Zwei Jahre, 43 Grands Prix – die kurze Ära hat dem US-Rennstall Haas gereicht, Stammpilot Mick Schumacher vor die Formel-1-Tür zu setzen. Der Geschasste hat 2023 aber gute Chancen, bei Mercedes als Reserve- und Entwicklungsfahrer anzudocken.
Mercedes-Sportchef Toto Wolff macht sich als „Stern-Deuter“ nach Mick Schumachers Rausschmiss beim Haas-Team stark für ein Comeback des gescheiterten Piloten. Mit der Rolle des Ersatzfahrers hätte der 23-Jährige zumindest einen Fuß in der Formel-1-Tür. Sozusagen durch die Hintertür. „Ich finde, Mick hätte einen Platz in der Formel 1 verdient, und jetzt müssen wir mal schauen, ob wir was machen können“, sagte Wolff nach Schumachers Entlassung vor dem Abu Dhabi-Rennen im Interview mit dem TV-Sender Sky. Der Teamchef schwärmt geradezu von dem Deutschen, wenn er beim Portal Motorsport-Total sagt: „Mick ist jemand, der uns wegen seines Vaters Michael oder der ganzen Schumacher-Familie immer am Herzen gelegen hat.“ Zudem sei Mick „ein intelligenter, gut erzogener junger Mann. Er war in den Nachwuchsformeln sehr erfolgreich, und wir glauben, dass wir uns um ihn kümmern können, wenn die Situation eintreten sollte.“
Ersatzfahrer dringend gesucht
Diese Situation hat sich nach dem WM-Finale ergeben. Die bisherigen zwei belgischen Ersatzfahrer haben die Mercedes-Familie verlassen. Nyck de Vries wird F1-Stammfahrer bei Alpha Tauri, Stoffel Vandoorne Ersatzfahrer bei Aston Martin (Vettels Ex-Team). Damit ist der Platz frei für Mick Schumacher. In trockenen Tüchern war bis Redaktionsschluss dieser FORUM-Ausgabe aber noch nichts. „Mir war es einfach wichtig, in der Zeit, wo es schwierig ist für Mick zu sagen, dass wir ihn schätzen“, erklärte Wolff im TV. Der Österreicher ist überzeugt, dass „Mick einen Platz in der Startaufstellung und nicht als Testfahrer verdient.“
Die Reservistenrolle könnte aber eine Zwischenstation für Schumachers Rückkehr in die Formel 1 sein. So sieht es jedenfalls auch Micks Onkel Ralf Schumacher. Der Ex-Pilot mit der Erfahrung von 180 Grands Prix und sechs Siegen sieht die Chance seines Neffen als Ersatzfahrer bei einem Spitzenteam wie Mercedes als einen großen Schritt. „Ich glaube, dass Mick einfach wahnsinnig viel dazulernen könnte, mit so einem Team und einem siebenmaligen Weltmeister Lewis Hamilton zusammenzuarbeiten, was ja ein ganz anderer Aufwand ist, als er das gewohnt war. Und dann denke ich, kann man auch zurückkommen mit einer ganz anderen Sicht und vor allen Dingen Erfahrung“, so Ralf Schumacher im Sky-Interview.
