ARD-Wettermann Sven Plöger befasst sich in seinem neuesten Buch „Die Alpen und wie sie unser Wetter beeinflussen" wieder mit dem Klimawandel. Im Interview spricht der 55-Jährige darüber, wie er sich schon als Kind für Wetter interessierte, über die Verdrängung des Klimawandels und die Selbstüberschätzung der Deutschen.
Herr Plöger, wie hat Ihr Interesse für Wetter begonnen?
Als ich drei war, hat mein Vater gefragt, was ich später mal machen will. Da habe ich angeblich geantwortet, dass ich Vogel werden will. Ich war immer mit dem Blick in den Himmel unterwegs, wollte immer wissen, was da oben los ist.
Ab wann wurde klar, dass Sie Meteorologe werden wollen?
Schon in der siebten Klasse war allen meinen Mitschülern klar, der wird später mal im Fernsehen das Wetter vorhersagen. Mir aber nicht. Ich habe dann Meteorologie studiert und später bei Meteomedia in der Schweiz gearbeitet.
Wie kamen Sie zum Fernsehen?
Irgendwann war mal ein Radiotrainer da und coachte meine Kollegen. Der fragte mich, „Willst du auch mal Radio machen? Ich sagte: „Ich weiß nicht, ich muss hier immer die Berichte schreiben." Dann sagte er „Setz dich hin und mach mal zwei Minuten Wetterbericht". Das habe ich getan. Danach war er ganz schweigsam. Nach einer gefühlten halben Stunde habe ich mich entschuldigt und gesagt, dass ich das noch nie gemacht hätte. Er antwortet nur „Du bist eine Goldgrube, du musst Radio machen". Eine Woche später war ich im Radio. Zum Fernsehen kam ich dann mit dem berühmten Satz „Er sieht zwar scheiße aus, aber er kann reden". Das habe ich als Lob aufgefasst (lacht). Bis heute hat mich keiner rausgeschmissen.
Wie reagieren die Zuschauer auf falsche Vorhersagen?
Die Vorhersagen sind über einen langen Zeitraum im Mittel sehr gut, und man spürt, dass die Leute das goutieren. In 90 bis 95 Prozent aller Mails bedanken sich Leute dafür, dass sie gute Wettervorhersagen und Erklärungen bekommen. Aber klar ist auch, Wettervorhersage hat immer mit Wahrscheinlichkeiten zu tun. Und eine Vorhersage merkt man sich eher, wenn sie falsch war. Es wird problematisch, wenn es um Unwetter geht. Wir versuchen da sehr sorgsam zu sein, sonst stumpfen die Leute am Ende ab und denken „Na, das kommt ja sowieso nicht".
Als Meteorologe sind Sie hautnah dran an einem der wichtigsten Themen unserer Zeit – dem Klimawandel.
Eigentlich ist es für mich längst das Hauptthema geworden, weil ich es für unglaublich relevant halte. Schauen wir nur auf die zunehmenden Trockenperioden, wie den aktuellen Dürresommer, die Waldbrände im Umfeld des Mittelmeers oder die jüngste Hitzewelle in Pakistan und Indien. Trotzdem reagiert die Welt unheimlich langsam. Ich habe gerade ein Buch über die Alpen geschrieben, in dem ich mich auch mit dem Thema Klimawandel beschäftigt habe. Der wird ja allein schon offenbar wenn man die Entwicklung der Gletscher sieht. Wir kriegen immer wieder vor Augen geführt, dass die Vorhersagen von vor 30, 40 Jahren genau dem entsprechen, was wir heute erleben. Manchmal staune ich darüber, wie schwer wir uns tun, auf Fakten zu reagieren.
Warum ist das so?
Solange die Bedrohung, anders als bei Corona, noch nicht so konkret ist, reden wir uns die Welt schön, um nicht aktiv werden, nichts verändern zu müssen. Wir wollen unseren Wohlstand erhalten – dafür bin ich übrigens auch. Aber der Wohlstand, den wir heute haben, beruht vielfach auf Ausbeutung. Wir verbrauchen derzeit die Ressourcen von 1,8 Erden, haben aber nur eine. Auch ohne besondere gedankliche Leistung kann man festhalten, das wird auf Dauer so nicht gehen.
Wie verhindern wir den Kollaps?
