Oscarpreisträgerin Viola Davis spricht über ihr Amazonen-Epos „The Woman King“, Rassismus und Selbstfindung, wie man Verantwortung übernimmt und darüber, mit wie vielen blauen Flecken sie das Kampftraining überlebt hat.
Mrs. Davis, ist „The Woman King“ der wichtigste Film Ihrer Karriere?
„The Woman King“ ist mein Opus magnum. Seit mir die Geschichte der Agojie bekannt war, wollte ich einen Film darüber machen. Sie waren eine rein weibliche Elite-Kampftruppe, die im afrikanischen Königreich Dahomey gegen die Versklavung ihres eigenen Volkes kämpfte. Der Film bezieht sich auf Begebenheiten, die historisch belegt sind. Ich spiele die Generalin Nanisca, die junge Frauen zu Kriegerinnen ausbildet und sie auf den Kampf gegen die Feinde vorbereitet, die ihre Lebensweise zu zerstören drohen. „The Woman King“ hat sehr viel mit meinem eigenen Leben zu tun. Und mit dem, was ich schon immer wusste: Dass wir schwarze Frauen es natürlich schaffen können, ein so großes Epos zu kreieren. Und um nichts auf der Welt hätte ich dieses Projekt aus der Hand gegeben. Leider hat es sieben lange Jahre gedauert, bis der Film endlich zustande kam.
Weil Hollywood immer noch große Angst vor Veränderung hat?
Ein Film, der ausschließlich von schwarzen Schauspielern dominiert wird – und die meisten davon Frauen – ist für Hollywood nicht gerade einfach. Aber das ist mir letztlich egal. Ich wollte diesen Film haben – und zwar so, wie er jetzt ist. Dass wir das geschafft haben, ist schon so etwas wie ein Triumph.
Sie haben das Projekt vielen Hollywoodstudios angeboten, die aber meist gleich abwinkten. Andere wollten nur dann grünes Licht geben, wenn Sie Schauspielerinnen mit einem helleren Braunton besetzen würden. Ist das nicht Rassismus pur?
Ja, natürlich. Aber für jeden Filmemacher in Hollywood ist es schwer, grünes Licht für seinen Film zu bekommen. Es ist ein ständiger Kampf um den Stoff, die Besetzung, den Regisseur, das Budget – es ist immer Kampf, Kampf, Kampf! Das war bei „The Woman King“ nicht anders. Ich habe jeden Tag um den Film gekämpft. Aber es hat sich gelohnt. Das Sony-Studio hat uns dann den Film so machen lassen, wie wir wollten. Auf das Resultat bin ich, wie gesagt, sehr stolz.
„The Woman King“ ist politisch aufgeladen und zugleich sehr unterhaltsam. Ist das die beste Form, den Zuschauern eine wichtige Botschaft nahezubringen?
Ich hoffe sehr, dass die Menschen, die den Film sehen, ihn nicht nur als pures Entertainment begreifen. Ich bin der festen Überzeugung, dass alles, was wir der nächsten Generation hinterlassen können, ihr dabei hilft, einen geraden Weg zu gehen. Keinen einfachen Weg, aber einen guten. Und das zu zeigen, ist es wert. Man muss wirklich einmal begreifen, was es bedeutet, in den USA als Frau zu leben. Und als schwarze Frau. Und dann als schwarze Frau mit einer besonders dunklen Hautfarbe. Da ist der Weg mit sehr vielen Hindernissen gepflastert. Natürlich ist mir klar, dass es jeder schwer hat in diesem Leben. Aber auf unserem Lebensweg gibt es Hindernisse, von denen ich mir gewünscht hätte, sie wären nie da gewesen. Mir geht es letztlich um Verantwortung! Ein großes Wort. Aber es ist nun mal unsere Verantwortung, einen geraden Weg aufzuzeigen und ihn für nachfolgende Generationen vorzubereiten. Dass wir endlich die Welt so sehen, wie sie sein sollte.
Hat Ihnen dieses Sendungsbewusstsein als Hollywood-Schauspielerin nicht viele Probleme bereitet?
Ich hatte es – wie viele meiner Kolleginnen – nie einfach. Aber das schreckte mich nicht ab. In die Filmindustrie bin ich auch deshalb eingestiegen, weil ich glaube, dass ich mit dem Talent, das ich habe, etwas bewirken und manche Dinge wirklich ändern kann. Natürlich arbeiten wir alle in der Unterhaltungsbranche, dessen bin ich mir voll und ganz bewusst. Aber wenn wir da ab und zu auch noch eine Botschaft unterkriegen, dann haben wir unseren Zweck erfüllt. „The Woman King“ ist ja kein Dokumentarfilm. Wie auch „Braveheart“ oder „Gladiator“ keine waren. Aber trotzdem können wir, genau wie diese großartigen Filme, mit unserer Geschichte vielen Zuschauern die historischen Aspekte dieser Zeit nahebringen. Das allein ist es schon wert, den Film gemacht zu haben.
Im Film geht es nicht nur um Sklaverei und soziale Unterdrückung, sondern auch um Missbrauch und Vergewaltigung von Frauen.
