Die Energiekrise macht auch vor dem Sport nicht Halt. Während der Fußball seine Verantwortung erkennt, sind andere Sportarten zum Energiesparen gezwungen. Im Amateur- und Breitensport könnte vielleicht nicht mal das ausreichen, um durch den Winter zu kommen.
Der Ball rollt – und der Stromzähler dreht sich. Auch der Profifußball hat erkannt, dass es in der aktuellen Energiekrise kein „Weiter so" geben darf, auch wenn er es sich in dem Milliardengeschäft wohl leisten könnte. Das Thema Energiesparen sei „längst sehr präsent", sagte Donata Hopfen, die Geschäftsführerin der Deutschen Fußball Liga, „alle befassen sich damit, welche Hebel sie haben". Auf dem riesigen Dach des Olympiastadions, in dem Hertha BSC seine Heimspiele austrägt, wurde zum Beispiel eine Photovoltaikanlage installiert, die knapp 615.000 Kilowattstunden Strom jährlich erzeugt und damit den Strombedarf von 205 Drei-Personen-Haushalten decken könnte. Fast alle Bundesligisten haben auf sparsamere LED-Lampen umgestellt, in den meisten Toiletten fließt für die Besucher nur noch kaltes Wasser zum Händewaschen. Die Profispieler von Schalke 04 bekamen in der ersten Pokalrunde beim Bremer SV sogar eine „kalte Dusche" ab, weil die Stadt aus Energiespargründen die zentrale Warmwasseranlage im Marschwegstadion abgestellt hatte.
Gladbach senkt die Temperatur
Borussia Mönchengladbach senkt die Temperatur für beheizte Räume um zwei Grad, was sechs Prozent Energiekosten einsparen soll. Der FC Bayern München schaltet die markante rote Außenbeleuchtung der eigenen Arena nur noch drei statt bislang sechs Stunden an. Beim Zweitligisten 1. FC Nürnberg könnten im übertragenen Sinne sogar die Lichter ausgehen. Die Stadt plant in ihrem Sparpaket unter anderem, den Betrieb der Flutlichtanlage und der Rasenheizung im Max-Morlock-Stadion ab 21 Uhr zu verbieten. Damit wäre für den Club kein Samstagabendspiel in der 2. Liga (Anstoß 20.30 Uhr) mehr möglich. Wie verschwenderisch teilweise im Profifußball mit den Ressourcen umgegangen wird, zeigt die Tatsache, dass selbst bei frühen Nachmittagsspielen die Flutlichtmasten hell erleuchten, weil dies eine bessere Auflösung der Bilder vom Spielfeld garantieren soll. Doch Zweitligist Karlsruher SC verzeichnete kürzlich bei einem Modellversuch, bei dem die Scheinwerfer eine Halbzeit lang ausblieben, keine nennenswerten negativen Auswirkungen.
Hopfen warnte davor, „den Profifußball – wie teilweise bei Corona – für Symbolpolitik zu missbrauchen". Dieses „Finger-Pointing" hatte auch Dirk Zingler aufs Schärfste verurteilt, doch der Präsident von Union Berlin erkennt die Verantwortung seiner Branche in diesen schweren Zeiten. Flutlichter und Rasenheizungen auf volle Pulle im Winter laufen zu lassen, während überall Strom rationiert oder gar abgestellt wird – das sei problematisch. Warum nicht wie in Skandinavien von März bis November spielen? „Wenn das wirklich alles eintritt, was prognostiziert wird, müssen wir in der Liga und mit unseren Medienpartnern auch über Spielpläne diskutieren", sagte Zingler: „Im Sommer ist es sowieso viel schöner als im Winter, wo man friert und das Bier zu kalt ist."
