50 Jahre lang hat der 1922 geborene Comic-Künstler Charles M. Schulz mit den „Peanuts“ ein Kinder-Paralleluniversum für Erwachsene geschaffen und damit täglich bis zu 355 Millionen Leser in 75 Ländern via 2.600 Zeitungen in 21 Sprachen erreicht.
Charles Monroe Schulz hatte die Comics als solche mal selbst in einer ziemlich verqueren Spielart von Bescheidenheit als „untergeordnete Kunstform“ bezeichnet. Auch weil er mangels Selbstbewusstsein seine Fähigkeiten in diesem Genre als nicht sehr hoch eingeschätzt hatte. Dabei kann sein Lebenswerk namens „Peanuts“, eine der erfolgreichsten, häufig mit reichlich philosophischem Witz aufgeladenen Comicserien der Geschichte, als bester Beweis für die Kunstfähigkeit der Bildergeschichten angesehen werden. Als wahrer Workaholic hatte er zwischen 1950 und 2000 in täglicher Arbeit insgesamt rund 17.800 Strips geschaffen.
Die Wertschätzung hochqualitativer Comics als „grafischer Literatur“, wie sie inzwischen in seriösen Feuilletons üblich ist, ist übrigens gar nicht so neu. Hatte doch schon der Genfer Zeichner und Novellist Rodolphe Toepffer (1799–1846) seine ab 1833 veröffentlichten und von Goethe hochgelobten Bildergeschichten als „Romane in Bildern“ bezeichnet, womit der Schweizer so etwas wie ein früher Vorreiter des modernen Comics wurde. Als einer der ersten hatte er auch die später übliche Technik des Panels eingeführt, des Einzelbilds, das bei einem Strip in einer Sequenz von gewöhnlich drei oder vier Panels eine Geschichte in karikaturistischem Zeichenstil erzählt.
Vor diesem historischen Hintergrund dürfte es nicht mehr so sehr überraschen, dass Deutschlands Literatur-Papst Denis Scheck die „Peanuts“ in seinen Kanon der 100 wichtigsten Werke der Weltliteratur aufgenommen hat, wo sich das Œuvre von Schulz nun an der Seite von Klassikern wie Goethes „Faust“ oder Kleists „Michael Kohlhaas“ wiederfindet. Auch der hochgepriesene und inzwischen verstorbene Bestseller-Autor Umberto Eco hatte schon vor Jahrzehnten seine Faszination über die poetische Kraft der „Peanuts“ in einem Essay bezeugt: „Die Poesie dieser Kinder entsteht aus der Tatsache, dass wir in ihnen alle Probleme, alle Leiden der Erwachsenen finden, die außerhalb der Bühne bleiben. Diese Kinder beeinflussen uns, weil sie in gewissem Sinne Monster sind: Sie sind die monströsen infantilen Reduktionen aller Neurosen eines modernen Bürgers der industriellen Zivilisation.“
Karikatur des Durchschnittsmenschen
So betrachtet waren die „Peanuts“ eben keine leicht konsumierbaren „Erdnüsse“, oder treffender übersetzt, nette „Kleinigkeiten“. Kein Wunder also, dass Schulz, der 1950 zum Start der Abenteuer rund um Charlie Brown von seinem mächtigen Comic-Vertreiber „United Feature Syndicate“ aufgezwungenen Serienname zeitlebens verhasst blieb. Weil er, begleitet von einem ausgesprochen minimalistisch-reduzierten, geradezu simpel anmutenden Pinselstrich die Lebensweisheiten und Alltagseinsichten in Verbindung mit einer gehörigen Portion Humor zwar von Kindern vortragen ließ, aber als Zielgruppe allein die Erwachsenenwelt im Auge hatte. Allerdings konnte er dabei nicht gleich die breite Masse im Sturm erobern. Zunächst hatten nämlich vor allem Studierende der US-Universitäten Gefallen an den inhaltlich unkonventionellen Themen gefunden, insbesondere weil auf dem damaligen US-amerikanischen Comic-Markt vor allem Action und Spektakel angesagt waren. Im Laufe der Jahre wurde aber „aus einem begabten ein begnadeter Cartoonist“, wie es der deutsche Schriftsteller Robert Gernhardt mal treffend formulierte.
„Wer den Comicstrip täglich liest, lernt mich kennen.“ Mit diesem Statement sorgte Schulz selbst für das bis heute zentrale Diskussionsthema um Antrieb und inhaltliche Schwerpunkte seines Schaffens. Gemeinhin wird angenommen, dass der von Natur aus als extrem menschenscheu beschriebene Künstler bei den „Peanuts“ seine persönlichen Probleme, Verletzungen oder Zurückweisungen aus Jugend und Kindheit verarbeitet und dabei auch einige Figuren als sein Alter Ego oder abgeleitet von realen Persönlichkeiten seines Lebens konzipiert hatte. Den ewigen Pechvogel Charlie Brown, der anfangs sogar noch fies sein durfte, und der neben dem intellektuellen, wohl von Schulz’ früherem Haustier abgeleiteten Beagle Snoopy als einzige Figur über 50 Jahre in den Comics präsent bleiben sollte, hatte Schulz wohl am stärksten als sein Abbild angelegt. Charlie müsse immer derjenige sein, der leidet, hatte Schulz diesbezüglich mal erklärt: „Denn er ist eine Karikatur des Durchschnittsmenschen. Die meisten von uns sind eher daran gewöhnt, zu verlieren, als zu gewinnen.“
Weitere starke Figuren, die über die Jahre von Auswechslungen verschont geblieben waren, waren beispielsweise Charlies Freund Linus mit seiner Schmusedecke, so etwas wie Schulz Lieblingsfigur, die mit Charlie häufig philosophische Gespräche führt, Linus’ ältere Schwester Lucy, die ziemlich rabiate Hobbypsychologin, der ständig Beethoven am Klavier spielende Schroeder, die sportive Peppermint Patty, die in Marcie eine treue Bewunderin hat, der kleine gelbe Vogel Woodstock, Charlies jüngere Schwester Sally oder der afroamerikanische, erst 1968 eingeführte Franklin. Das „kleine rothaarige Mädchen“ nicht zu vergessen, das zwar immer unsichtbar bleibt, aber die große Liebe von Charlie ist und wohl die unglücklich endende Romanze von Schulz mit der Buchhalterin Donna Mae Johnson aus dem Jahr 1950 widerspiegelt.
