Während sie in den 1960er-Jahren als großer Befreiungsschlag für die Frauenbewegung galt, ist die Antibabypille heute out. Immer weniger sogenannte Ovulationshemmer werden verschrieben, denn neue Möglichkeiten tun sich auf.
Konkurrenz naht und damit scheint das Ende der Antibabypille fast besiegelt. Dabei war sie noch vor 60 Jahren der große Star auf dem Markt. Nicht nur deshalb, weil durch sie Frauen endlich in der Lage waren, die Anzahl ihrer Schwangerschaften bewusst zu kontrollieren, sondern auch, weil sie damit ihre Abhängigkeit von den Bedürfnissen des Mannes lösen konnten. Zur ehelichen Pflicht gehörte der Beischlaf wie selbstverständlich dazu, doch nicht immer sollten Kinder die Folge davon sein. Wie gut, dass die Pille am 18. August 1960 in den USA auf den Markt kam. In Deutschland mussten die Frauen ein Jahr länger warten, ehe die Berliner Schering AG den Ovulationshemmer produzierte und unter dem Namen Anovlar herausbrachte. Die Nachfrage war groß, die Pille boomte. Schon bald überschwemmten mehr und mehr unterschiedliche Präparate den Handel. Welches zum Einsatz kam, entschied der Gynäkologe und schrieb ein Rezept. Doch warum nennen Mediziner die Pille Ovulationshemmer?
Der Anteil an künstlichen Hormonen ist sowohl in der Mini- als auch der Mikropille sehr gering
Jedes Präparat enthält Geschlechtshormone aus künstlicher Herstellung. Diese halten den weiblichen Hormonspiegel konstant. Das gilt insbesondere für Pillen mit Gestagenen und Östrogenen. Diese übergeordneten Steuerhormone wirken wie ein Stopp, der verhindert, dass eine Eireifung stattfindet und der LH-Spiegel ansteigt. Der Eisprung bleibt aus, damit findet also keine Ovulation statt. Dabei haben die künstlichen Hormone in der Pille aber noch eine andere Wirkung. Gestagene machen außerdem den Schleim am Muttermund undurchlässig für Spermien. Sie können nicht eindringen und sich zur Gebärmutter vorkämpfen. Ein doppelter Schutzmechanismus für den Fall, dass doch mal ein Eisprung stattfindet. Sollte dieser tatsächlich trotz Pilleneinnahme auftreten, hat das Ei es schwer, durch den Eileiter zu gelangen, denn dieser verharrt in einer Art Ruheposition. Gleiches gilt für die Gebärmutterschleimhaut, die sich nicht mehr aufbaut und wo sich dementsprechend keine befruchtete Eizelle einnisten kann. Ein kompliziertes System hormoneller Vorgänge und deshalb auch eine sehr sensible Wirkungsweise. Im Laufe der Jahre hat sich die Zusammensetzung der Pille verändert. Die neuen Varianten heißen Mikropillen oder auch Minipillen. Die Namen deuten darauf hin, dass die Forscher inzwischen bemüht sind, den Anteil der künstlichen Hormone möglichst gering zu halten. Der Unterschied zwischen diesen zwei Gruppen liegt im Inhalt. In Minipillen findet sich ausschließlich Gestagen. Mikropillen hingegen enthalten eine Kombination aus Gestagen und Östrogen. Dabei sind Ein- und Mehrphasenpräparate auf dem Markt. Erstere Version enthält 21 Dragees, die jeweils dieselbe Menge an Hormonen beinhalten. Bei Mehrphasenpräparaten ist die Lage komplizierter. Hier enthält jede Tablette eine unterschiedliche Hormonmenge, bestensfalls auf den Zyklus der Frau abgestimmt. Umso wichtiger ist es, dass die Pille regelmäßig und vor allem in der richtigen Reihenfolge eingenommen wird. Beim Östrogen handelt es sich meistens um einen synthetisch hergestellten Stoff namens Ethinylestradiol. Daneben sind auch Präparate mit Estradiol im Verkauf. Gestagen kann sehr unterschiedlicher Herkunft sein. Wichtig ist, dass jede Mikropille nur einen bestimmten Typ Gestagen und Östrogen enthält. Deshalb sollte hier auch nicht zwischen den Herstellern gewechselt werden. Nach 21 Tagen Einnahme tritt bei allen Pillen eine Pause von sieben Tagen ein. In dieser Zeit hat die Frau ihre Menstruation. Selbst wenn diese nach der festgelegten Ruhephase noch nicht abgeklungen ist, muss sie pünktlich mit der Einnahme der nächsten Pillenpackung starten, damit der Verhütungsschutz gewährleistet ist. Bei Erkrankungen wie Durchfall und Übelkeit kann es sein, dass die Wirkung der Hormone herabgesetzt ist. Hier raten Ärzte, zusätzlich mit einem Kondom oder Ähnlichem zu verhüten. Wer die Pille schluckt und unter starken Menstruationsschmerzen, Blutungen oder Endometriose leidet, dem raten Gynäkologen zu Präparaten, die sich problemlos durchnehmen lassen. Statt also sieben Tage zu pausieren, startet gleich die nächste Packung. Dadurch findet keine Menstruation statt.
