Bislang geht Victor Wembanyama noch in der französischen Liga auf Korbjagd. Doch der knapp 19-Jährige wird in der NBA schon als potenziell größter Basketball-Spieler aller Zeiten gehandelt. Ihm wird auch zugetraut, die Liga nach seinem 2023 anstehenden Wechsel in die USA komplett zu revolutionieren.
In der NBA ist es seit geraumer Zeit Usus geworden, junge, vielversprechende Talente mit außergewöhnlichen Fähigkeiten rund um den Ball bewundernd als „Einhorn“ zu bezeichnen. Doch beim französischen Jungstar Victor Wembanyama, der am 4. Januar seinen 19. Geburtstag feiern wird, hat man davon mal ganz abgesehen. Denn obwohl man sich bezüglich dieses Jungspunds auf die intensive Suche nach ganz anderen Superlativen begeben hatte, hatte man in der realen Welt dennoch keine treffenden Vergleiche gefunden. Ein Blick in die Weiten des Weltraums ließ Lakers-Superstar LeBron James schließlich fündig werden: „Jeder wurde in den vergangenen Jahren als Einhorn bezeichnet, aber er ist mehr wie ein Alien. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so groß ist und sich dabei dennoch so flüssig und elegant auf dem Feld bewegen kann.“
James prominenter Kollege Stephen Curry von den Golden State Warriors tauchte dagegen in die virtuelle Welt ab und verwies auf Kunstfiguren, die man sich bei Basketball-Computerspielen zusammenbasteln kann: „Er ist wie ein Spieler, den man bei NBA2K erstellt. Ich meine diese Point Guards, die über 2,13 Meter groß sind. Es fühlt sich wie ein Cheat Code an. Er hat viel Talent, und es macht Spaß, ihm zuzusehen.“ Auch Kevin Durant von den Brooklyn Nets, einer der aktuell spektakulärsten NBA-Profis, zollte Wembanyama größten Respekt, weil dessen Leistungen ihm regelmäßig „ein Lächeln aufs Gesicht“ gezaubert hätten. Aber er warnte auch schon mal die ganze Liga vor dem 2023 in der NBA erstmals anstehenden Auftauchen des Franzosen: „Die Liga bekommt ein Problem, wenn er endlich da ist.“
Trotz seiner Größe bewegt er sich flüssig und elegant
Vor allem das Etikett des „Alien“ hat sich für Wembanyama rund um die NBA schnell eingebürgert. Um seine absolut ungewöhnlichen, bislang noch bei keinem anderen Spieler in dieser Kombination vorgefundenen Fähigkeiten mal anschaulich zu beschreiben, hilft vielleicht am besten ein Vergleich mit dem Fußball. Dabei muss man sich einen Kicker vorstellen, der in sich die Eleganz von Abwehrorganisator Franz Beckenbauer, die Spiel-Lenkungskunst von Fritz Walter, die Dynamik von Lothar Matthäus, die Dribbel-Technik von Pierre Littbarski und den Torinstinkt von Gerd Müller vereinen müsste. Gibt es natürlich nicht, hat es auch noch nie gegeben. Aber wenn doch?
Was würde ein solcher Fußballer dann heute wohl kosten? 500 Millionen Euro? Die Summe ist keineswegs rein zufällig gewählt. In der NBA wurden längst Hochrechnungen darüber angestellt, welche Auswirkungen die Verpflichtung Wembanyamas für den glücklichen Club haben dürften. Laut Recherchen, die der US-Sportsender ESPN unter den Clubverantwortlichen gemacht hatte, würde sich der Wert einer Franchise durch den Franzosen „sofort um bis zu 500 Millionen Dollar“ erhöhen.
Das hat natürlich längst Begehrlichkeiten geweckt, die sich nun die stärksten Teams der NBA, die um den Titel kämpfen werden, abschminken können. Denn Wembanyama, der wegen der NBA-Statuten erst frühestens als 19-Jähriger beim Draft 2023 teilnehmen darf, wird keinesfalls bei einem Topverein landen. Die NBA möchte eine leistungsmäßig möglichst ausgeglichene Liga. Von den 30 darin organisierten Vereinen haben die schlechtesten Teams der abgelaufenen Saison beim Draft so etwas wie das Vorgriffsrecht. Alle Experten sind sich darüber einig, dass Wembamyama beim Draft an Position eins gesetzt sein wird. Der Spieler selbst wird keinen Einfluss darauf haben, wohin es ihn verschlagen wird. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, das relative komplizierte Verfahren der im Mai 2023 abgehaltenen Draft-Lotterie in aller Ausführlichkeit zu erklären. Aber vereinfacht ausgedrückt sind die Chancen für die schlechtesten Teams der abgelaufenen Saison am besten, sich nach den Ergebnissen der anstehenden Veranstaltung beim eigentlichen Draft Ende Juni 2023 den begehrtesten Rookie sichern zu können. Das bedeutet aber nicht, dass das allerschlechteste Team automatisch den besten Spieler des Draft-Jahrgangs erhalten wird. Denn 2023 haben gleich drei schlechteste Clubs der Liga die prozentual gleich hohe Chance.
