Improvisation und das Gefühl für gute Produkte aus seiner sardischen Heimat und aus Brandenburg sind für Giovanni Antonio Salaris die Grundlagen seiner Küche. In der „Trattoria da Antonio“ an der Bismarckstraße kocht er sich seit 2016 in die Herzen und Erinnerungen seiner vielen Stammgäste.
Giovanni Antonio Salaris, Inhaber der „Trattoria da Antonio“, betont: „Essen ist keine Mathematik! Kochen ist Kreativität und Erfahrung. In der Schule lernst du nur die Technik.“ Das wahre Lernen mit Improvisation und Fingerspitzengefühl, das lehrten die Zeit und die Liebe zu den besten Produkten. Das Credo des sardischen Restaurants an der Bismarckstraße ist damit umrissen. Der Chef, der die Oberhoheit über die Küche hat, liebt den spontanen Umgang mit dem, was Sardinien, aber auch Brandenburg zu bieten haben. Eine Karte, um einen ersten Blick auf die Gerichte zu werfen? Gibt es. Sie umfasst gerade mal zwei wirklich von Hand beschriebene Seiten. Salaris’ Frau Magdalena Barba notiert mit Kuli auf Papier, was ihrem Mann einfällt. In Stein gemeißelt ist jedoch nichts. Einige Klassiker der italienischen Wohlfühlküche begegnen typisch sardischen Gerichten.
Am Vorabend unseres Besuches gab es frische Quitten aus dem Garten. Wir bekommen deshalb ein wunderbar durchgeschmortes Wildschweinragout auf hauchdünnen gebratenen Quittenscheiben aufgetischt. „Das hat Antonio noch nie so gekocht“, weiß Magdalena Barba. Eine überraschende und überzeugende Kombi: Süße, Säure und die Knusprigkeit der Quitten kontrastieren sehr schön das mürbe, vollmundige Fleisch. Es hatte offenkundig alle Zeit der Welt, um sämtliche Aromen im Schmorprozess in sich aufzunehmen und sich geschmeidig mit einer Pflaumen-Kokos-Sauce zu verbinden.
Das Wild kommt aus Wrechen in der Uckermark. Ein Freund des Hauses ist Jäger und liefert, was ihm je nach Jahreszeit vor die Flinte kommt. Zum Wildschwein gibt’s zwei Kleckse Semola-Creme aus dem typisch italienischen Hartweizen und geschmortes frisches Gemüse auf einem Extrateller. Es hat sich seinen Biss bewahrt und tritt der Fleischlichkeit souverän entgegen.
Wir verlassen uns bei diesem Hauptgang wie schon bei den Antipasti auf die Empfehlung von Magdalena Barba, die den Service und die Getränke im Blick und im Griff hat. Ein 2021er Lugana Oasi Mantellina von Allegrini verströmt dunkle Aprikose in Richtung Nase. Er schmeckt zunächst viel frischer als er duftet, um nach hinten heraus doch einen Schwenk ins Nussige bis Zartbittere zu nehmen. Das passt sehr gut zum sanften Schwein. „Man merkt den Übergang zum Herbst“, sagt die kulinarische Freundin. Nicht zuletzt, weil auch der ganze, doch recht übersichtliche Gastraum nach Trüffeln und Steinpilzen duftet, die viele Mitgäste vorzugsweise mit Pasta auf den Tellern haben. „König-Steinpilze, die duften wie verrückt“, sagt Salaris.
Ich träume von einem Teller Trüffel-Pasta. Das müsste ich noch nicht einmal. Die Lieblingspasta wurde schon als „Linguine fresci al tartufo neri“ auf die Wandtafel notiert und ist gerade zu haben. Wir jedoch hatten als „Primo“, als traditionellen ersten Pasta-Gang, eine Fregola mit Spirulina, Vongole, Tintenfischchen und Garnelen. Die eckigen, gerösteten Hartgrieß-Knöpfchen sind eine Spezialität Sardiniens. „Mein Neffe ist Meeresbiologe in Oristano und hat mir die empfohlen.“
In Tresnuraghes in der Provinz Oristano wuchs Giovanni Antonio Salaris auf, bevor er als 18-Jähriger nach Berlin kam. Er lernte im „La Messalina“ in Zehlendorf sein Handwerk. „Ich habe mit der Zeit gemerkt, ich liebe diesen Job.“ Die Liebe zur Heimat und ihrer Küche waren nicht minder stark. Salaris eröffnete 2016 sein eigenes Lokal in Charlottenburg. Seine Frau ist das Gesicht und die gute Seele im Gastraum: „Magda ist nett und kann reden. Die Leute lieben das.“ Schließlich gibt es immer etwas zu besprechen: Mal klopft es schon vor der offiziellen Öffnung um 17 Uhr an der Tür oder es klingelt das Telefon, weil jemand nach einem Tisch oder einem Termin für eine Feier fragt.
