Die deutsche Nummer eins im Dartssport, Gabriel Clemens, gehört zu den Besten der Welt. Doch in der ersten Jahreshälfte lief es für ihn nicht rund. Rechtzeitig zur „heißen Phase" der Saison hat er zu seiner Form gefunden.
Fast alle Turnier-Qualifikationen, die er am Jahresende 2022 haben wollte, hat Darts-Profi Gabriel Clemens bereits in der Tasche. Der „German Giant" (englisch für: „Deutscher Riese") aus Saarwellingen ist in der heißen Phase der Saison gut drauf. Bei der Europameisterschaft in der Dortmunder Westfalenhalle war für den Saarländer nach dem 4:6 gegen Topspieler Jonny Clayton schon in der ersten Runde Endstation. Wie schon in den Jahren zuvor: 2020 schied er gegen den aktuellen Weltranglisten-Zweiten Peter Wright und 2021 gegen Damon Heta (derzeit Platz 18) aus.
Die Saison 2021 hat Gabriel Clemens auf Weltranglisten-Platz 21 abgeschlossen und damit so gut wie nie zuvor. Allerdings nimmt er erst seit 2018 an Turnieren des Weltverbandes Professional Darts Corporation (PDC) teil und ist erst seit Februar 2019 als Profi unterwegs. Zum 1. Februar 2019 wurde der gelernte Industriemechaniker – zunächst für ein Jahr – von seinem Arbeitgeber Entsorgungsverband Saar (EVS) freigestellt, um seine Möglichkeiten als Profi auszuloten. Die richtige Entscheidung, wie sich herausstellte: Derzeit rangiert der „Saarsportler des Jahres 2020" mit 235.750 Pfund Preisgeld auf Platz 23 der PDC-Rangliste. Und das, obwohl er in der ersten Jahreshälfte eine echte Formkrise durchmachte. Oft schied er schon in der ersten Runde aus und konnte weder Preisgelder noch Selbstvertrauen einsammeln. Statt mit mehr und intensiveren Trainingseinheiten gegen die Krise anarbeiten zu können, machte ihm zudem eine hartnäckige Verletzung monatelang zu schaffen: ein sogenannter Ellenhakensporn. Doch der 39-Jährige schaffte es in der Folge mit Geduld und Unterstützung, die schwärzeste Phase seiner noch jungen Karriere zu überwinden. Unter anderem arbeitet Clemens seit Mai an der Hermann-Neuberger-Sportschule in Saarbrücken mit Athletiktrainer Oliver Muelbredt zusammen. „Das klappt wirklich super, Oli hilft mir sehr. Ich bin zweimal pro Woche dort, und er hat mir auch Übungen gezeigt, die ich im Hotelzimmer machen kann", sagt Clemens. Darüber hinaus nimmt „Gaga" schon seit Längerem die Dienste des Mentaltrainers Mark Klinger in Anspruch. Auch mit dieser Unterstützung gelang schon im Juni die Wende: Bei der Darts-Team-Weltmeisterschaft schaffte es Clemens mit seinem Nationalmannschafts-Partner Martin Schindler bis ins Viertelfinale.
Schwerer Start: „Niederlagen machen keinen Spaß"
Nach der Sommerpause eröffnete die PDC Europe mit den Hungarian Darts Open in Budapest Anfang September die zweite Saisonhälfte. Dort reichte es für „Gaga" noch nicht für den Einzug in die dritte Runde. Doch nur wenige Wochen später gelang ihm Ende September in Belgien eine Premiere: „Ich war nach dem Spiel sauer auf mich", gab er nach der knappen 6:5-Niederlage gegen Jonny Clayton zu, „Aber auch stolz einen Schritt weitergekommen zu sein mit meinem ersten Viertelfinale bei der European Tour." Das zweite folgte Mitte Oktober bei der Gibraltar Darts Trophy 2022. In der ersten Runde setzte sich Clemens gegen den Engländer Adam Hunt mit 6:4 durch, tags darauf schlug er die belgische Nummer eins, den Weltranglisten-14. Dimitri Van den Bergh mit 6:1. Mit dem gleichen Ergebnis schickte Clemens im Achtelfinale die Nummer eins aus Österreich, Mensur Suljovic, nach Hause. Erst gegen den späteren Sieger Damon Heta war Schluss (Endstand: 4:6). „Natürlich machen Niederlagen keinen Spaß. Aber ich bin mit meinen Leistungen rückblickend zufrieden. Außerdem habe ich mich damit noch für die EM qualifiziert", sagt Clemens. Ebenfalls qualifizieren möchte er sich auch noch für den mit 650.000 Pfund Preisgeld dotieren Grand Slam of Darts, der vom 12. bis zum 20. November 2022 im Aldersley Leisure Village in Wolverhampton/England stattfindet. Clemens’ Teilnahmen an den restlichen Events des Jahres sind bereits gesichert. Darunter auch die zwischen dem 25. und 27. November stattfindenden Players Championship Finals. Auch das Ticket für die im Januar 2023 stattfindende Weltmeisterschaft in London ist ihm sicher. Clemens wird im berüchtigten „Ally Pally" (Alexandra Palace) wohl gesetzt sein und demnach erst in der zweiten Runde in das Turnier einsteigen.
Verschiedene Trainingsspiele gegen die Langeweile
Bevor es so weit ist, bereitet sich der aus Honzrath stammende und in Saarwellingen wohnhafte sanfte Riese akribisch auf die nächsten Turniere vor. Am liebsten in seiner saarländischen Heimat. Dort arbeitet er auch zeitweise wieder – und zwar in seinem eigenen Dartsshop in Saarwellingen. Die Sportart bestimmt schon lange sein Leben. Im Alter von 18 Jahren fing Clemens mit E-Darts, dem aus Kneipen bekannten Automaten-Darts, an. Wenig später ging er schon in der Bundesliga an den Start, später auch in der Steeldarts-Bundesliga, in der – wie auf der PDC-Tour – mit Pfeilen aus Stahl auf Scheiben aus Pflanzenfasern (Sisal-Borsten) geworfen wird. Das eigentliche Darts-Training im eigens gebauten Trainingsraum in Reisbach übernimmt Clemens selbst. „Ich gestalte das dann recht abwechslungsreich. Es gibt verschiedene Trainingsspiele, damit es nicht langweilig wird", erklärt er.
Dass es dem derzeit besten deutschen Dartsprofi in den kommenden Monaten langweilig wird, ist ausgeschlossen. Ob er für ähnliche Highlights sorgen kann wie in den vergangenen Jahren, ist allerdings offen. Unvergessen bleibt sein Sieg über den amtierenden Weltmeister bei der WM 2020: Vor den Augen eines Millionenpublikums an den Bildschirmen warf er Titelverteidiger Peter Wright aus dem Turnier und zog als erster Deutscher in das Achtelfinale einer WM ein. Dort war zwar nach einem an Hochspannung nicht zu überbietenden Duell gegen den Polen Krzysztof Ratajski Schluss – doch die deutsche Dartswelt hat seitdem einen neuen Star.