Das ist leider zeitlos aktuell! Und auch da heißt das Schlüsselwort „Verantwortung“! Den sexuellen Missbrauch zu zeigen und auch das Leid, das daraus entsteht, war mir sehr wichtig. Ganz egal, welche Rolle ich auch spiele: Es ist immer mein Job und meine Verantwortung, sie so ehrlich wie möglich darzustellen. Das schließt auch die Unvollkommenheiten der Figur ein. Auch wenn sie unmenschliche Entscheidungen trifft – es muss alles gezeigt werden. Nur so wird man der Figur gerecht. Zur Vorbereitung auf den Film habe ich ein sehr gutes Buch über das Überleben nach sexuellem Missbrauch gelesen, „Hunger“ von Roxane Gay. Sie musste als 14-Jährige eine Gruppenvergewaltigung über sich ergehen lassen. Diese schreckliche Erfahrung verfolgt einen das ganze Leben lang. Auch deshalb war es mir sehr wichtig, meine Rolle als Nanisca sehr verletzbar zu spielen; auch sie hatte ja Schreckliches erlitten und wurde dadurch gebrandmarkt. Das erklärt auch viele ihrer Handlungsweisen. Ebenso das komplizierte Verhältnis zu ihrer Tochter. Nanisca war zwar eine herausragende Kriegerin und später „The Woman King“, aber am Ende des Tages war sie eben eine Frau. Mit all ihrer Tragik. Nur so kann man den Charakter von Nanisca verstehen. Und das musste ich mit sehr viel Taktgefühl darstellen.
Diese Frauen-Kriegerinnen hatten in Dahomey ein sehr hohes Ansehen. Ziemlich ungewöhnlich für eine von Männern dominierte Gesellschaft.
Was das Dahomey-Königreich wollte, war Autonomie. Sie wollten ihr Schicksal selbst bestimmen können. Sie wollten autark sein und von niemanden abhängig. Das hat mich schwer beeindruckt. Ich glaube auch, dass Menschen sich gar nicht verändern. Die Zeiten ändern sich, aber nicht die Menschen. Was wir tief in unserem Innern wollen, ist doch Selbstbestimmung über unser Leben. Wenn ich mir die Weltgeschichte so anschaue, wird mir bewusst, dass es zu jeder Zeit progressive und frei denkende Völker gab. Gerade in Afrika waren innerhalb der patriarchalischen Gesellschaftsstruktur oft auch starke matriarchalische Einflüsse zu spüren. Aber diese Geschichten werden eben nicht erzählt. Ich bin mir sicher: Wenn wir uns eingehend mit der Geschichte Afrikas befassen würden, fänden wir viel mehr Königreiche mit modernen Strukturen. Mir – als African American – wurde immer erzählt, dass es das nie gab. Als ich entdeckte, dass das gar nicht stimmt, hat es mich fast umgehauen. Mein Weltbild wurde dadurch sehr erweitert.
Sie haben großen Wert darauf gelegt, dass der Film nicht im Studio entstanden ist …
… was von Anfang an völlig ausgeschlossen war. Wir haben in Süd-Afrika gedreht. Wir standen mit beiden Beinen auf Zulu-Boden! (Lacht) Diese wunderbare Landschaft, dieser rote Lehmboden, die Vegetation, die Berge, dieser atemberaubend klare Himmel – das gibt es nirgendwo sonst. Ich hatte manchmal das Gefühl, als wären wir alle aus dieser Erde geboren worden. Sogar die sehr realistischen Kampfszenen waren echt. Da gibt es keine Computeranimationen. Wir haben alle selbst gekämpft. Auf diese Sequenzen haben wir uns akribisch vorbereitet. Wir hatten sehr gute Martial-Arts-Trainer und Stunt-Koordinatoren. Wir wurden im Nahkampf ausgebildet und im Umgang mit Speeren, Macheten, Messern und anderen Waffen. Und wir mussten viel rennen. Das war vor allem für mich – alte Kriegerin! – extrem anstrengend. Über die Verstauchungen, Prellungen und Blessuren will ich erst gar nicht reden. Und das Zählen meiner blauen Flecke habe ich auch längst aufgegeben. (Lacht) Dass ich das überlebt habe, ist allein schon ein Wunder.
Was wünschen Sie sich, dass die Zuschauer, die „The Woman King“ sehen, mit nach Hause nehmen?
Dass sie erkennen, dass jeder von uns eine Stimme hat. Dass jeder die Macht hat, diese Stimme zu nutzen und laut zu sagen, was Sache ist. Dass man sich nicht mit der Masse treiben lassen sollte, nur weil es einfacher ist. Dass man anderen Leuten nie die Macht darüber gibt, was mit dem eigenen Körper geschieht. Und mit dem eigenen Leben. Es darf nicht sein, dass es Leute gibt, die einem weismachen wollen, dass man weniger wert ist als andere. Dass man keine Rechte hat. Und dass man nicht schön ist, weil man schwarz ist. Es gibt offenen Rassismus und verdeckten Rassismus. Ich habe beides zur Genüge erlebt. Trotzdem habe ich zu mir selbst gefunden und mich von all diesen Vorurteilen befreit. Und wenn einem das gelungen ist, muss man auch anderen dabei helfen, sich zu befreien. Gerade als Frau. Das ist das Vermächtnis dieser Agojie-Frauen an uns: „Finde deinen Kriegerinnen-Treibstoff! Verändere die Geschichte.“