Comicbegeisterter Vater förderte Schulz’ Talent
Schulz zweite Ehefrau Jean, die er nach der Scheidung von seiner ersten Gattin Joyce 1973 geheiratet hatte und die gemeinsam mit den vier Kindern aus der ersten Ehe den lukrativen Nachlass des Künstlers verwaltet, hatte eine tiefe Melancholie als schöpferischen Antrieb ihres Mannes genannt, „der viel Inspiration aus seinen Neurosen zog. Er schrieb darüber, um damit fertigzuwerden“. Schulz’ Biograf David Michaelis hatte dagegen in seinem 2007 erschienenen Buch „Schulz and Peanuts“ behauptet, dass das Schaffen des Autors aus der Verarbeitung von schweren Depressionen entsprossen sei. Eine Ansicht, die von der Familie Schulz jedoch als unzutreffend zurückgewiesen wurde. Nach Sichtung der opulenten, 25 Bände umfassenden Werksausgabe, die seit 2018 auch in deutscher Sprache komplett vorliegt, hat der „Spiegel“ den kreativen Höhepunkt von Schulz Werk zwischen den Jahren 1958 und 1974 angesiedelt. Weil ab 1958 die „Peanuts“, „düsterer, bedrohlicher und zugleich weitaus witziger“ geworden seien und weil ab 1974 ein offenkundiges Nachlassen von Ideen und Geniestreichen zu konstatieren sei.
Die Leidenschaft für Comics hatte der am 26. November 1922 in Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota geborene Charles Monroe Schulz von seinem aus Stendal gebürtigen Vater Carl Friedrich gleichsam in die Wiege gelegt bekommen. Der Inhaber eines Friseurladens in der Stadt Saint Paul las mit großem Vergnügen täglich Bildergeschichten. In der Schule war Charles, der von seinem Onkel schon früh den Spitznamen „Sparky“ erhalten hatte, so etwas wie ein stiller Überflieger. Das Überspringen von Klassen hatte ihm allerdings gewisse Probleme verursacht, weil er dadurch stets der kleinste und jüngste Schüler war.
Schon früh scheint sich Charles für das Comic-Zeichnen interessiert zu haben, der Vater finanzierte ihm daher einen Fernkurs in komischem Zeichnen an den in Minneapolis ansässigen „Art InÂstruction Schools“. 1937 konnte sich Schulz über die erste Veröffentlichung eines Comics freuen, in der es sich um eine Episode um seinen Hund Spike handelte. Nach Abschluss der Highschool vertrieb er sich die Zeit in Saint Paul mit Gelegenheitsjobs, danach musste er zum Militär. Im Krieg in Europa hatte er aber mit seiner erst im Frühjahr 1945 an die Front verlegten Panzerdivision praktisch keinen Feindkontakt und konnte Ende 1945 wohlbehalten nach Hause zurückkehren.
Danach arbeitete er als Sprechblasen-Texter in einem Verlagshaus in Saint Paul und reichte gleichzeitig seine eigenen Comics bei diversen Zeitungen unter dem Titel „Li’l Folks“ ein. Damit konnte er auch erste Erfolge erzielen. Der entscheidende Schritt aber sollte der Vertrag mit „United Feature Snydicate“ werden. Dieser Spezialist in Sachen Comic-Distribution sorgte dafür, dass Schulz Arbeiten in immer mehr US-Zeitungen publiziert wurden. Als Schulz 1958 seinen Wohnsitz nach Kalifornien verlegte, war schon ein wahrer Hype um die „Peanuts“ ausgebrochen. Zwei Jahre später wurde die Merchandising-Maschine angeworfen. 1962 zierten die „Peanuts“ das Cover des „Time Magazines“, und im TV wurde der erste von vielen Trickfilmen ausgestrahlt, wofür Schulz wie auch bei allen späteren vier Kinofilmen höchstpersönlich das Drehbuch geschrieben hatte.
40 Millionen Dollar jährlich – posthum
Die „Peanuts“ machten Schulz, der sich im Eishockeysport ebenso engagierte wie in der Church of God, und der sich vor Auszeichnungen von Emmy bis Stern auf dem Hollywood Walk of Fame kaum retten konnte, zu einem steinreichen Mann. Sein Jahresverdienst wurde auf 30 bis 40 Millionen Dollar geschätzt. Insgesamt sollen so bis zu seinem Tod infolge von Darmkrebs am 12. Februar 2000 im kalifornischen Santa Rosa – sein letzter Strip wurde plangemäß einen Tag später publiziert – eine Milliarde Dollar zusammengekommen sein. Und auch heute noch fließen jährlich viele Millionen Dollar in die Kassen der Erben: Im jährlichen, von „Forbes“ veröffentlichten Ranking der bestverdienenden toten Stars, belegte Schulz im Jahr 2021 mit 40 Millionen Dollar den vierten Platz – hinter dem britischen Schriftsteller Roald Dahl sowie den beiden Pop-Größen Prince und Michael Jackson.