Der Welt-Motorsport trauert um seinen einflussreichsten Gönner und verneigt sich zugleich vor seinem größten Sponsor. Der Österreicher Multi-Milliardär, bescheidene Visionär und Unternehmer Dietrich Mateschitz ist vor dem US-Grand Prix im Alter von 78 Jahren verstorben.
Die erschütternde Nachricht vom Tod des Getränke-Giganten-Gründers Red Bull und dessen „Chef-Bulle" Dietrich Mateschitz aus dem gleichnamigen Rennstall kam nicht überraschend – und doch unverhofft. Erreicht hat sie Mateschitz’ Statthalter, Freund und Landsmann Helmut Marko (79) vor der Zeitenjagd (Qualifikation) für die Startaufstellung zum US-Grand Prix in Austin/Texas (22. Oktober). Verbreitet hatte diese Todesnachricht als erste Quelle das Motorsport-Magazin „Speedweek", eine Publikation des Red-Bull-Konzerns.
„Wir wussten, dass Herr Mateschitz in einem sehr schweren gesundheitlichen Zustand war. Für uns ist sein Tod aber unfassbar. Er war eine große Persönlichkeit, die zu früh abtreten musste", sagte Helmut Marko, Sportchef und Chefberater des WM-Rennstalls Red Bull. Der 78-jährige Mateschitz erlag einem langen, schweren Krebsleiden.
Viele ehemalige und aktuelle Fahrer haben ihren Karrieresprung in die Formel 1 dem verstorbenem Patriarchen zu verdanken. So äußerte sich zum Tod von Mateschitz Ferrari-Pilot Charles Leclerc: „Es ist unheimlich traurig. Ein herber Verlust für den Motorsport." Ferrari-Stallgefährte Carlos Sainz ist sich ganz sicher: „Ohne Herrn Mateschitz wäre ich nicht hier. Man muss nur einmal schauen, wie viele Red-Bull-Logos es in all den Motorsportklassen gibt." Der viermalige Champion Sebastian Vettel weiß nur zu genau, wem er seine vier WM-Titel zu verdanken hat. „Ich habe nur gute Erinnerungen an Didi Mateschitz. Es ist jetzt ein bisschen früh, um mich näher zu äußern, ich bin noch etwas geschockt", so Vettel zur überraschenden Nachricht in Austin. „Aber er war etwas Besonderes, der es immer wieder geschafft hat, von dem andere gedacht haben, dass es nicht möglich ist", erinnert sich Vettel, der seine vier WM-Titel (2010 bis 2013) und 38 seiner 53 GP-Siege mit Red Bull eingefahren hat. Alpha Tauri-Pilot Pierre Gasly zählt auf: „Ich weiß, was Herr Mateschitz für uns getan hat, für mich, für Daniel (Ricciardo). Max (Verstappen), Carlos (Sainz), Yuki (Tsunoda), Seb (Vettel) und noch mehr Fahrer aus dem Red Bull-Juniorteam. Ohne ihn wären wir nicht hier. Ich bin äußerst dankbar dafür."
Für Daniel Ricciardo (McLaren) war Patriarch Mateschitz ein „bescheidener und warmherziger Mensch, dem ich meine F1-Karriere zu verdanken habe. Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff fand in Austin emotionale Worte für seinen verstorbenen Landsmann: „Für mich ist Didi Mateschitz der beeindruckendste Unternehmer, den wir in Österreich je hatten, wenn nicht sogar weltweit. Er hat eine Marke kreiert. Was er für den Sport gemacht und wie viel er dem Sport gegeben hat, hat es zuvor nicht gegeben", so der Bullen-Konkurrent gegenüber Sky. Für Doppel-Weltmeister Max Verstappen (2021, 2022) sind es „harte Nachrichten, die uns alle erreichen. Aber: Ich verdanke Dietrich Mateschitz meine Karriere, mein Leben. Sein Tod war ein harter Schlag für uns und für den gesamten Motorsport. Wir werden versuchen, Didi stolz zu machen", so Verstappens Versprechen.
