Ein dreiviertel Jahr nach der Wahl ist die CDU in der ungewohnten Oppositions-Rolle angekommen. Die Debatten mit der SPD-Alleinregierung werden lebhafter. CDU-Chef und Oppositionsführer Stephan Toscani über den Transformationsfonds, die Kommunen und gesellschaftliche Entwicklungen.
Herr Toscani, nach langer Regierungszeit ist die CDU jetzt seit einem halben Jahr Opposition im Saarland. Wie fühlt sich das an?
Wir haben die neue Aufgabe angenommen und wir haben eine Vorstellung davon, wie wir sie ausfüllen wollen: Konstruktive Opposition, die mit der Regierung in den Wettbewerb der Ideen geht, und wenn es sein muss, auch mit deutlicher Kritik. Also keine Fundamentalopposition. Wir verstehen uns als Regierung im Wartestand.
Wie groß ist der Spagat in einer Krisenzeit, in der die Menschen überwiegend erwarten, dass alle an einem Strang ziehen und nicht ständig streiten?
Demokratien und offene Gesellschaften stehen unter Druck, ganz besonders die europäischen Demokratien durch den Ukraine-Krieg. Deshalb ist es wichtig, den Zusammenhalt der Demokraten zu leben. Auf der anderen Seite aber keine Scheu vor dem zu haben, was Demokratie ausmacht: dem Wettbewerb der Ideen. Ich sehe das nicht als Streit, sondern als Ringen um die beste Lösung. Das ist ja gerade der entscheidende Unterschied zu autoritären Systemen.
Das beherrschende Thema in der Landespolitik ist aktuell die Diskussion um den Drei-Milliarden-Transformationsfonds. Warum sehen Sie das Vorhaben so kritisch?
Die Transformation unserer Wirtschaft ist sicher ein zentrales Thema, aber nicht das einzige. Es geht um den Strukturwandel, der dadurch ausgelöst wird, dass wir CO2-neutral werden wollen. Für das Saarland ist es so wichtig, weil wir einen überproportionalen Anteil an Industrie haben, vor allem im Bereich Stahl, Metallbau und Automobile. Die Transformation ist eine große Herausforderung. Sie ist aber nicht die einzige große Herausforderung. Ich sehe die Lage unserer Kommunen als weiteres zentrales Thema.
Die Diskussion um den Transformationsfond dreht sich um die Frage: „Chancen oder Belastungen für die nächste Generation“. Was sind die Gründe für Ihre Bedenken?
Nicht zu handeln wäre falsch. Die Frage ist nur: Wie handeln? Die einzige Antwort der Landesregierung ist, gigantische neue Schulden zu machen. Das ist gefährlich, weil die Landesregierung das Saarland in einen Teufelskreis der Überschuldung führt. Wenn die Zinsen weiter steigen, drohen wir handlungsunfähig zu werden. Das Saarland gerät dann in eine Existenzkrise. Außerdem sehen wir die Gefahr, dass das Ganze nicht generationengerecht ist. Die Rückzahlung dieser gigantischen Schulden will die Landesregierung bis zum Jahr 2075. Es werden also finanzielle Lasten weit in die Zukunft geschoben – auf Kosten unserer Kinder und Enkel: Das halten wir für nicht verantwortbar. Auch wir sehen, dass Kredite für die Transformation notwendig sind. Aber sie müssen generationengerecht sein – vom Umfang und den Rückzahlungsmodalitäten her. Im Ergebnis halten wir eine Milliarde Euro an Landesschulden für vertretbar. Aber nicht mehr. Die Verschuldung muss sich ausschließlich auf die Bewältigung dieser ökologisch-ökonomischen Notlage konzentrieren und so aufgebaut sein, dass die Mittel nur hierfür verwendet werden und bis Ende des Jahrzehnts zurückgezahlt sein müssen.
Ist das aus Ihrer Sicht eher eine Frage der technischen Abwicklung notwendiger Investitionen oder auch eine inhaltliche Frage?
Eine Inhaltliche: Die große Frage ist, wie die saarländischen Unternehmen den Weg zur CO2-Neutralität schaffen und wie der Staat sie dabei unterstützt. Es gibt beispielsweise konkrete Pläne der Stahlindustrie. Sie erwartet eine Unterstützung durch die öffentliche Hand. Eine klare Botschaft aus der Stahlindustrie jenseits dessen, dass Geld gebraucht wird für den Transformationsprozess, ist: Wir brauchen ausreichend billige Energie. Energieversorgung ist ein Topthema der nationalen Politik. Das trifft uns in Deutschland insgesamt härter als andere Länder: Deutschland hat einen Industrieanteil von 20 Prozent beim verarbeitenden Gewerbe, Frankreich von etwa zehn, Großbritannien sogar unter zehn. Die entscheidende politische Frage lautet, wie wir die CO2-Ziele erreichen, ohne dass dies zu einem massiven Wohlstandsverlust bei uns führt.