Eine Reservierung sei bei 40 Plätzen und vielen Stammgästen mindestens eine Woche im Voraus empfehlenswert, sagt Salaris: „Die Gäste kommen aus Bernau oder Buckow, von überall her.“ Tatsächlich fällt die „Trattoria da Antonio“ an der vielspurigen Hauptverkehrsstraße, nicht weit entfernt von der Deutschen Oper und gegenüber vom „LSD Kino“, im Vorübergehen oder -fahren nicht auf. „Wir sind kein Kiez-Italiener.“
Kochbücher sind Antonio fremd
Die Gäste wissen, dass die Trattoria authentisches sardisches Essen mit Saft und Kraft bietet: „Ich versuche unsere Küche so zu belassen, wie sie ist – uralt, einfach und voller Geschmack.“ Oft stecken die Gäste nach der Ankunft erst einmal ihren Kopf in die Küche und fragen: „Antonio, was hast du?“ Hoffentlich ein Ossobuco! „Das mögen vor allem die Männer gern“, weiß Magdalena Barba. Da gegrillt, gebraten und gekocht wird, was es gerade frisch gibt, kann das mal ein Loup de Mer oder Tintenfisch, ein Entrecôte, Reh, Hirsch oder Wildschwein sein. Sehr gute Produkte und sehr guter Geschmack sind am wichtigsten: „Wenn du an der Qualität sparst, bist du tot“, weiß Salaris.
Wir sehen ein Oktopusbein auf einem Bett von Semola-Püree zum Nachbartisch schweben. „Danach würde sich mein Mann verzehren“, sagt die Freundin, deren zweiter Besuch damit bald naht. Sie dagegen dürfte eher die Malloreddus mit Salsiccia bevorzugen. Die kleine sardische Pasta mit den charakteristischen Rillen wird bei Salaris mit einer selbst gemachten Salsiccia, der groben italienischen Bratwurst, zubereitet. „Ich nehme nur Schwein, Salz, Pfeffer und Fenchel. So kommt der Geschmack vom Fleisch heraus und die Salsiccia ist nicht so salzig wie die industriell hergestellte.“
Wie das mit den diversen Käse- und Salami-Sorten und Schinken sonst noch geht, zeigen ein Blick und viele Happen von der großen Antipasti-Platte. Sie trägt außerdem Caponata, Vitello Tonnato „mit hausgemachter Mayonnaise“, Zucchini-Kroketten, Parmigiana, süßsaure Beluga-Linsen und natürlich sardischen Käse auf einem Unterbau von Pane Carasau. Das papierdünne sardische Trockenbrot nimmt die Saucen von den cremigen Antipasti ein wenig an. Oder es bleibt unter getrüffeltem Provolone, einem cremigen, sechs Monate alten Pecorino Sardo, sardischem Wildschweinschinken und getrüffelter Salami, Reh- und Wildschwein-Salami oder Salsiccia mit Mirto von ausgesuchten kleinen und familiären Herstellern krachtrocken.
Es ist aus der Heimat importiert, aber mit Extras angereichert: „Antonio macht immer noch Kräuter, Olivenöl oder Gemüse daran“, lässt uns Magdalena Barba wissen. Zwei noch dampfende Laibe Sauerteigbrot stehen kurz vor der Restaurant-Öffnung auf der Anrichte – ebenfalls hausgebacken und jeden Tag ein bisschen unterschiedlich. „Mein Mann hat noch nie ein Kochbuch aufgeschlagen, so lange ich ihn kenne.“ Dafür hat er offenkundig eine individuelle Rezeptbibliothek im Kopf, in der zu Quitte oder Tintenfisch, Wildschwein oder Bottarga sofort die richtigen Seiten aufgeschlagen werden. Bottarga, der gesalzene, getrocknete und in Blöcke gepresste Rogen der Meeräsche, ist gerade aus; Salaris wartet auf die nächste Lieferung aus Sardinien.
Nähe zum Orient deutlich spürbar
„Ich wollte euch auch noch eine Zuppa Gallurese machen, aber das habe ich nicht mehr geschafft. Wir sind ja nur zu zweit.“ Ein weiterer Koch steht ihm in der Küche zur Seite. Magdalena Barba arbeitet mit einer weiteren Servicekraft an diesem Abend im Gastraum zusammen, häufig ist sie aber allein. Ein ganz schönes Programm für so wenige Menschen und so viele begeisterte Gäste! Kein Problem mit der Zuppa Gallurese – essen wir die deftige Brotsuppe, die streng genommen eher ein Auflauf ist, mit Fleisch und sardischen Käsen eben beim nächsten Besuch. Mit den Antipasti, die so ein fein differenziertes Aroma haben wie es nur selten in der Stadt anzutreffen ist, sind wir ohnehin mehr als glücklich und auf dem besten Weg sehr frühzeitig satt zu werden. Tipp: Eine Antipasti-Platte für zwei reicht locker für drei bis vier Personen, die anschließend Pasta, Fisch oder Fleisch essen wollen!
Wir steigen mit einem Schokoladencreme-Tiramisu und einer Seada aus. Letztere ist eine mit Ricotta gefüllte Teigtasche. Sie wird ausgebacken, mit Puderzucker und sardischem Honig beträufelt und heiß gegessen. Köstlich! Sie zeigt, wie nah Sardinien dem Orient ist – sie erinnert mich an Kunafa mit Kataifi-Fadennudeln und Schafskäse-Füllung. Darauf einen roten Mirto! Der sardische Myrthenlikör wird gut gekühlt getrunken und ersetzt mit seiner vollmundigen Süße jeden Bitter als Digestif vollgültig. Die Sarden wissen, wie’s mit der guten, einfachen Küche geht. Wir jetzt auch.