Schon vor 5.000 Jahren wütete in Eurasien die Pest, an der viel später, wohl 1227, auch der legendäre Mongolenfürst Dschingis Khan verstorben sein könnte. Jüngste Forschungen haben den für Mitteleuropa gravierendsten Ausbruchszeitpunkt des Schwarzen Todes allerdings erst auf das Jahr 1338 datiert.
Er hatte mit seinen 65 Jahren ein für die damaligen Verhältnisse ungewöhnlich hohes Lebensalter erreicht. Und dabei in seiner gerade mal gut 20-jährigen Regentschaft als oberster Mongolenfürst mit dem Ehrentitel Großkhan ein Riesenreich erschaffen, das in der Geschichte seinesgleichen suchte – vom Chinesischen Meer im Osten bis zum Kaspischen Meer im Westen reichte es und war damit doppelt so groß wie das heutige China. Wenn ein Herrscher seines Schlages dann plötzlich verstarb, mussten natürlich die Todesumstände und Bestattungszeremonien entsprechend seinem Rang von Freund wie Feind interpretiert werden. So geschehen auch bei Dschingis Khan, der unter dem Namen Temüdschin um 1160 als Sohn eines lokalen mongolischen Potentaten das Licht der Welt erblickt hatte und wohl 1227, also vor 795 Jahren, eines unerwarteten Todes starb.
Da bis heute trotz aufwendiger archäologischer Expeditionen sein Grab nicht gefunden werden konnte, gibt es bislang keine Möglichkeit, auch mithilfe modernster Technik die genauen Ursachen seines Ablebens zu erforschen. Um Grabschändungen zu vermeiden und wohl auch aus religiösen Gründen wurden seinerzeit mächtige Verstorbene an entlegenen und streng geheimen Orten zur letzten Ruhe gebettet. Einer Legende nach mussten Tausende seiner getreuen Soldaten auf ihren Pferden sitzend die Grabstätte unkenntlich einplanieren. Einem anderen Mythos zufolge wurde der im mongolischen Chentii-Gebirge entspringende Fluss Onon so umgeleitet, dass das Grab für immer auf dem Wassergrund verborgen bleiben konnte. Das Fehlen eines Leichnams und damit die Unmöglichkeit, die sterblichen Überreste Dschingis Khans ausfindig zu machen, haben über die Jahrhunderte die Spekulationen um die Todesursache befeuert.
Mehrere Theorien zu seinem Ableben
Laut der in der Hypatius-Chronik aus dem 15. Jahrhundert enthaltenen Abschrift der Galizisch-Wolhynischen Chronik aus dem 13. Jahrhundert war Dschingis Khan bei einer Schlacht gegen die Chinesen vom Pferd gefallen und hatte sich dabei tödliche Verletzungen zugezogen. Was ein ziemlich unrühmliches Ende für den Anführer eines Reitervolkes gewesen wäre, das seine zahllosen Siege vor allem seinen Künsten im Sattel und auch den in damaliger Zeit allen Gegnern waffentechnisch weit überlegenen Schießbogen verdankte. Einen direkten historischen Bezug weist eine andere Version vom Ende des Großkhans auf, der zufolge der Herrscher während der Entscheidungsschlacht gegen den chinesischen Volksstamm der Xia an einer entzündeten Pfeilwunde verschieden sei.
Wenig schmeichelhaft für den Mongolenfürsten dürfte die Kastrationslegende sein. Demnach soll sich eine Prinzessin des unterworfenen Tanguten-Stammes gegen die drohende Vergewaltigung mithilfe eines Messers gewehrt und durch die Entmannung Dschingis Khans sein tödliches Verbluten verursacht haben. Zur Entstehung dieses Mythos könnte beigetragen haben, dass sich der Mongolenherrscher gnadenlos Frauen aus besiegten Volksstämmen zu Bett-Gespielinnen gemacht haben soll. Chronisten zufolge sollen allein 500 Frauen zu seinem Harem gezählt haben. Er soll zahllose Kinder gezeugt haben, weshalb Genetiker vor einigen Jahren rund 16 Millionen lebende Menschen als Nachfahren des Mongolen-Khans errechnet haben. Dieser hatte sich selbst nicht nur als „Strafe Gottes“ beschrieben, die über seine Feinde wegen deren „furchtbaren Sünden“ gekommen sei, sondern hatte sich auch ganz offen zu seinen Gewalttaten an Frauen bekannt: „Glück bedeutet, seine Feinde zu vernichten, sie ihres Reichtums zu berauben und auf den weißen Bäuchen ihrer Frauen und Töchter zu schlafen“, wird ihm als Zitat zugeschrieben.
