Für Rita Staudt ging ein Wunsch in Erfüllung. Die 78-jährige Köllerbacherin durfte einen besonderen Schatz bei der TV-Sendung „Bares für Rares" anbieten.
Ob die handgestickten Nachthemden von Oma Frieda, die glanzpolierten Karnevalsorden von Opa Anton oder die selbst geschnitzte Nachtkommode vom Erbonkel Ferdinand: für die einen Raritäten, die sie in Ehren halten, für die anderen Erbstücke, die zu schade zum Wegwerfen sind. Aber was macht man mit Möbeln, Schmuck, Kleidung, die wertvoll sind oder erscheinen, aber letztlich im stillen Kämmerlein vor sich hin darben? Sie können – mit etwas Glück –
meistbietend verhökert werden. Möglich macht’s die ZDF-Sendung „Bares für Rares", die seit 2013 Millionen von Zuschauern nachmittags oder am frühen Abend vor den Fernseher bannt. Die Sendung zählt zu den erfolgreichsten Formaten im Zweiten, regelmäßig schauen bis zu drei Millionen Zuschauer zu.
In der von Horst Lichter moderierten Sendereihe stellen Zuschauer ihre mitgebrachten Antiquitäten, Raritäten oder Kuriositäten vor. Experten prüfen sie auf Echtheit und schätzen den Wert der Gegenstände. Horst Lichter kitzelt derweil aus den Verkäufern die persönliche Geschichte zu dem Exponat heraus. Wenn alles gut geht, können Anbieter im Gespräch mit einem wechselnden fünfköpfigen Händlergremium ihr „Schätzchen" vergolden.
Die Fernsehsendung, die sogar mit der Goldenen Kamera (2018) und dem Deutschen Fernsehpreis (2019) ausgezeichnet wurde, zählt auch zu den Lieblingssendungen von Rita Staudt aus Köllerbach.
Nur selten verpasst die rüstige Rentnerin eine Sendung, und insgeheim denkt sie sich: „Ich hätte auch so einiges, was ich dort anbieten könnte." So versucht sie schon seit knapp 30 Jahren, eine 64 Zentimeter hohe kupferpatinierte Zinkguss-Plastik auf Holzsockel zu verkaufen. „Der Hubertushirsch ist ein Erbstück von meinem verstorbenen Mann und hat zu keiner Zeit zu unserer Einrichtung gepasst. Eigentlich wurde der Hirsch nur hin- und hergeschoben. Zuletzt stand er jahrelang im Gästezimmer."
Doch alle Versuche, die Rarität in Bares zu verwandeln, scheiterten. Noch zu DM-Zeiten hat ein Kunst- und Auktionshaus in Saarbrücken in seiner Auktionsbroschüre den Hirsch für 3.800 DM (rund 1.900 Euro) zur Versteigerung angeboten. Vergebens. „Auch eine anschließende dreimonatige Überlassung im Auktionshaus war nicht von Erfolg gekrönt. Ein Kunde zeigte Interesse, störte sich jedoch an dem Kreuz im Geweih. Letztendlich musste ich die Plastik wieder mit nach Hause nehmen", erinnert sich Rita Staudt.
„Der Hirsch wurde eigentlich nur hin und her geschoben"
Abschrecken ließ sich die couragierte Saarländerin davon allerdings nicht. „Von einem Saarbrücker Kunsthistoriker bekam ich die Adressen diverser Kunst- und Auktionshäuser. Ich telefonierte mit München, Hannover, Düsseldorf, Würzburg und Hamburg. Ein Fax ging sogar an die Villa Grisebach in Berlin. Die Verantwortlichen dort teilten mir sehr freundlich mit, dass ihr Auktionsprogramm andere Schwerpunkte habe. Das Auktionshaus Dannenberg in Berlin reagierte erst gar nicht. Ich ließ nichts unversucht und schrieb sogar The Sladmore Gallery in London an. Die Antwort: ‚Wir beschäftigen uns nicht mit Werken deutscher Bildhauer des 19. Jahrhunderts und können Ihnen daher nicht weiterhelfen‘. Da mein Hirsch eine verkleinerte Ausführung der 1864 geschaffenen ‚Kolossalen Hubertusgruppe‘ für das Jagdschloss Promnitz (Schlesien) des Fürsten von Pleß ist, bot ich die Plastik dem Haus Schlesien in Heisterbacherrott an, ohne eine Rückmeldung zu bekommen." Auch ein Angebot an Graf Bolko von Hochberg, ein Nachfahre der Fürsten von Pleß, der in München lebt, blieb für Rita Staudt ohne Erfolg. Die Rentnerin ließ sich nicht beirren.
