Hier lebt die Geschichte des Blues und Rock’n’Roll. Eine Reise durch Tennessee führt in die Musik-Städte Nashville, Memphis und Franklin.
Am Ende klappt der müde, alte Mann den Deckel des Klaviers zu. „Everyone I know goes away in the end“, hat er gerade mit brüchiger Stimme gesungen. „Alle, die ich kenne, gehen am Ende fort.“ Ein Jahr später wird der Tod ihm selbst die Hand auf die Schulter legen. Sein leerer Sessel und darüber ein Bildschirm, auf dem das Video mit dem Klavier in Endlosschleife läuft – mit diesen leisen Tönen entlässt das Johnny-Cash-Museum seine Besucher hinaus auf die lauten Straßen in Nashvilles Zentrum. „Hurt“, den traurigen Song, den der „Man in Black“ in diesem Video singt, hat er nicht selbst geschrieben. Er stammt von Trent Reznor, dem Frontmann der Band „Nine Inch Nails“. Die Coverversion von Johnny Cash aus dem Jahr 2002 war allerdings wesentlich erfolgreicher als das Original aus dem Jahr 1994. Das Video dazu wurde eines der erfolgreichsten in der amerikanischen Musikgeschichte.
Dem Museum, das in einer Seitenstraße des Nashville-Broadway liegt, gelingt es, den Trubel des Amüsierviertels mit seinen Läden für Cowboystiefel und den Honky-Tonk-Kneipen, in denen fast den ganzen Tag Livemusik gespielt wird, draußen zu lassen. Und es gelingt ihm, mit Möbeln und Geschirr aus dem ehemaligen Haus des Sängers, mit Fotos, Plakaten, Videos und Tonaufnahmen einen bewegenden Einblick in das Leben eines Mannes zu geben, der rund 500 Songs geschrieben, zahlreiche Preise dafür bekommen, legendäre Konzerte in Gefängnissen gegeben und in vielen Filmen und Fernsehserien mitgespielt hat. Das Leben eines Mannes, der eine eigene Fernsehshow hatte, der mit 48 Jahren als jüngster lebender Künstler in die Country Music Hall of Fame aufgenommen wurde, aber durch seine Tablettensucht auch ganz unten war. Das Leben eines Mannes, der seine große Liebe fand: June Carter. Am 12. September 2003, vier Monate nach dem Tod von June Carter, mit der er 35 Jahre verheiratet war, starb Johnny Cash in Nashville.
Hier starteten die ganz Großen
Begonnen hat seine Karriere in der anderen großen Musik-Stadt Tennessees: im Sun Studio in Memphis. Dort erzählt man sich, dass Studio-Gründer Sam Phillips den fromm wirkenden Gospelsänger erst mal weggeschickt hat. Er solle sündigen und daraus einen guten Song machen, habe Phillips gesagt. Und Cash brachte ihm viele gute Songs. 1955 nahm er „Hey! Porter“ und den „Folsom Prison Blues“ auf, ein Jahr später schaffte er es mit „I Walk the Line“ erstmals auf Platz eins der US-Country-Charts.
Das ehemalige Sun Studio ist ein unscheinbarer Backsteinbau. 1969 hat Sam Phillips es verkauft. Darauf, dass dieses Gebäude an einer Straßenecke knapp zwei Kilometer vom Ufer des Mississippi entfernt einer der wichtigsten Orte der Musikgeschichte ist, weist ein riesiges Foto im Vorraum über der Bar mit der Kaffeemaschine hin. Elvis Presley ist darauf am Piano zu sehen, hinter ihm stehen Johnny Cash, Carl Perkins und Jerry Lee Lewis. Das Foto wurde bei einer Jamsession am 4. Dezember 1956, die als „Million Dollar Quartet“ bekannt wurde, aufgenommen. Die vier waren die bekanntesten von vielen Musikern, deren Karriere im Sun Studio begann.