Wir werden eine Transformation dieser Welt erleben. Es ist auch nicht die Frage, ob wir Lust dazu haben oder nicht. Das ist uninteressant für die Physik. Das ist ein emotionsloser Prozess. Wir lösen ihn aus, und es wird passieren. Die Frage ist, ob wir in der Lage sind, das zu verstehen und selber agieren. Das heißt, dass wir diese Transformation aktiv gestalten. Im Moment sehen wir, dass wir das nicht ausreichend tun. Wenn wir aber nur reagieren, dann haben wir irgendwann sehr viel menschliches Leid und auch Kosten, die wir volkswirtschaftlich nirgends auf der Welt tragen können. Das ist der spannende Punkt: Wie lange braucht der Mensch noch, um seine Lage wirklich zu verstehen?
Haben wir denn noch Zeit?
Etwas Zeit haben wir noch, aber nicht mehr viel. Das schrumpft jetzt so auf einen Dekadenzeitraum, also fünf bis zehn Jahre. Das 1,5-Grad-Ziel werden wir reißen. So tragisch das ist. Wenn wir alles genauso weitermachen wie bisher, werden wir 2,9 bis 3 Grad Temperaturanstieg bis Ende des Jahrhunderts haben.
Was würde das bedeuten?
Ich weigere mich immer, eine Antwort auf diese Frage zu geben. Ich weigere mich, eine dystopische Apokalyptiker-Haltung einzunehmen. Was will ich denn damit vermitteln? Wie will ich so Menschen anstecken, Dinge zu tun? Auch wenn ich natürlich Zweifel habe, wenn ich auf die Welt schaue. Ich sehe ja die Dinge, die schlecht laufen. Aber ich kann auch auf einzelne Projekte gucken, die tatsächlich erfolgreich gemacht werden. Wir neigen dazu, uns ständig das Negative vor Augen zu führen, das Positive aber überhaupt nicht zu erwähnen. Es gibt viele kleine Sachen, die gut sind. Es wird auch die Politik der kleinen Schritte sein müssen.
Welcher Schritt müsste jetzt sofort folgen?
Ich sehe sehr viele kleine und mittelständische Unternehmen, die mit guten Ideen vorangehen. Ich glaube, man muss am Ende die Politik ein bisschen hinterherziehen. Und ich glaube an einen zweiten Punkt, der eigentlich mein Kernpunkt ist. Ich sehe nicht, dass wir als Gesellschaft plötzlich geläutert sagen „Menschenskind, jetzt haben wir es wirklich eingesehen, wir haben ganz viele Fehler gemacht und zu lange gewartet, aber jetzt machen wir alles anders und besser." Ich sehe auch nicht, dass ein Erfolg eintritt, wenn zehn Prozent Idealisten sagen, wir stellen unser Leben um.
Das nutzt nichts, wenn es 90 Prozent nicht machen. Deswegen behaupte ich: Wir müssen aus dem Klimaschutz ein Jahrhundertgeschäft machen. Eins, bei dem alle mitmachen wollen, das ein Wachstum, aber eines in die richtige Richtung, kreiert. Ohne Wachstum funktioniert das ganze System nicht. Nicht in dem Sinne von schneller, weiter, höher, mehr, sondern im Sinne der Möglichkeiten, die wir haben. Dazu gehört natürlich eine Verhaltensänderung, aber auch Technologie.
Das Gegenargument ist oft: Wenn wir das allein machen, nützt das nichts, denn die Hauptverschmutzer sind China, Indien und die USA
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Ich finde es immer ganz schwierig, wenn man auf die anderen zeigt und sagt, so lange die nichts machen, mache ich auch nichts. Es ist wie beim Sport. Ich muss auf meinen Wettkampf schauen, ich habe meine Möglichkeiten. Alles andere ist für mich ein reines Ausweichargument. Ich komme weiter, wenn ich Impulse setze und andere was nachmachen. Wir dürfen auch Vorreiter sein mit unserer Technologie, wir sind ein Erfinderland.
Und wir in Deutschland?
Wir Deutschen neigen zu einer irrsinnigen Selbstüberschätzung. Wir glauben, dass wir sehr gut sind. Das ist falsch. In Sachen Emission sind wir auf Platz sechs von 194 Ländern. Das heißt 188 Länder sind besser als wir. Pro Kopf und Jahr emittiert der Deutsche 9,4 Tonnen, der Chinese 8,4, der Inder ist bei 2,2 Tonnen. Da kann ich nicht sagen, der Inder verschmutzt die Welt.
Warum machen wir so wenig?
Wenn man wie wir vom Wohlstandsberg kommt und vom Gipfel losgeht, dann geht’s gefühlt immer nach unten. Diese Angst lässt einen klammern, lässt einen anfangen, Rechtfertigungsgeschichten zu erzählen. Besonders jene, die wenig Ahnung von Physik haben, erzählen, dass die Klimaforschung nicht Recht hat. Obwohl man ja deutlich sehen kann, dass sie es hat.