„Sogar bei der Firma Jägermeister wurde ich vorstellig. In ihrem Logo findet sich ein Hirschkopf mit Geweih und Kreuz. ‚Wir lagern solche Plastiken nicht‘, bekam ich zur Antwort. Schade, sie haben den Sinn nicht verstanden. Der Hirsch hätte prächtig in ihren Eingangsbereich gepasst, analog zum Firmenlogo. Stattdessen darbte der Hirsch in meinem Gästezimmer."
Das alles ist viele Jahre her. Vor zwei Jahren schließlich hatte sie den Mut, sich bei der Produktionsgesellschaft Warner Bros. ITVP Deutschland für die Fernsehsendung „Bares für Rares" zu bewerben. Verwegen, aber was hatte sie zu verlieren. Rita Staudt ist zu diesem Zeitpunkt stolze 78 Jahre und möchte endlich Platz in ihrem Gästezimmer.
„Nach geraumer Zeit kam der ersehnte Anruf, dass ich eingeladen werde. Juhu, war mein erster Gedanke, oje mein zweiter. Ich sollte ins Walzwerk von Pulheim kommen, doch wo liegt dieses Pulheim überhaupt? Wie komme ich mit dieser schweren Plastik dorthin? Pulheim liegt siebzehn Kilometer vor Köln. Meine Sorge war, dass ich vor dem Kölner Dom stehe und nicht mehr weiterkomme."
Am Abend vor der Abreise lud Rita Staudt den Hirsch in den Kofferraum ihres VW. Später rief ihre Nachbarin an, sie hatte das Garagentor offengelassen. Ein Zeichen der beginnenden Nervosität. Nicht nur wegen des Ausflugs ins Fernsehen. Mittlerweile war es März 2020. Das Coronavirus war in Deutschland angekommen. Die Aufzeichnung aber sollte stattfinden.
Von Horst Lichter war sie beeindruckt
Nach etlichen kleineren Pannen beim Programmieren des Navigationsgeräts und „Stabilitätsprobleme" in ihrem Wagen, die letzten Endes der ADAC beheben konnte, kam sie abends im Hotel an. Am nächsten Morgen war die Nervosität so groß, dass sie ihr Jackett im Hotel hängen ließ und kurz vor Aufzeichnen der Sendung noch mal ins Hotel zurückflitzen musste. Doch dann stand sie vor der Kamera.
„Von der Expertin Dr. Friederike Werner erfuhr ich, dass der Künstler Johannes Janda, ein deutscher Bildhauer des Klassizismus, den Hubertushirsch geschaffen habe und er von der Bronzegießerei Gladenbeck in Berlin gefertigt wurde. Ihre Schätzung: 1.000 bis 1.400 Euro. Wow!"
Von Horst Lichter war sie besonders beeindruckt. „Nachdem ich mich vorgestellt hatte mit dem Satz: ‚Hallo, ich bin die Rita aus dem schönen Saarland,‘ griff er geistesgegenwärtig ‚das schöne Saarland‘ auf und wir plauderten weiter. Meine Nervosität war wie weggeblasen, ich wurde richtig locker. Auch das Gespräch mit den Händlern fand in gelöster Atmosphäre statt. Die Plastik stand schon da. Nach ein paar Scherzen startete das Bieten. Letztlich verkaufte ich die Plastik für 1.550 Euro. Gut gelaufen!"
Zurück im Saarland wurde sie von ihren Freundinnen und Bekannten bombardiert mit Fragen, wann die Sendung ausgestrahlt werde. „Ein paar Monate dauerte es noch, dann war ich im Fernsehen zu sehen. Ich war begeistert. Zehn Minuten Fernsehstar. Ein tolles Gefühl. Wunderbar!" Und endlich Platz im Gästezimmer."