Wird Jung-Schumi in die Mercedes-Familie aufgenommen, ist er erste Wahl, sollte ein Stammfahrer mit Mercedes-Motor ausfallen und nicht einsatzfähig sein. Da kommen sechs Stern-Piloten infrage: Lewis Hamilton und George Russell bei Mercedes, Alex Albon und Logan Sargeant bei Williams und Fernando Alonso und Lance Stroll bei Aston Martin. Schumachers Ersatzeinsatz an einem Grand-Prix-Wochenende wäre für ihn wieder von großem Erfahrungswert. Und was sagt Schumacher selbst? Wie reagiert er auf Pläne, die seine F1-Zukunft betreffen könnten? Er beteuert immer wieder, dass sein Interesse einzig und allein der Formel 1 gilt. „Ich möchte auf jeden Fall in diesem Umfeld bleiben. Ich schaue mir meine Optionen an und wäge ab, um dann hoffentlich die richtige Entscheidung für mich und meine Zukunft zu treffen“, so die Vorgehensweise Schumachers. Aktuell könnte Mercedes eine Option sein, die er abwägen will. „Es ist auf jeden Fall sehr schmeichelhaft zu hören, was Mercedes und besonders Toto über mich sagen“, so Schumi-Junior über den schwärmenden Mercedes-Sportboss. In diesem Zusammenhang erinnert er an seinen Vater, der 2010 von Ferrari zu Mercedes gewechselt ist. „Ich sehe keinen Grund, warum ich das nicht auch tun sollte“, stellt er schon mal klar. Was Ferrari betrifft, so war Schumacher Teil der Ferrari-Fahrerakademie. Mattia Binotto, der als Teamchef des Ferrari-Rennstalls Ende des Jahres (freiwillig) zurücktritt, sagt über den Ferrari-„Fahrerstudenten“ Schumacher: „Wir als Ferrari und die Ferrari Driver Academy glauben, dass Mick jetzt ein großartiger Fahrer ist. Ich denke, er hat sich in seiner Karriere immer weiterentwickelt, so auch in seiner letzten Saison. Wenn man sich anschaut, wie er angefangen hat und wo er jetzt steht, dann hat er meiner Meinung nach gezeigt, dass er in der Lage ist, sich weiterzuentwickeln.“
Um sich weiterzuentwickeln „werde ich härter arbeiten als je zuvor, um dann stärker zurückzukommen. Ich werde die beste Version meiner selbst sein“, kündigt Schumacher kämpferisch an und fährt fort: „Ich werde auch meine Routine weiter behalten und mich im Januar und Februar auf die Saison vorbereiten, wie wenn ich selber fahren würde.“ Damit wolle er sicherstellen, dass „ich eine Chance auch ergreifen kann, falls sie kommt.“ Er denke schon daran, wie er 2024 zurückkommen kann, wenn nicht sogar schon 2023.
Ende bei Haas nach nur zwei Jahren
Wie aber kam es überhaupt dazu, dass der Kerpener in der nächsten Saison nicht in der Startaufstellung der F1-Piloten steht? Schumachers Zeit als Stammfahrer für den US-Rennstall Haas endete nach nur zwei Jahren. Mit einer monatelangen Hinhalte-Taktik ließen die Haas-Hauptverantwortlichen (Teambesitzer Gene Haas und Teamchef Günther Steiner) ihren jungen Fahrer schmoren und setzten ihn zusätzlich unter Druck. Erst auf den letzten Drücker, in der Woche vor dem F1-Finale (20. November) ließen sie die Katze aus dem Sack. Genau am Mittwoch, 16. November. In der Lobby eines Fünf-Sterne-Hotels in Abu Dhabi teilte Teamchef Steiner Mick Schumacher mit, dass die Zusammenarbeit mit dem US-Rennstall beendet sei und sein Vertrag beim Haas-Team nicht verlängert werde. Das offizielle Aus für seinen Fahrer sprach der knorrige Südtiroler Steiner genau einen Tag später aus, nachdem Schumachers Nachfolger Nico Hülkenberg einen Tag zuvor (Dienstag, 15. November) beim Haas-Rennstall seinen Vertrag unterschrieben hatte. Der stets freundlich, höflich und zurückhaltend der Presse gegenüber auftretende Mick Schumacher soll die Nachricht seiner Entlassung gefasst und gelassen aufgenommen haben. „Sicher hat er etwas geahnt, er lebt ja nicht hinterm Mond“, so Steiner zu der Nicht-Vertragsverlängerung. Auf „gut deutsch“ bedeutet diese Nicht-Vertragsverlängerung, so der Haas-Sprachgebrauch, ein „Rausschmiss“, Haas hat seinen Fahrer „abserviert“, „geschasst“, „gefeuert“. Diese Verben bedeuten nichts anderes als eine Nicht-Vertragsverlängerung.
Der Umgang Steiners mit Schumacher wurde in der vergangenen Saison immer heftiger kritisiert. Was der Teamchef aber nicht auf sich sitzen ließ und sich gegen Anschuldigungen ehemaliger F1-Fahrer wie Hans-Joachim Stuck und die heutigen Sky-Experten Timo Glock und Micks Onkel Ralf Schumacher zur Wehr setzte und verteidigte. „Wir haben nicht seit drei Monaten rumgespielt, dass wir es wüssten und es ihm nicht sagen. Wir haben lange geschaut, was das Beste für uns ist und uns Zeit genommen. Das war kein Hinauszögern“, wird Steiner in der „Sport Bild“ zitiert.
