Steigende Geburtenraten und Einsparungen von Hebammen in Geburtskliniken sorgen für Unmut. Viele Geburtshelferinnen verlassen ihren Job wegen schlechter Arbeitsbedingungen. Der Hebammenverband spricht von einem „Überlebenskampf der Geburtshilfe“.
Die Geburt eines Kindes kann weniger als eine Stunde, aber auch schon mal länger als einen Tag dauern. Entbindungen, die zu lange dauern, können für Krankenhäuser schnell zu einem Minusgeschäft werden. Denn dort werden Geburten über das Fallpauschalensystem abgerechnet. Das bedeutet: Je mehr Fälle, desto mehr Geld. Und je kürzer die Liegezeit der einzelnen Patienten, desto mehr Fälle. Immer wieder berichten Klinikhebammen, das zu ihrem Arbeitsalltag gehört, bis zu fünf Gebährende gleichzeitig betreuen zu müssen. Nach einer Statistik des Deutschen Hebammenverbandes gab es 1991 noch 1.186 Krankenhäuser mit Geburtshilfe. 2018 waren es nur noch 655. Gleichzeitig fehlt es den Kliniken an regulärem Pflegepersonal. Allein in Berlin werden jedes Jahr etwa 40.000 Babys geboren. Inmitten der Krise des Gesundheitssystems sieht es um die Zukunft der Geburtshilfe besonders fragil aus.
Kritik an Karl Lauterbachs Plänen
„Geburtshilfe ist für Kliniken komplett unattraktiv“, sagt Juliane Beck. Die Juristin leitet den Runden Tisch „Elternwerden“ beim Verein „Arbeitskreis Frauengesundheit“. Die Initiative hat mit 23 verschiedenen Organisationen im Jahr 2021 ein Strategiepapier zur Neuausrichtung der Geburtshilfe in Deutschland entwickelt. In dem Papier wurde unter anderem die Ausrichtung an den individuellen Bedarfen von Frau, Kind und Familie eingefordert. Das ist mitunter in den Koalitionsvertrag in Form der Eins-zu-eins-Betreuung von Hebammen und Schwangeren eingeflossen. Die hohe Kaiserschnittrate etwa sei, so sagt Juliane Beck, medizinisch kaum zu rechtfertigen. Dabei würde diese Operation die Mütter in den ersten Stunden und Tagen stark einschränken, ausgerechnet in der Zeit, die für die Mutter-Kind-Bindung sehr wichtig sei, erläutert sie. Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes ist 2020 fast jedes dritte Kind in deutschen Kliniken per Kaiserschnitt zur Welt gekommen. Damit hat sich der Anteil seit 1991 fast verdoppelt. Für die Kliniken sind diese Operationen durchaus attraktiv. Der komplette Eingriff inklusive OP-Vorbereitung wird in durchschnittlich 60 Minuten durchgeführt. Eine natürliche Geburt hingegen dauert um ein Vielfaches länger. „Oft wird immer noch von einer durchschnittlichen Geburtsdauer von zehn Stunden ausgegangen, doch wissenschaftliche Studien belegen, dass das Geburten ohne Gefährdung von Mutter und Kind bei guter Begleitung durchaus auch 24 Stunden dauern können“, so Juliane Beck. Vielleicht sei es für die Diskrepanz auch ursächlich, dass es erst seit Kurzem evidenzbasierte S3-Leitlinien für die Geburtshilfe gebe.