Trotz dem inzwischen deutlich reduzierten Anteil an künstlichen Hormonen verträgt längst nicht jede Frau die Pille. Die Liste ihrer Nebenwirkungen ist lang und reicht von Schlaganfällen über Kreislaufbeschwerden und Übelkeit bis hin zu Zyklusstörungen, Thrombosen und Depressionen.
Mit der Einnahme von Mikropillen wird das Risiko für Embolien deutlich erhöht
Deshalb wird Frauen dringend geraten, bei Beschwerden wie depressiven oder nervösen Verstimmungen, Libidoveränderungen und Energielosigkeit den Frauenarzt zu befragen. Zu diesem Rat kommen dänische Wissenschaftler, die in zwei Auswertungsstudien der Gesundheitsregister mit rund einer Million Daten auf die unterschiedlichen Wirkweisen von hormonellen Verhütungsmitteln hinweisen. Die erste Studie dieser Art lag 2016 vor, zwei Jahre später gab es von der gleichen Arbeitsgruppe eine Folgestudie. Diese legte nahe, dass Verhütungsmittel wie die Pille das Risiko für Suizide steigern können. Allerdings weisen die Forscher darauf hin, dass es sich hierbei nicht um eine gezielte klinische Studie handelte, sondern um eine epidemiologische Bevölkerungsstudie. Daneben existieren natürlich auch klinische Forschungen zu den Nebenwirkungen von Mikropillen, die im Speziellen neu entwickelte Gestagene wie Drospirenon, Gestoden und Desogestrel beinhalten. Eine Untersuchung der europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) aus dem Jahr 2014 legt nahe, dass nach der Einnahme des Präparats das Risiko für Embolien deutlich erhöht ist. Dies beträfe von 10.000 Frauen jährlich etwa neun bis 12. Niedriger lag die Zahl bei anderen Gestagenen wie Norethisteron und Levonorgestrel (fünf bis sieben Fälle). Ganz einig scheinen sich die Wissenschaftler an diesem Punkt allerdings noch nicht zu sein, denn während eine internationale Studie aus dem gleichen Jahr keine großen Unterschiede zwischen den Gestagenen in ihrer Wirkung finden konnte, unterstreicht eine englische Studie von 2015 wieder ein erhöhtes Embolie- und Thromboserisiko. Hier traten 14 negative Ereignisse bei der Einnahme von Desogestrel und 13 unter Drospirenon auf. Drei Jahre später gab die Weltgesundheitsorganisation eine weitere Analyse dazu in Auftrag, bei der 22 jüngere Studien verglichen wurden. Die Auswertung bestätigte, dass bei der Gabe von Lovonorgestrel ein „vergleichweise niedriges Risiko" besteht, an einer Thrombose zu erkranken.