Wissenschaftlich fundiert ist keine einzige dieser Todesursachen-Legenden. „Freunde und Feinde der Mongolen schufen eine Vielzahl an faszinierenden, aber sich widersprechenden Legenden über das Ende des berühmten Königs“, so ein Team von Wissenschaftlern der University of Adelaide um die Medizinerin Wenpeng You und den italienischen Palöopathologen Professor Francesco Galassi. Die Wissenschaftler haben in historischen Quellen Hinweise darauf gefunden, dass dem Tod Dschingis Khans möglicherweise keinerlei spektakuläre Ursache zugrunde lag, wie sie Historiker bei berühmten Persönlichkeiten noch immer viel zu häufig vermuten. Viel wahrscheinlicher sei, dass der Mongolenfürst an einer im 13. Jahrhundert in Zentral- und Ostasien ausgebrochenen Menschheitsseuche, der Pest, erkrankt und schnell an den Folgen verstorben sein könnte. Allerdings konnten Forscher von der Uni Tübingen, der britischen University of Stirling und vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig jüngst anhand von DNA-Analysen menschlicher Überreste und der Auswertung von Grabinschriften den Ausbruch der Pestepidemie, die für das europäische Mittelalter so verheerend war und bis zu 60 Prozent der Bevölkerung dahinraffte auf das Jahr 1338 datieren und am Yssykköl-See in Kirgistan verorten. Was allerdings die neue Hypothese über den Pesttod von Dschinghis Khan nicht zwangsläufig widerlegen kann. Das für die Seuche grundlegende Bakterium Yersinia pestis war schon mindestens seit der Steinzeit vor rund 5.000 Jahren in Eurasien aufgetreten und erwies sich dank einer auf Flöhe als Zwischenwirte angewiesenen Variante als dauerhaft fatal für den Menschen. In als „Pestreservoirs“ bezeichneten Nagetierpopulationen konnte das Bakterium Jahrtausende überdauern.
Pest gab es bereits seit der Steinzeit
Zum Zeitpunkt seines Todes, der aller Wahrscheinlichkeit nach auf den 25. August 1227 datiert werden kann, befand sich Dschingis Khan mit seinem Heer im Kampf gegen die chinesischen Xia und belagerte schon seit Monaten deren Hauptstadt Yinchun. Seine Reitertruppen standen kurz vor dem entscheidenden Sieg, obwohl sie durch einen plötzlichen Ausbruch der Pest wohl schon ziemlich stark dezimiert gewesen sein könnten. Das konnten die Forscher der University of Adelaide aus den Aufzeichnungen eines bekannten chinesischen Heilkundlers jener Zeit namens Yelü Chukais entnehmen, dem im Dienste der Mongolen auch ein bemerkenswerter sozialer Aufstieg gelang. Er hatte nachweislich 1226 versucht, die pestkranken Soldaten mit einem pflanzlichen Mittel zu heilen. In einer anderen historischen Quelle, der um 1370, also 150 Jahre später, während der Ming-Dynastie verfassten „Geschichte von Yuan“, fanden die Wissenschaftler zudem Hinweise auf typische Symptome einer Pesterkrankung bei Dschingis Khan.
Demnach soll der Mongolenfürst vom 18. bis 25. August 1227 an einem starken Fieber erkrankt gewesen sein. Lange Zeit war dies als Beleg für eine Typhuserkrankung gedeutet worden. „Aber angesichts der Tatsache, dass typische Symptome wie Bauchschmerzen und Erbrechen nicht erwähnt werden“, so das Team von Wenpeng You, „ist dies nicht die einzige denkbare Möglichkeit“. Es liege vielmehr der Verdacht nahe, dass sich der Mongolenfürst mit dem Pestvirus infiziert hatte. Hohes Fieber sei eines der wesentlichen Merkmale der Beulenpest gewesen, gepaart mit Kopf- und Gliederschmerzen. Laut den Wissenschaftlern sei es sinnvoll und naheliegend gewesen, dass die engsten Vertrauten des Großkhans sogleich die Umstände seines Todes vertuscht hatten, um die Moral der Truppen und den Erfolg des Krieges nicht zu gefährden. Zusätzlich galt es, dafür zu sorgen, dass keine Nachricht über einen solch profanen und elendigen Tod des mächtigen Herrschers verbreitet werden konnte. Mit letzter Sicherheit lässt sich der Pesttod Dschingis Khans laut Wengpeng You & Co. auf Basis der spärlichen historischen Quellen allerdings nicht beweisen. Dennoch halten sie dieses Lebensende-Szenario für wesentlich wahrscheinlicher als sämtliche gängigen Legenden und Mythen.
Geschickte Festigung der Macht
Der Aufstieg Dschingis Khans dagegen mutet im historischen Rückblick geradezu märchenhaft an. Denn in kürzester Zeit gelang ihm dank seiner Erfolge als Heerführer der Aufstieg vom Vasallen mit aristokratischen Wurzeln an die Spitze aller mongolischen Stämme, die er unter seiner straffen Führung zwischen 1190 und 1206 einigen konnte. Seiner Schätzungen zufolge 100.000 Mann starken Streitmacht waren bei den zahllosen Eroberungszügen keine Gegner gewachsen. Und er wusste sein Imperium, gestützt auf die mittels einer allgemeinen Wehrpflicht aufgebaute Armee, dank einer leistungsfähigen Verwaltung und der Einführung eines Rechtssystems schnell zu festigen. Obwohl er selbst wohl Analphabet war, ließ er auch eine aus dem Uigurischen abgeleitete mongolische Schrift etablieren. Und wie es sich für einen großen Machthaber gehört, gab er 1220 auch den Befehl zum Bau einer neuen Hauptstadt namens Karakorum, die bis heute für alle Mongolen das historische Zentrum ihres Nationalstaates geblieben ist. Über die Bedeutung des Titels „Dschingis Khan“ streiten sich die Gelehrten. Die einen deuten ihn im Sinne von „Herrscher der edlen Reiter“, die anderen als „Herrscher zwischen den Weltmeeren“.