„Ich habe nur gute Erinnerungen"
Und der seit Japan noch frische Doppel-Weltmeister hat Wort gehalten. Auch wenn das Austin-Wochenende für das Bullen-Team ein Wechselbad der Gefühle war und für das Rennen eine Achterbahnfahrt darstellte. Doch für den verstorbenen Übervater des bekanntesten Energydrinks der Welt verlieh der Red-Bull-Bolide dem „fliegenden Holländer" Max Verstappen nach einem verkorksten Boxenstopp und einer atemberaubenden Verfolgungsjagd auf Mercedes-Star Lewis Hamilton in den letzten vier, fünf Runden noch einmal Flügel und „beflügelte" den „strammen" Max noch zu seinem zweiten Texas-Sieg – nach dem Premieren-Erfolg 2021. Und „Bulle Nummer zwei", der Mexikaner Sergio Perez, steuerte mit Platz vier die nötigen Punkte für den Gewinn des Konstrukteur-Pokals bei. Ein perfektes Rennen der „Bullen"-Piloten an einem traurigen „Bullen"-Rennsonntag. Die offizielle Red-Bull-Pressemitteilung nach dem Rennen bestand aus nur einer einzigen Zeile: „Das war für Mister Mateschitz. Danke Didi!"
Ferrari musste sich mit seinem superstarken Star-Piloten Charles Leclerc hinter Hamilton mit Platz drei begnügen, das zweite „sich aufbäumende (Ferrari)Pferd" mit „Galopper" Carlos Sainz startete zum dritten Mal von der Pole Position, schied aber nach einem Rammstoß mit George Russell (Mercedes) in Kurve eins bereits aus. Die beiden deutschen Piloten hatten erneut Pech. Sebastian Vettel war im Aston Martin auf dem Weg zu einer Topplatzierung, fiel aber durch einen vermurksten Boxenstopp weit zurück und musste sich zunächst mit Platz acht trösten. Am Tag nach dem Rennen wurde eine Strafe gegen Fernando Alonso (Alpine) bekannt, der Spanier rutschte aus den Punkten auf Rang 15 und Vettel auf Rang sieben vor. Mick Schumacher verpasste mit Platz 14 erneut die Punkte und muss beim Haas-Team weiterhin um einen Stammsitz 2023 bangen.
Schon 1995 stieg er bei Sauber ein
Branchenprimus Red Bull gibt sich aber mit dem WM-Titel seines Überfliegers Max Verstappen und der Konstrukteurs-WM noch nicht zufrieden. Nein, der „stramme" Max wird noch gefordert. Man wolle mit mindestens 14 Verstappen-Siegen innerhalb einer Saison schaffen, „dass der Max alleiniger Rekordhalter wird", so die Zielsetzung des „Bullen-Stalls". Rekorde wären auch ganz im Sinne von Firmengründer Didi Mateschitz.
Einer seiner wichtigsten Bereiche im Sportsponsoring war allerdings schon immer der Motorsport. Bereits 1995 hatte sich der Österreicher mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit in das Schweizer F1-Team Sauber eingekauft. Sein Engagement weitete er ab 2004 aber deutlich aus. 2005 erwarb Österreichs erfolgreichster und innovativster Unternehmer das F1-Team Jaguar (seither als „Red Bull Racing Team"). Eigentümer war Ford, das US-Unternehmen konnte es sich aber nicht leisten, den Rennstall weiter zu unterhalten, weil in den USA 15.000 Beschäftigte entlassen werden mussten. Zudem erwarb Mateschitz 2005 das Minardi-Team (fortan „Scuderia Toro Rosso" und ab 2020 „Alpha Tauri"). Der in Faenza/Italien beheimatete Rennstall gilt als Junior-Team von Red Bull Racing. Sebastian Vettel holte 2008 beim Grand Prix Italien in Monza den ersten Rennsieg für das Team.
