn der 2000er- Jahre erneut seinen Siegeszug, der bis heute anhält. Doch warum genau ist Boho-Chic eigentlich so beliebt und wie sieht er aus?
Neben Gipsy-Röcken, fließenden Kleidern, weiten Hosen, Tuniken, Westen, Schlapphüten und Cowboystiefeln ist es vor allem die Farb- und Mustervielfalt die seine Anhängerinnen begeistern. Unverkennbar sind hier natürlich auch zahlreiche Ethno-Motive zu finden – ob politisch korrekt oder nicht, sei an dieser Stelle einmal außen vor gelassen. Wichtig ist, dem Stil konsequent treu zu bleiben. Das bedeutet etwa, zum geblümten Maxikleid eine bequeme Tunika und Stiefel zu kombinieren. Stilbrüche sind nicht erwünscht, denn auch ohne ist schon viel los im Outfit. Mehr Abwechslung ist also nicht notwendig. Der Vorteil an der neu entdeckten Lässigkeit, die trotzdem ausgesprochen schick daherkommen kann, ist die Tatsache, dass der Stil für jeden funktioniert. Ganz gleich ob weibliche Rundungen oder schmale Taille, ob gebräunte Haut oder vornehme Blässe, ob jung oder alt: Boho vereint alle Generationen, ethnische Abstammungen und Geschmäcker gekonnt miteinander. Wahrscheinlich der beste Grund, warum der Trend niemals ausstirbt. Wer unbedingt ankommen möchte im Look, der findet bei nahezu jedem Modegeschäft online und offline schicke Boho-Elemente, die sich gekonnt kombinieren lassen.
Daneben gibt es ausgewählte Label, die sich diesem Stil verschrieben haben. Eines davon ist Weltentänzer Berlin. Hier findet sich von Kleidung bis hin zu Accessoires alles, was das Herz begehrt. Die einzelnen Stücke werden auf Bali angefertigt und dann nach Deutschland importiert. Dabei hat auch unser Nachbarland Österreich coole Kleidung zu bieten. Seit Neuestem gehört Ciao dazu, gegründet vor wenigen Monaten von Nina Nossal in Wien. Die war schon immer verliebt in die verspielten und romantischen Walle-Kleider, die sie überall im Urlaub auf den Kanarischen Inseln fand. Dabei waren viele aus Polyester hergestellt, ein echtes No-Go für die Nachwuchsdesignerin. Sie fertigt jetzt ihre Linie in Barcelona und zwar aus nachhaltigen Materialien unter fairen Bedingungen für Mensch und Natur.
Das Thema Nachhaltigkeit spielte auch für Sarah Hardie eine wichtige Rolle bei der Entstehung ihres Labels Fabrik. Hier finden ausschließlich Naturfasern wie Musselin oder Supima-Baumwolle Verwendung in den Kleidern, Tuniken, Rüschenblusen, Latzhosen und vielem mehr. Sogar eine eigene Kinder-Kollektion sowie unterschiedliche Homedekor-Angebote sind im Shop erhältlich. Das Label selbst hat seinen Sitz in Australien, lässt aber in Handarbeit sämtliche Modelle auf Bali fertigen. Dabei achtet die Gründerin auf faire Lohnkosten und humane Arbeitszeiten für ihre Angestellten.
Accessoires selbst herstellen
Es ist wenig überraschend, dass Boho-Schick und Fair-Fashion so wunderbar harmonieren. Schließlich geht es ja darum, wieder zu sich selbst und seinen Wurzeln zu finden. Kommen dabei auch Folklore-Motive der unterschiedlichsten Kulturen zum Tragen, scheint das hier zumindest noch niemanden zu stören. Ganz im Gegenteil! Kulturen finden dadurch Verehrung, Anerkennung für ihre Traditionen und nebenbei bleiben alte Handwerkstechniken und Muster erhalten, die sich dann zu neuen Motiven formen.
Das gilt nicht nur für die Kleidung, sondern ebenso für Stickereien auf Schuhen, Hüten und auch Schmuck. Was wäre schließlich ein Outfit ohne passende Accessoires? Ketten mit türkisfarbenen Steinen verziert aus Metall, Holz, Leder, Glas oder echten Edelsteinen gefertigt. Dazu passende Ohrringe mit Naturmotiven wie Muscheln, Blumen oder Blättern, vielleicht noch ein kunterbunt geflochtenes Armband oder ein Fußkettchen? Klassische Schmucklabel, die tolle Stücke im Sortiment haben, sind Bruna the Label, Holzkern, Julie & Grace oder Urban Boho Craft. Wer möchte, der kann selbst Ketten flechten oder sich aus Holz individuelle Anhänger schnitzen. Entsprechende Anleitungen und Bücher finden sich zum Beispiel über Amazon oder Thalia.
Die Accessoires, Kleider und lockeren Hosen sind nicht nur etwas für den Sommer, sondern auch für die kalte Jahreszeit. Dann kommt kurzerhand ein kuschelweicher Woll-Cardigan obendrüber, eine robuste Leder- oder eine Jeansjacke. Unter das Maxi-Kleid passen Strumpfhosen ebenso gut wie Leggings. Dazu dicke Strümpfe in den Stiefeln, schon kann der Winter kommen! Und der wird dann zumindest im Boho-Style nicht nur außerordentlich bequem, sondern auch ungewohnt bunt. Statt Tristesse warten Muster und Farben. Höchste Zeit also, die Hippie-Ära aufleben zu lassen und sich massenhaft Inspirationen zu holen.