„Wir erleben in Deutschland derzeit einen Überlebenskampf der Geburtshilfe, wie wir ihn bis vor Kurzem für undenkbar gehalten hätten“, sagte Ulrike Geppert-Orthofer, Präsidentin des deutschen Hebammenverbandes (DHV). „Geht es nach den Empfehlungen der Regierungskommission und nach den Vorstellungen des Bundesgesundheitsministeriums, sollen Hebammen immer weiter aus der Versorgung verdrängt werden.“ Der DHV warnte vor einer erheblichen Verschlechterung in der klinischen Geburtshilfe und der Versorgungssicherheit von Frauen und Kindern. Die Interessenvertretung von rund 22.000 Hebammen sandte einen Brandbrief an die Ampel-Koalition. Der Verband machte dies an mehreren Punkten fest. So etwa kritisierten die Geburtshelferinnen die schon seit fast einem Jahr bestehende sogenannte Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung. Sie besagt, dass auf Hebammenstellen auf den Pränatal- sowie Wochenbettstationen und in der ambulanten Pränatalversorgung nur zu fünf bis maximal zehn Prozent angerechnet werden. Das stößt auch bei Ann-Jule Wowretzko auf Unverständnis. „Diese Gesetze machen keinen Sinn“, sagt die Geburtshelferin und Vorsitzende des Berliner Hebammenverbandes gegenüber FORUM. Wenn eine Klinik die Untergrenzen nicht einhalte, müsse sie sogar eine Strafe bezahlen, obwohl Hebammen die Frauen optimal betreuen. „Die Verordnung ist nicht zielführend. Hebammen müssen auch im Stationsdienst eingesetzt werden können.“ Scharf kritisiert wurde auch der Plan von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hinsichtlich der Finanzierung von Klinikhebammen. Sein Plan des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes sah bis vor Kurzem noch vor, dass ab 2025 nur noch Pflegekräfte bezahlt werden, die unmittelbar Patientinnen und Patienten auf bettenführenden Stationen betreuen. Im Klartext bedeutet das: Anderes medizinisches Fachpersonal wie Physiotherapeuten, Logopäden oder Hebammen müssten die Krankenhäuser anderweitig finanzieren. Inzwischen haben die Proteste ihre Wirkung erzielt. Zumindest in puncto GKV-Finanzstabilisierungsgesetz hat der Bundesgesundheitsminister nach aktuellen Presseberichten eingelenkt. „Die Finanzierung der Hebammen im Krankenhaus ist gesichert“, schrieb etwa die „Saarbrücker Zeitung“. Für Hebammen solle ab 2025 der „Personalaufwand im Umfang der dafür nachgewiesenen Kosten vollständig im Pflegebudget“ berücksichtigt werden, so die Zeitung. Demnach werde die Beschäftigung von Hebammen in den Kreißsälen dann auch einer unmittelbaren Patientenversorgung auf bettenführenden Stationen gleichgestellt.
Hebammen in Städten ausgebucht
Nichtsdestotrotz steht die Zukunft der Geburtshilfe auf wackeligen Beinen. Nach Einschätzung von Ann-Jule Wowretzko gibt es zwar ausreichend und gut ausgebildete Geburtshelferinnen in Deutschland. „Aber“, so Ann-Jule Wowretzko, „zu viele Hebammen verlassen den Beruf wieder, weil die Arbeitsbedingungen schlecht und die Arbeitsbelastungen sehr hoch sind“. Eine Umfrage des DHV unter 3.500 Hebammen bestätigt ihre Einschätzung: „2.700 Hebammen haben angegeben, sofort wieder und auch mehr im Kreißsaal arbeiten zu wollen, wenn sich die Rahmenbedingungen verbessern“, so DHV-Präsidentin Ulrike Geppert-Orthofer.
Dass die von der Politik versprochene Eins-zu-eins-Betreuung in weiter Ferne liegt, müssen etwa Berlinerinnen feststellen, die sich eine Beleghebamme für ihre Entbindung in der Klinik wünschen. „Viele sind ausgebucht“, sagt Wowretzko. Ähnliches gilt für freiberufliche Hebammen, die zu Hause oder in Geburtshäusern Gebährende betreuen. Zudem lohnt sich eine freiberufliche Tätigkeit für viele Hebammen nicht. Zumindest nicht in Großstädten. Denn neben hohen Berufshaftpflichtversicherungen kommen steigende Gewerbemieten hinzu. „Die von den Krankenkassen übernommene Betriebskostenpauschale reicht nicht“, sagt die Verbandschefin. Bei Klinikgeburten in kleineren Städten oder auf dem Land ist eine flächendeckende Versorgung oft nicht mehr gewährleistet. Kleine Geburtsabteilungen und immer mehr Kliniken schließen. „Dadurch müssen die übrigen Kliniken immer mehr Schwangere aufnehmen, und die Frauen müssen immer weiter fahren, um ihr Kind zu entbinden.“ Auf den Nordseeinseln sei es zum Teil sogar so, dass die werdenden Mütter ihre Insel vor der Entbindung verlassen und vorübergehend aufs Festland ziehen müssten, um ihr Kind zu gebären.