Neben dem Motorsport entdeckte der bescheidene Visionär Mateschitz seine Liebe auch zum Fußball. 2005 kaufte er kurzerhand den Club Austria Salzburg und benannte ihn in Red Bull Salzburg um. Er verpasste dem Verein professionelle Strukturen und investierte viele Millionen für Trainer und Spieler. In Deutschland gründete er aus der ausgegliederten Fußballabteilung des Vorstadtvereins SSV Markranstädt den neuen Club RasenBallsport (RB) Leipzig. In New York hat „Didi" für fast 30 Millionen US-Dollar den New Yorker Proficlub Metro Stars übernommen und in der nordamerikanischen Major League Soccer (MLS) unter dem Namen Red Bull New York an den Start gebracht und wurde 2007 in Brasilien ebenfalls aktiv.
Dietrich Mateschitz hat nicht nur die Wirtschaftswelt, sondern vor allem auch die Sportwelt ganz extrem geprägt. Dabei setzte das Unternehmen massiv auf das Sponsoring von außergewöhnlichen Sport-Events und bis zu 800 Einzelsportlern, unter ihnen Extremsportler wie Drachenflieger, Bergsteiger, Fallschirmspringer, Skirennfahrer, Snowboarder und Surfer. Der bisher größte, weltweite Marketing-Red-Bull-Coup: Der österreichische Base-Jumper und Extremsportler Felix Baumgartner stürzte sich am 14. Oktober 2012 aus 38.969,4 Metern mit einem Fallschirm aus der Stratosphäre und flog im freien Fall auf 36.402,4 Meter Tiefe. Ein sensationelles, weltweites und hollywoodreifes Spektakel, das sich Red Bull mal schlappe 50 Millionen Euro kosten ließ. Der gigantische Gegenwert für Red Bull: Baumgartners freier Fall war auf allen Titelseiten der ganzen Welt. Bei Werbedrehs solcher hochriskanten Sportarten kam es auch schon zu tödlichen Unfällen und Stürzen. Die ARD-Dokumentation „Die dunkle Seite von Red Bull" berichtete 2013 von sechs Sportlern, die mit Unterstützung von Red Bull ihrem gefährlichen Sport nachgegangen waren und ihr Leben verloren.
Mateschitz scheute das Rampenlicht
Am 22. Oktober 2022 hat einer der größten Visionäre und innovativsten Unternehmer – zumindest in seinem Heimatland Österreich – sein Leben verloren. Ohne Extremsportart. Wer aber war diese medienscheue Persönlichkeit, die öffentliche Auftritte und den roten Teppich mied, nie im Mittelpunkt stehen wollte, dem Pressetermine und TV-Interviews ein Gräuel waren? Sein langjähriger Wegbegleiter, Freund und erster Nachrichten-Überbringer Helmut Marko, Doktor der Rechtswissenschaften, Sportchef und Chefberater von Mateschitz’ Rennstall Red Bull bezeichnet seinen Ex-Chef als „einmalige Persönlichkeit", als „bescheidener Mensch", als „warmherzige Person", die trotz ihres Imperiums in Fuschl am See und seines Reichtums von 27 Milliarden immer „sehr bescheiden und bodenständig" blieb.
Geboren wurde Dietrich Mateschitz am 20. Mai 1944 in St. Marein im Mürztal in der Steiermark. Mateschitz ist Absolvent der Hochschule für Welthandel in Wien und schloss sie als Diplomkaufmann ab. Zehn Jahre studierte er, in den ersten zwei Jahren befasste er sich mit dem Studium des Schiffbaus. Mit 28 Jahren begann seine Marketing-Karriere. Als PR-Manager war er unter anderem für Jacobs Kaffee und den Zahnpasta-Hersteller Blendax tätig. Da er aber nicht ewig Zahncreme verkaufen wollte, gründete der gelernte Betriebswirt nach einer Asien-Dienstreise 1984 die Red Bull GmbH und führte 1987 den Energydrink Red Bull in den Markt ein. Von Österreich aus baute der Jung-Unternehmer mit seiner Firma ein weltumspannendes Imperium auf. Laut dem Wirtschaftsmagazin Forbes hinterlässt Dietrich Mateschitz ein Vermögen von 27,6 Milliarden Euro und belegt Platz 132 auf der Rangliste der reichsten Menschen dieser Welt.