Erasmus von Rotterdam war einer der größten Gelehrten seiner Zeit. Kosmopolitisch gesinnt, arbeitete er in England, Italien, Frankreich, Deutschland und vor allem im schweizerischen Basel. Zwar wollte er die Kirche reformieren – doch Martin Luthers radikale Ideen lehnte er ab.
Der Universalgelehrte Desiderius Erasmus von Rotterdam, meist einfach nur Erasmus genannt, gilt als einflussreichster Humanist der Neuzeit. Er beschäftigte sich mit Theologie, Philosophie und Alten Sprachen, war Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher. Erasmus wuchs auf im Übergang vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit. Wann und wo er geboren wurde, ist allerdings nicht genau bekannt. Es muss zwischen 1464 und 1469, in Gouda oder Rotterdam gewesen sein, vermutlich an einem 28. Oktober. Er war der uneheliche Sohn eines Priesters aus der Handelsstadt Gouda und einer verwitweten Arzttochter.
Zunächst wollte Erasmus Priester werden und trat ins Augustiner-Kloster in Steyn bei Gouda ein, wo er Tag und Nacht in der Bibliothek verbrachte. Nach der Priesterweihe stellte der Bischof von Cambrai den wissbegierigen jungen Mönch als Sekretär ein. Später verschaffte er ihm einen Studienplatz an der Pariser Sorbonne. Dort im Studentenwohnheim gab es feuchte Schlafplätze, verdorbenes Essen und sogar Schläge für faule Studenten. Da machte sich Erasmus lieber finanziell unabhängig, indem er Privatunterricht gab und für seine Schüler kurzweilige Latein-Lehrbücher, sogenannte Colloquien, verfasste. Heimisch wurde er nie an der Sorbonne, blieb doch die Hochschule fest in der Scholastik, der mittelalterlichen Theologie, verhaftet.
1499 zog Erasmus nach England, wo er ein aufgeschlossenes Klima vorfand. Hier freundete er sich mit Thomas Morus an, der mit seinem Roman „Utopia" zum Namensgeber einer ganzen Literaturgattung wurde. 1506 begab sich Erasmus auf eine dreijährige Italienreise, während der er in Turin zum Doktor der Theologie promovierte. Auf der Heimreise kam ihm beim Ritt über den Alpenpass die Idee zu seinem bekanntesten Werk, dem „Lob der Torheit", das er dann in London ausarbeitete. Es handelt sich um ein ironisches Loblied auf die Dummheit. Ohne Unvernunft und Selbsttäuschung könne kein Mensch ein zufriedenes Leben führen, lässt Stultitia, die personifizierte Dummheit, den Leser wissen. Die Dame beschreibt den alltäglichen Wahnsinn in der Gesellschaft – über diesen ironischen Umweg konnte sich Erasmus eine Kritik der Kirche erlauben, ohne dafür angefeindet zu werden. Sein „Lob der Torheit" wurde bis zu seinem Tod mehr als 30-mal aufgelegt – ein Bestseller!
Ironisches Loblied auf die Dummheit
1514 reiste Erasmus erstmals nach Basel, einem Zentrum der Papier-Herstellung und des Buchdrucks; rund 60 Druckereien gab es hier. Erasmus suchte den Drucker Johannes Froben auf, der eine meisterhafte Ausgabe seines „Lob der Torheit" vorgelegt hatte; auf gutem Papier und in feiner aldinischer Kursivschrift anstatt in den eckigen gotischen Buchstaben. Froben wohnte im Haus „Zum Sessel" im Totengässlein, das heute das Pharmaziemuseum beherbergt. Die beiden Männer waren sich auf Anhieb sympathisch, sodass Erasmus auf der Stelle samt Pferd und Gepäck bei Froben einzog und zwei Jahre blieb.
Froben wurde sein wichtigster Drucker. Bei ihm konnte Erasmus seine Schriften leserfreundlich gestalten; mit Anmerkungen und Zusammenfassungen. 1516 verlegten die beiden sein „Novum Instrumentum omne", die erste zweisprachige Ausgabe des Neuen Testaments. In einer Spalte war das griechische Original abgedruckt, in der Spalte daneben eine lateinische Neuübersetzung. Nicht zuletzt aufgrund der guten Zusammenarbeit mit Froben ließ sich Erasmus 1521 dauerhaft in Basel nieder. Froben kaufte drei Häuser am Nadelberg, von denen er das Haus „Zur alten Treu" mit der Hausnummer 17 Erasmus zum Wohnen überließ. Acht Jahre lebte er in diesem Gebäude, in dem man heute in einer geisteswissenschaftlichen Buchhandlung stöbern kann.