Trotzdem und nicht zuletzt wegen der vielen bekannten Nebenwirkungen, die Hormonpräparate auf den weiblichen Körper haben können, verzichten viele Frauen auf die Einnahme der Pille. Das Ergebnis teilte bereits das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) am 18. August 2020 mit, kurz vor dem 60. Geburtstag der Anti-Babypille. Zum Beleg wertete das WidO alle relevanten Datensätze der Gesetzlichen Krankenversicherung aus. Demnach nahm vor zehn Jahren noch jede 2. Frau unter 20 zur Verhütung die Pille. 2019 war es weniger als jede Dritte. Laut WIdO gab es 2010 einen Höchststand innerhalb der untersuchten Altersgruppe zu verzeichnen, wo 46 Prozent aller jungen Frauen zur Pille griffen. Seitdem ist die Zahl weiter rückläufig und lag im Untersuchungsjahr bei nur noch 31 Prozent bei Frauen bis 22 Jahren. Die Altersstufe wurde allerdings nicht angehoben, um die Werte „besser aussehen zu lassen", sondern aufgrund der Tatsache, dass Ärzte nun Frauen bis zu einem Alter von 22 Jahren die Pille verschreiben dürfen und die Kosten damit von Gesetzlichen Krankenkassen getragen werden. Wer älter ist, der muss selbst für seinen Verhütungsschutz aufkommen. Warum die Zahlen so rückläufig sind, versucht Dr. Eike Eymers, Ärztin beim AOK-Bundesverband, zu erklären: „Das kann mit einer besseren Aufklärung und einem stärkeren Bewusstsein dafür zu tun haben, dass die Pille kein Lifestyle-Präparat ist, sondern in den Hormonhaushalt eingreift und Nebenwirkungen haben kann." Weiterhin ist kritisch zu betrachten, dass laut der AOK-Studie zwar die Verordnungen bei jungen Frauen mehr auf risikoärmere Präparate abzielen, trotzdem noch immer jede zweite eine Pille einnahm, welches zur neuen Gestagen-Generation gehört und damit ein höheres Risiko für schwere Begleiterkrankungen mit sich trug. So sank der Anteil bundesweit von ehemals 72 auf 54 Prozent zwischen 2009 und 2019. Trotzdem ist er nach wie vor zu hoch in Anbetracht der vielen Alternativen, die es gibt. Wer neu startet mit der Einnahme der Pille, dem rät Dr. Eymers, genau auf sich zu achten: „Symptome einer Lungenembolie sind plötzlich auftretende Kurzatmigkeit oder Atemnot, Brustschmerz, Herzrasen und unerklärlicher Husten." Zusätzlich kann es zu Schwellungen, Schmerzen und Spannungsgefühlen in den Beinen kommen. Dort zeigt die Haut rot-bläuliche Verfärbungen oder einen undefinierbaren Glanz. Frauen, die rauchen oder unter Übergewicht leiden, sollten grundsätzlich nur risikoarme Präparate verschrieben bekommen, rät die erfahrene Ärztin. Dies sei leider nicht immer der Fall. Grundsätzlich gilt trotz aller Risiken die Einnahme der Pille als insgesamt relativ sicher.
Das zumindest legt der sogenannte Pearl-Index nahe. Je niedriger der Wert ist, desto sicherer ist die Methode. Bei Mikropillen liegt der Pearl-Index bei 0,1 bis etwa 0,9. Das bedeutet, dass unter einem Prozent aller Anwenderinnen über starke Nebenwirkungen klagt. Deutlich höher liegt der Index bei der Minipille. Hier wurden Werte zwischen 0,5 und 4 gemessen. Das bedeutet, vier von 100 Frauen zeigen Nebenwirkungen. Ausschlaggebend für den Wert scheint die Einnahmegenauigkeit zu sein. So wird beispielsweise für Minipillen mit dem Wirkstoff Desogestrel lediglich eine Rate von 0,4 angegeben, während diese bei anderen Präparaten deutlich höher ausfallen kann. Grundsätzlich bleibt die Nachfrage nach Hormonpräparaten wie der Pille rückläufig. Längst sind viele neue Alternativen zur natürlichen Verhütung auf dem Markt. Neben zahlreichen Apps, die bei einem sehr regelmäßigen Zyklus die fruchtbaren Tage ausrechnen, sind das auch andere Methoden wie die Messung der Basaltemperatur, Teststreifen für den Urin, Femidome und vieles mehr. Die Hersteller sind experimentierfreudig geworden und bieten weit mehr als die altbekannten Kondome. Der Trend zur hormonfreien Verhütung wächst unaufhaltsam. Wichtig ist, genau auf den eigenen Körper zu achten. Wer Schwierigkeiten und Beschwerden wie Akne oder Endometriose hat, für den können Ovulationshemmer eine gute Chance sein, die Auswirkungen zu reduzieren und den Zyklus zu regulieren. Einen Schutz vor ungewollter Schwangerschaft bieten alle Methoden, sofern sie richtig angewendet werden. Allerdings schützt die Pille, anders als das Kondom, nicht vor der Übertragung von Geschlechtskrankheiten.