„Nicht zu handeln wäre falsch. Die Frage ist: Wie handeln?“
Woher soll die Unterstützung kommen, wenn nicht aus diesem Fonds?
In den letzten zehn Jahren haben wir die Investitionen aus dem Kernhaushalt von rund 380 Millionen Euro auf rund 480 Millionen Euro gesteigert. Wir wollen diese Investitionen im Kernhaushalt in den nächsten Jahren weiter erhöhen. Wenn wir den Weg der vergangenen zehn Jahre fortsetzen, ermöglichen wir damit zusätzliche Investitionen aus dem Kernhaushalt von einer Milliarde Euro. Darüber hinaus ist vor allem der Bund in der Pflicht. Wir stehen zu den CO2-Zielen. Aber die Bundesrepublik hat eine große Verantwortung. Die Transformation ist eine gesamtstaatliche Aufgabe. Das Saarland ist überproportional betroffen, also muss es auch überproportional Unterstützung vom Bund bekommen. Aus unserer Sicht haben wir einen Anspruch, weil wir als Region von der Transformation überproportional betroffen sind. Mit diesem Argument muss die Landesregierung konsequent verhandeln, zumal die Bundesregierung bereits einmal regionalen Strukturwandel zur Erreichung der Klimaziele unterstützt hat. Als der Stopp der Braunkohleförderung beschlossen wurde, hat der Bund wuchtige, mächtige Strukturhilfen für diese Regionen zugesagt. Der Bund muss uns in ähnlicher Weise helfen! Es ist eine gesamtstaatliche Aufgabe, entsprechend fordern wir nationale Unterstützung. Die Landesregierung sagt, das Gelingen des Strukturwandels im Saarland sei ein Lackmustest für ganz Deutschland. Weil das so ist, muss die Landesregierung beim Bund für überproportionale Bundesmittel für das Saarland kämpfen. Es geht darum, die Industrie zu erhalten, aber sie so umzugestalten, dass sie klimaneutral produzieren kann. Ich will noch auf einen anderen Aspekt hinweisen: Wenn wir den Strukturwandel im Saarland voranbringen wollen, brauchen wir eine bessere Start-up-Förderung. Wir haben ein Riesenpotenzial mit hervorragenden Forschungseinrichtungen. Daraus machen wir noch viel zu wenig. Hier muss mehr passieren. Deshalb schlagen wir einen Saarland-Innovationsfonds zur Start-up-Förderung vor, mit dem 100 Millionen Euro an öffentlichen Mitteln 400 Millionen Euro aus privaten Mitteln anstoßen können. Insgesamt können so 500 Millionen Euro für Gründungen mobilisiert werden.
Verantwortung des Bundes sehen Sie auch bei den kommunalen Altlasten. Über eine Entlastung hochverschuldeter Kommunen wird schon lange gestritten. Warum gelingt das nicht?
Die Ampel hat in ihrem Koalitionsvertrag die Entlastung für hochverschuldete Kommunen angekündigt. Aber sie zögert bei der Umsetzung. Gerade die saarländischen Kommunen warten dringend auf diese von der Bundesregierung angekündigte Entlastung.
Das Land selbst hat mit dem Saarlandpakt die Hälfte der kommunalen Kassenkredite übernommen. Warum reicht das nicht?
Das war ein erster wichtiger Schritt. Es reicht aber nicht, weil die andere Milliarde an Kassenkrediten die Kommunen weiter drückt und die Belastungen durch die Zinsen weiter zunehmen. Auf der anderen Seite haben wir einen Investitionsstau, besonders in der kommunalen Infrastruktur, zum Beispiel bei Schulen, Dorfgemeinschaftshäusern und Hallen. 500 Millionen mehr an Steuereinnahmen wird die Landesregierung in 2022 einnehmen – ein Allzeithoch an Steuermehreinnahmen. Wir wollen die Städte und Gemeinden davon profitieren lassen und fordern ein Programm „Investitionsoffensive Grundschulen“ mit einem Volumen von 300 Millionen Euro.
Die Kommunen klagen über immer weiter zunehmende Belastungen. Über welche Dimensionen reden wir dabei?