Im Vergleich zum Amateurfußball oder anderen Sportarten befindet sich der Profifußball aber noch in einer vergleichsweise komfortablen Situation. „Viele Vereine haben gerade die Sorge der Aufrechterhaltung des Spielbetriebs", berichtete Präsident Bernd Neuendorf vom Deutschen Fußball-Bund (DFB). Viele Plätze, Hallen und Bäder stünden in der Trägerschaft der Kommunen, und die würden bei Einsparungsmaßnahmen oft „leider als Erstes" geschlossen. Mit katastrophalen Folgen, wie Neuendorf meint. Er befürchtet ähnlich wie in der Corona-Krise „eine Kettenreaktion", die diesmal aber noch stärkere Auswirkungen in gesellschaftspolitischen Bereichen haben könnte. Auch der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Torsten Burmester, hob die Bedeutung des Sports als „unverzichtbaren Teil der sozialen Daseinsvorsorge" hervor, der eben nicht nur gesundheitsfördernde, sondern auch soziale Funktionen in der Gesellschaft erfülle.
„Dies muss bei allen Entscheidungen zur Gas- und Wärmeversorgung berücksichtigt werden", forderte Burmester. In der Bundesregierung scheint man sich dessen bewusst zu sein, beim jüngst vorgestellten „Wirtschaftlichen Abwehrschirm gegen die Folgen des russischen Angriffskrieges" sind auch die Sportvereine als Begünstigte aufgeführt. „Unsere Bemühungen der vergangenen Monate haben sich ausgezahlt, endlich finden die Sportvereine in Deutschland explizit Erwähnung", freute sich Thomas Weikert. Der DOSB-Präsident hofft nun auf eine schnelle Umsetzung der Maßnahmen, „denn sie sind für viele Sportvereine existenziell wichtig".
Vor allem der Schwimmsport zittert vor den Energiesparmaßnahmen in den kalten Monaten. Da der Betrieb von Schwimmbädern in der Regel sehr gasintensiv ist, könnten Städte und Kommunen hier schnell den Rotstift ansetzen. Selbst eine Reduzierung der Wassertemperatur als Kompromisslösung, wie sie in einigen Städten bereits praktiziert wird, sieht Topschwimmer Florian Wellbrock problematisch. „Wie will man da einem Fünf- oder Sechsjährigen beibringen, dass der jetzt ins kalte Wasser gehen muss und Spaß dabei haben soll, schwimmen zu lernen? Das ist aus meiner Sicht nicht möglich", sagte der Olympiasieger. Er glaubt: „Die Kinder werden darunter leiden. Das ist ein echtes Problem."
Laut des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV) waren schon vor der Pandemie von den 750.000 Kindern, die jedes Jahr von den Grundschulen an die weiterführenden Schulen wechseln, keine sicheren Schwimmer. Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) schlägt angesichts der zunehmenden Zahl an Nicht-Schwimmern Alarm, auch der frühere Schwimmstar Franziska van Almsick sorgt sich: „Wer nicht schwimmen kann ertrinkt." Sie könne zwar verstehen, dass die Versorgung der Unternehmen und Privathaushalte mit Energie derzeit Vorrang hätte, sagte die zweimalige Weltmeisterin der dpa, aber es sei bei dem Thema auch Weitsicht geboten: „Wenn mal etwas runtergefahren oder geschlossen ist, dauert es meistens lange, es wieder in Gang zu bringen".
„Die Kinder werden darunter leiden"
In der Energie-Krise müsse man auch die mittel- und langfristigen Kosten für einschränkende oder gar beendende Maßnahmen im Sportbereich einpreisen, da sind sich Experten einig. Er gehe davon aus, dass die körperliche Aktivität der Menschen in Deutschland und ganz Europa weiter abnehme, sagte Sportwissenschaftler Ingo Froböse: „Gerade der Sport, der normalerweise in der Winterzeit in Hallen stattfindet, wird zum Erliegen kommen." Der Professor für Prävention und Rehabilitation im Sport an der Deutschen Sporthochschule Köln warnte: „Damit nimmt die Gefahr, eine kranke Gesellschaft zu entwickeln, weiter zu."