Besucher werden bis dorthin geführt, wo auch das „Million Dollar Quartet“ spielte: mitten hinein ins im Original erhaltene Aufnahmestudio. Elvis betrat es erstmals im August 1953. Bis zu seiner ersten vermarktbaren Aufnahme sollte es da aber noch ein knappes Jahr dauern. Die ersten Versuche seien recht schmalzig gewesen und nicht sehr erfolgreich, erzählt man heute im Sun Studio. Sam Phillips habe mehr gewollt, etwas Neues, Rock’n’Roll. Das hat Elvis dann geliefert, wurde von einem regional bekannten Sänger zum Weltstar. Einem Star, dessen Ruhm auch 45 Jahre nach seinem Tod kaum verblasst ist. Graceland, das Anwesen von Elvis am Rand von Memphis, ist das nach dem Weißen Haus in Washington von Touristen am meisten besuchte Gebäude der USA, sagt Jalyn Souchek vom Tourismusbüro der Stadt. Entsprechend groß ist der dem Wohnhaus vorgelagerte Komplex: ein riesiger Parkplatz, eine gewaltige Empfangshalle, einige Museumshallen, in denen die Autos, die Bühnenkostüme, die Gitarren, die Armeeuniformen, die Platten, unzählige Fotos und Videos von Elvis zu sehen sind. Neben den Hallen stehen die beiden Flugzeuge, die dem King of Rock gehört haben, zur Besichtigung bereit, bevor die Besucher mit Bussen zum Wohnhaus gebracht werden.
Graceland ist das Mekka für Elvis-Fans
Während Graceland an Disneyland erinnert, geht es in den kleineren Museen in Memphis ruhiger zu. Im Memphis Rock’n’Soul Museum gibt es Fotos aus alten Scheunen, in denen man früher Musik gemacht hat, alte Aufnahmetechnik, historische Instrumente. Im Stax Museum of American Soul Music ist eine alte Kirche nachgebaut, einer der Orte, von denen aus Musik in die Welt drang. Eine Welt, in der es bald schon glitzernde Kostüme, blank polierte Autos und goldene Schallplatten gab – und Oscars für die beste Filmmusik, von denen einer auch im Museum steht.
Das alles sind Geschichten von gestern und vorgestern und vorvorgestern. Auch heute, sagt Jalyn Souchek, spielt Memphis im Musikgeschäft noch eine Rolle. Rapper und Hip-Hopper seien aktuell die Stars. In den Bars der Bealstreet, wo „B.B. Kings Beat Club“ bis heute Besucher anlockt und Elvis in Bronze gegossen mitten in einem seiner legendären Hüftschwünge eingefroren scheint, wird allerdings überwiegend Rock, Soul und Blues gespielt. In den Souvenirläden ist Elvis allgegenwärtig. Hier ist Memphis immer noch die Stadt des Kings. Vor Elvis, da sei nichts gewesen, wird John Lennon in einer der Graceland-Hallen zitiert. Hier scheint es, als sei auch danach nichts mehr gewesen.
In Nashville, der Hauptstadt von Tennessee, die sich „City of Music“ nennt, spielt der King of Rock’n’Roll nur eine Nebenrolle. Im der Country Music Hall of Fame vorgelagerten Museum wird der Bogen allerdings weit über Tennessee hinaus gespannt, unter anderem auch auf die Musik geschaut, die in Kalifornien und anderen Bundesstaaten entstanden ist. Es gibt viel zu sehen und vor allem zu hören, bevor man im sakral wirkenden Rund der Hall of Fame steht. Aber auch in Nashville ist Musik nicht nur Nostalgie. In der Opera laufen jede Woche große Musikshows. Wer es etwas kleiner mag, fährt nach Franklin raus. Die kleine Stadt hat ihr altes Theater liebevoll restauriert und organisiert dort neben Filmvorführungen auch Konzerte. Im Vorort Leiper’s Folk treffen sich Menschen am Wochenende auch auf einer Wiese zu Konzerten örtlicher Bands.
Musiker hoffen hier auf Entdeckung
Und da ist mitten in Nashville eben der Broadway mit seinen Honky-Tonk-Kneipen. Die Musiker, die hier spielen, werden dafür nicht bezahlt. Sie hoffen, entdeckt zu werden oder zumindest etwas Bekanntheit zu erlangen. Und auf Spenden. In der „Nashville Crossroads Bar“ geht der Sänger einer Rock-and- Blues-Band deshalb mit dem Plastikeimer rum. Wer ein paar Dollar reinwirft, den fragt er nach Musikwünschen. Kriegen die jungen Kerle da auf der kleinen Bühne auch etwas vom großen Johnny Cash hin, wird gefragt. Der Sänger nickt. Bevor er und seine beiden Kumpels die Bühne für eine Frauenband räumen, spielen sie einen Song des „Man in Black“. Dann klappt der junge Mann den Gitarrenkoffer zu und ruft etwas ins Publikum, das klingt wie: „Es geht hier gleich weiter.“