Es ist die Zusammenballung von Problemen, die auf die Kommunen zukommen. Eine solche Konzentration von Lasten habe ich bislang noch nicht erlebt. In der Flüchtlingsfrage gibt es Hilfen vom Bund, die reichen aber bei Weitem nicht, mit dem Rechtsanspruch auf Nachmittagsbetreuung an Grundschulen entsteht zusätzlicher Investitionsbedarf, ebenso mit der Einführung von G9, dazu kommt die Wohngeldreform und das Thema ÖPNV. Diese Belastungen treffen saarländische Kommunen, die die höchste Pro-Kopf-Verschuldung im Bundesvergleich haben. Also: Große finanzielle Belastungen treffen auf schwache Finanzausstattung und hohe Altverschuldung unserer Städte und Gemeinden. Das ist, jenseits aller politischen Farbenlehre, eine Großbaustelle des Landes. Der Transformationsfonds gibt den Kommunen keine wirkliche Hilfestellung. Der Fonds ist nur auf energetische Sanierungen beschränkt. Was nutzt die Fotovoltaikanlage auf dem Dach der Schule, wenn in den Klassenräumen Schimmel ist und die Toiletten marode sind. Der Transformationsfonds ist dauerhaft keine Hilfe für die Kommunen.
In der Bildungspolitik hat Ihre CDU im Wahlkampf einen Schwenk zu G9 gemacht, jetzt wird G9 umgesetzt. Sie sind trotzdem nicht zufrieden.
(lacht) Nach den Ankündigungen der Landesregierung wird es in saarländischen Gymnasien zukünftig weniger Unterricht geben, als das bundesweit der Fall ist. Für uns ist G9 nicht nur die Verlängerung der Gymnasialzeit, sondern auch bessere Bildung am Gymnasium. Also es geht nicht nur darum, was draufsteht, sondern was drin ist.
„Transformation ist zentral, aber nicht das einzige Thema“
Seit 24. Februar haben sich die Rahmenbedingungen für alle diese Herausforderungen, die es vorher schon gab, massiv verändert. Dabei spielt für das Saarland immer auch die europäische Dimension eine Rolle. Wie bewerten Sie die Entwicklung?
Der völkerrechtswidrige Überfall von Putin auf die Ukraine hatte zur Folge, dass die europäischen Staaten zusammengerückt sind. Mit dieser Geschlossenheit hat Putin offenbar nicht gerechnet. Die Frage ist: Geben wir weiter die richtigen Antworten? Dieser brutale Angriffskrieg müsste ein Weckruf für die Europäer sein, die europäische Sicherheits- und Verteidigungsfähigkeit zu stärken. Schon die Wahl von Trump mit den Veränderungen der US-amerikanischen Außenpolitik hätte ein Weckruf sein müssen. Deutschland hat eine besondere Verantwortung, zusammen mit Frankreich. Was wir jedoch erleben, ist eine deutsch-französische Krise, die dazu führt, dass nichts wirklich vorangeht. Die Bundesregierung hat mit ihren Alleingängen und nicht abgesprochenen Initiativen viele europäische Nachbarn vor den Kopf gestoßen. Die Ampel-Koalition hat in kürzester Zeit das internationale Ansehen und Vertrauen in Deutschland geschwächt.
Die Stimmungslage insgesamt nach über zweieinhalb Jahren Pandemie und fast einem Jahr unter den Folgen Krieges scheint zunehmend nervöser und gereizter, teilweise auch aggressiver zu werden. Selbst der Bundespräsident hat das unlängst in einer Rede aufgegriffen. Wie groß ist die Herausforderung?
Sind wir uns bewusst, wie kostbar unsere Demokratie ist und dass Demokratie kein Selbstläufer ist? Demokratie bedeutet vom Ansatz her einen Wettbewerb der Ideen, nicht ein hasserfülltes Eindreschen, andere herabsetzen durch Hasskommentare oder arrogante moralische Herabsetzung, wenn jemand eine andere Haltung vertritt. Es geht insgesamt um das Thema Resilienz von Demokratien und offenen Gesellschaften. Keiner kann für sich in Anspruch nehmen, die einzig gültigen Antworten auf die Fragen der Zeit zu haben. In einer pluralistischen Gesellschaft finden sich Antworten durch öffentliche Diskussion und Mehrheitsbildung – immer mit der Möglichkeit zur Korrektur. Vor allem lebt die Demokratie davon, dass Bürger sich beteiligen und sich nicht zurückziehen. Wolfgang Schäuble hat einmal eine Art Kundenmentalität beklagt nach dem Motto: Ich bezahle meine Steuern, also erwarte ich, dass alles perfekt läuft. Natürlich darf der Bürger hohe Erwartungen an die politisch Handelnden haben, aber zu hohe Erwartungen führen schnell zur Enttäuschung. Der Staat kann nicht jedes Problem sofort lösen. In den Krisen der vergangenen Jahre hat die Politik in Deutschland gezeigt, dass der Staat handlungsfähig ist.