Erasmus lockte weitere Humanisten nach Basel, zum Beispiel den Heilkundler Paracelsus. Er war mit dem dortigen Reformator befreundet, Johannes Oekolampad, und ließ sich von Maler Hans Holbein dem Jüngeren insgesamt sechsmal porträtieren. Während seiner Anwesenheit entwickelte sich Basel zu einem geistigen und kulturellen Zentrum von europaweiter Ausstrahlung. Erasmus war ein Pazifist, auch wenn dieser Begriff damals nicht verwendet wurde. Er veröffentlichte mehrere Schriften gegen den Krieg, mit denen er sich vom Kirchenvater Augustinus von Hippo abgrenzte: Während Augustinus Maßstäbe für den gerechten Krieg formuliert hatte, stellte Erasmus fest, dass Christus den Krieg nie und unter keinen Umständen rechtfertigte. „Der Krieg ist eine Ungeheuerlichkeit, die zu wilden Tieren, aber nicht zu Menschen passt", so Erasmus.
Tragisch ist, dass dieser friedliebende Mensch in die wildesten Ausbrüche religiöser Leidenschaft gerissen wurde. Dem Aufbruch der Renaissance sollte kein Zeitalter der Vernunft und Toleranz folgen, sondern eine Epoche mit verheerenden Religionskriegen, die große Teile Europas zerstörten. Erasmus wichtigster Gegenspieler wurde Martin Luther – obwohl Erasmus den Boden für Luthers Bibel-Übersetzung bereitet hatte: Als Luther sich 1521 als „Junker Jörg" auf der Wartburg verbarg und dort das Neue Testament ins Deutsche übersetzte, war ihm das „Novum Instrumentum omne", der von Erasmus herausgegebene griechische Urtext, eine wichtige Grundlage.
Anfangs hielten sich beide für Gleichgesinnte: Sie wollten die Kirche reformieren, hatten aber keine Spaltung im Sinn. Erasmus hoffte, mit dem Papst gemeinsam die Probleme zu lösen. Er wollte den Priestern die Ehe erlauben und missbilligte die Zerstörung von Heiligenbildern und Statuen. Doch Luther wurde ihm bald zu radikal. Während der deutsche Reformator die Menschheit in Gut und Böse teilte, weil Rettung oder Verdammnis von vornherein feststünden, sah Erasmus den Menschen als lernfähiges Wesen. Erasmus hielt es auch für problematisch, den „Willen Gottes" mit Gewalt durchzusetzen. Er suchte nach einem Weg, wie Altgläubige und Reformierte friedlich zusammenleben könnten. Luther hingegen beschimpfte Erasmus als Ungläubigen und bezeichnete ihn schließlich gar als „diabolum incarnatum", als leibhaftigen Teufel.
, der versöhnen und nicht Partei ergreifen wollte, wurde schließlich von beiden Seiten gehasst. Auch die Katholiken verteufelten ihn und setzten seine Schriften auf den Index. In Basel hatte es Erasmus immerhin jahrelang geschafft, den Stadtrat vom Gebot der Neutralität zu überzeugen. Zunächst positionierte sich der Rat weder für noch gegen die Reformation. Hier setzte schließlich die Stadtbevölkerung ihren Willen durch. 1529 brachen nach der „Basler Fasnacht" Unruhen aus, und ein gewaltsamer reformatorischer Bildersturm tobte durch die Kirchen. Die Handwerker-Zünfte zwangen den Rat schließlich zur Einführung der Reformation.
„Ich weiche keinem" war sein Motto
Geistliche und der Bürgermeister mit seinen Anhängern flohen aus der Stadt. Erasmus von Rotterdam, der mit dieser Entwicklung nicht einverstanden war, begab sich ans Rheinufer und fuhr flussabwärts ins katholische Freiburg im Breisgau. Inzwischen war er wohlhabend genug, um sich hier ein eigenes Haus zu kaufen. Sein Basler Drucker Johannes Froben war inzwischen gestorben. Dessen Sohn Hieronymus Froben hatte die Druckerei übernommen, brachte weiterhin Erasmus’ Schriften und Neuauflagen auf den Markt, und war in das Haus „Zum Luft" an der Bäumleingasse umgezogen, dem heutigen Erasmus-Haus mit seinem traditionsreichen Antiquariat.
Im Mai 1535 kam der gesundheitlich angeschlagene Gelehrte nach Basel, um dem Druck seiner Predigtlehre „Ecclesiastes" beizuwohnen. Doch seine Gicht verschlimmerte sich, sodass er bei Hieronymus Froben ein Zimmer bezog und schmerzgeplagt hier weiterarbeitete. In der Nacht vom 11. auf den 12. Juli 1536 starb Erasmus mit etwa 70 Jahren unter Frobens Dach. „Lieve God", in seiner niederländischen Muttersprache „lieber Gott", sollen seine letzten Worte gewesen sein.
Der Katholik Erasmus hatte im inzwischen reformierten Basel ein solches Ansehen, dass sein Leichnam feierlich im Münster-Kreuzgang beigesetzt wurde. Zwei Jahre später errichteten seine Freunde ein Epitaph, ein symbolisches Grabmal, das bis heute im Seitenschiff des Münsters hängt. Über der vergoldeten Inschrift zeigt es Terminus, den römischen Gott der Begrenzung. Dessen Sinnspruch „concedo nulli" („Ich weiche keinem") war das Lebensmotto des großen Gelehrten, der sich an keine Front stellte, sondern sich gegen jeglichen Fanatismus wandte – den größten Feind des freien Denkens.