Was zumindest den sportlich sehr bedenklichen Run auf die rote Laterne etwas abschwächen kann. Das wird in der aktuellen Saison aber kaum verhindern, dass sich viele Clubs, sobald sie sich Play-offs oder Meisterschaft abschminken können, in den Modus des absichtlichen Verlierens umschalten werden, wofür die Amerikaner den Begriff des „Tankings“ geprägt haben. Um dadurch bei Lotterie und Draft in Poolpositionen aufrücken zu können. Zwar ist das „Tanking“ längst gängige Praxis in der NBA, weil es sich ganz geschickt, beispielsweise durch die Andichtung einer Verletzung beim wichtigsten Spieler, kaschieren lässt. Doch für die aktuelle Saison befürchten sogar die NBA-Verantwortlichen wegen Wembanyama eine Extremausprägung mit direkten Auswirkungen auf die Meisterschaft. Laut Recherchen des TV-Senders ESPN werde Wembanyama „einen Wettlauf nach unten auslösen, wie wir ihn noch nie gesehen haben“, es werde ein „Rennen Richtung Tabellenkeller“ geben. Weil daran aber diesmal so viele Clubs mit relativ guten Chancen teilnehmen werden, ist das Ganze ein reines Vabanquespiel.
Worin besteht nun die Einzigartigkeit Wembanyamas? Zunächst einmal ist er selbst für Basketball-Verhältnisse von geradezu gewaltiger Statur. Wobei die Angaben zu seiner Größe zwischen 2,23 und 2,25 Meter schwanken. Muskelberge sucht man hingegen bislang vergeblich, er wirkt relativ schlank und schmächtig, um sein Gewicht wird ein Geheimnis gemacht, es dürfte aber unter 100 Kilogramm liegen. Normalerweise wäre der Franzose wegen seines Gardemaßes die Idealbesetzung für die Center-Position vor dem eigenen wie dem gegnerischen Korb. Mit der technischen Brillanz erforderndem Spielaufbau eines Point Guards, treffsicheren Distanzwürfen eines Shooting Guards oder sich dem Korb dribbelnd näherndem Flügelspiel eines Small Forward hat ein Center üblicherweise nichts zu tun. Bei Wembanyama ist das alles ganz anders, er kann das Spiel von vorne bis hinten diktieren, ist quasi für jede Position die Idealbesetzung, auch als Power Forward.
Ein Rennen Richtung Tabellenkeller
Seine Spannweite von 2,43 Metern und seine Größe machen ihn bei seinen Würfen praktisch unblockbar. Trotz seiner Größe ist er geschmeidig und dribbelstark, er ist treffsicher aus allen Distanzen, kann die Defensive mit Blöcken dominieren, ist bei den Rebounds nur schwer zu stoppen und besitzt zudem einen genialen Basketball-IQ, um das Spiel perfekt lesen zu können. Noch dazu besitzt er wegen seines jungen Alters ein enormes Steigerungspotenzial. Wenn er von Verletzungen verschont bleiben sollte, könnte er sich daher in der NBA zum besten Basketballspieler aller Zeiten entwickeln. Die schon jetzt angestellten Vergleiche mit LeBron James’ sprechen Bände, weil Wembanyamas Potenzial als Draft-Rookie des Jahres 2023 im direkten Duell mit LeBron James Können bei dessen Draft 2003 deutlich höher eingeschätzt wird.
Diese Erkenntnis konnte vor allem auf zwei Show-Matches Anfang Oktober in Las Vegas gewonnen werden. Diese wurden eigens zur Beobachtung von Wembanyana durch die NBA angesetzt und verliefen zwischen dem aktuellen französischen Team des Aliens, dem Pariser Club Levallois Metropolitans, und dem mit starken heimischen Rookies bestückten US-Team Ignite. Vor den Augen der gesamten NBA und sämtlicher Club-Scouts glänzte Wembanyama nicht nur wegen seiner 37 beziehungsweise 36 Punkte in den beiden Spielen, sondern auch wegen seiner zahlreichen Blocks und Rebounds. Die Performance löste in den USA endgültig einen Hype um den Jungstar aus. Die NBA fasste daher sogar spontan den Entschluss, sämtliche Partien der Metropolitans im Rahmen der französischen Meisterschaft auf einer speziellen NBA-App live zu übertragen.
Der unweit von Schloss Versailles in Le Chesnay als Sohn eines ehemaligen Dreispringers und einer Basketballspielerin geborene Victor Wembanyama bedankte sich ganz bescheiden für die Vorschusslorbeeren. Seine Eltern hatten ihn während seiner Jugendkarriere im Club JSF Nanterre auf dem Teppich gehalten und lukrative Wechselangebote großer Vereine wie dem FC Barcelona zurückgewiesen. Erst zur Saison 2020/2021 durfte er einen Vertrag beim damals amtierenden französischen Meister Asvel Lyon-Villeurbanne unterschreiben. Er wurde zum besten jungen Spieler der Saison gekürt.
Nach seinem Wechsel zu den Metropolitans zur Saison 2021/2022 ging es leistungsfähig weiter ganz steil bergauf. Das hatte sich unter anderem auch im November bei seinem Einstand im Nationaltrikot mit 20 Punkten im WM-Qualifikationsspiel gegen Litauen dokumentiert. Allein Center-Legende Shaquille O’Neal wagte die Wembanyama-Euphorie etwas zu dämpfen. Man müsse erst einmal abwarten, ob der junge Franzose in der NBA auch körperlich mithalten könne und ob er sich der physischen Attacken der Gegenspieler erfolgreich würde erwehren können.