Christian Siegel, der im DOSB für den Breitensport verantwortliche Ressortleiter, kann und will die Situation nicht beschönigen. „Für den Vereinssport stellt sich die aktuelle Situation existenzbedrohend dar", sagte er. Die nach zwei Jahren Corona-Pandemie ohnehin gebeutelten Vereine seien von den extremen Preissteigerungen entweder direkt oder über exorbitante Umlagen indirekt betroffen. Man sei sich aber bewusst, dass auch der Sport seinen Beitrag leisten müsse. Deshalb rief der DOSB alle im Dachverband angeschlossenen rund 90.000 Vereine auf, Strom und Gas zu drosseln. Ziel des Maßnahmenkatalogs und des sportstättenspezifischen Stufenplans ist, mindestens 20 Prozent Energie einzusparen. Auch der DFB versandte an die über 24.000 Mitgliedsvereine Tipps, wie man künftig Energie sparen könne. Das Horrorszenario müsse mit aller Macht abgewendet werden, so Siegel: „Einen pauschalen und flächendeckenden Sport-Lockdown darf es nicht wieder geben."
Existenzbedrohende Situation
Den fürchten auch Profivereine. Vor allem in der Deutschen Eishockey Liga (DEL), die mit den energieintensiven Eisflächen in der aktuellen Krise besonders gefährdet sind, schauen sie gebannt auf die Entwicklung. Kurzfristig sehen die DEL-Clubs zwar keine akuten Nöte, weil die meisten Eishallen städtisch betrieben werden und aktuell bindende Mietverträge existieren. Mittel- und langfristig, also bei den nächsten Vertragsverhandlungen, sieht die Sachlage aber schon anders aus. Gerade das Sterben älterer Hallen dürfte durch die Energie-Krise beschleunigt werden. Einfallsreichtum ist also gefragt, das geht von Photovoltaikanlagen auf dem Dach, wie bei der alten Halle der Düsseldorfer EG an der Brehmstraße bis hin zu Ideen über dünneres Eis oder die Verkleinerung der Spielfläche nach NHL-Vorbild. Der Nachwuchs könnte aber schon jetzt betroffen sein, denn für den gelten in der Regel keine bindenden Verträge. „Wir machen uns große Sorgen", sagte Michael Staade, der Präsident des DEG-Stammvereins: „Wir haben leider keinen Plan B für unsere Sportart."
Auch dem Bob- und Schlittenverband für Deutschland (BSD) bereitet die Lage großes Kopfzerbrechen, zumal die Kosten für den laufenden Betrieb von Eiskanälen schon in Normalzeiten exorbitant hoch waren. Die Vereisung der Bobbahnen in Deutschland verbraucht pro Saison jeweils etwa eine Million Kilowattstunden – so viel wie 250 Vier-Personen-Haushalte im Jahr. Als erste Maßnahmen werden die Bahnen nun später vereist und die Kühlung auf Minimalbetrieb gehalten. Außerdem wird die Eisdicke geringer gehalten. Ein Antrag auf Verschiebung des Saisonstarts für 2023/24 ist bei den Weltverbänden ebenfalls geplant. DOSB-Chef Thomas Weikert sieht all die „enormen Probleme", die demnächst sicher noch größer werden dürften. Doch er hegt auch die Hoffnung, dass der Sport ohne katastrophalen Schaden durch den Winter kommt. Er verweist auf die 25 Millionen Euro, die dem DOSB vom Parlament zur Verfügung gestellt wurden, um unter anderem durch eine bundesweite Kampagne, Menschen zu mehr Sport und Bewegung zu motivieren. Mehr Mitglieder gleich mehr Einnahmen gleich mehr Rücklagen in Krisenzeiten, so lautet die Rechnung. Doch die ist in der Energiekrise mit reichlich unbekannten Variablen verbunden.