Neben fahrerischen Defiziten produzierte Schumacher nach heftigen Unfällen Schrott in Millionenhöhe. Das Onlineportal F1Maximaal hatte ausgerechnet, dass die diversen Unfälle des 23-Jährigen Schäden von rund 4,21 Millionen Euro verursacht haben sollen. Schumacher war nach dem vielen „Kleinholz“ zwischenzeitlich vom Sorgenkind zum „Crash-King“ aufgestiegen. Die Schonfrist nach seinem F1-Lehrjahr war 2022 vorbei. Der Druck ist größer und die Luft dünner geworden. Als Hauptgrund, warum die Zusammenarbeit mit Schumacher beendet wurde, war für Teamchef Steiner vor allem ein Faktor ausschlaggebend: das Alter des 23-jährigen Wahl-Schweizers. Im offiziellen F1-Podcast „Beyond the Grid“ erklärte der 58-jährige Südtiroler: „Mick kann ein guter Fahrer werden, er ist schon ein guter Fahrer, kann aber besser werden“, sagt Steiner und stellt zugleich die Frage: „Aber wie lange brauchen wir dafür?“ Und er gibt selbst die Antwort: „Weil er mit uns wächst, kann er uns nicht zum Wachstum verhelfen.“ Steiner fehlt die Zeit für Geduld. Der Rennstall will kurz- und mittelfristig Erfolge einfahren. Und hier scheiden sich die Geister. Viele Experten und Nicht-Experten können die Entscheidung der Haas-Verantwortlichen gegen Schumacher nicht nachvollziehen.
Einer, der nachvollziehen kann, dass Haas die Reißleine gezogen hat, ist Ex-F1-Pilot Christian Danner. Der TV-Experte bei Sport1: „Dass sich Haas gegen Mick entschieden hat, ist sehr klar nachvollziehbar. Mick sei zwar „durchaus schnell, aber er ist nicht immer schnell gewesen.“ Danner glaubt, „dass es für Mick an der Zeit war, das Team zu wechseln. Man geht sich da gegenseitig ein bisschen auf den Keks. Und das ist die falsche Art und Weise, um miteinander zu wachsen.“ Der 64-jährige Bayer hält es „besser für Mick, nicht bei Haas weiterzufahren, unter Umständen Testfahrten für Mercedes zu bestreiten und dort in einem Topauto dazuzulernen.“ Danner ist überzeugt von Schumachers Fähigkeiten. „Wir werden ihn wiedersehen, weil er ein sehr guter Formel-1-Fahrer ist, auch wenn er für ein Team wie Haas nicht die Idealbesetzung war“, erklärte der F1-Experte. Danner knallhart: „Haas hatte keine andere Wahl, als sich von Schumacher zu trennen. Diese Entscheidung ist sehr klar nachvollziehbar.“
„Permanent unter großem Druck“
Für Ex-Weltmeister Damon Hill (1996) und heute Experte beim britischen Sender Sky steht im Gespräch mit dem FORUM-Autor, der beim F1-Finale in Abu Dhabi vor Ort war, fest: „Mick stand permanent unter großem Druck, der hat ihm schwer zu schaffen gemacht.“ Seine Psyche sei letztlich ausschlaggebend für Schumachers Scheitern gewesen. Der Brite bemängelt auch die Erfahrung, die dem Deutschen gefehlt hat und ihm zum Verhängnis wurde. „Es gibt einfach Dinge, die man erst nach Jahren im Sport lernt“, so die Erkenntnis und Erfahrung von Hill.
Fazit: Mick Schumacher, Sohn des siebenfachen Rekordchampions Michael Schumacher, hat in seinen 43 Grands-Prix-Starts im unterlegenen Haas-Boliden „nur“ zwölf WM-Punkte eingefahren. Diese setzten sich in der vergangenen Saison zusammen erst nach seinem 31. F1-Start und Platz acht (vier WM-Punkte) in Silverstone. Ein Rennen später legte Deutschlands F1-Hoffnung beim Grand Prix Österreich überraschend mit Platz sechs (acht WM-Punkte) nach. Doch unterm Strich sind zwölf WM-Punkte nach 43 Grands Prix zu wenig. Zu wenig für den eigenen Anspruch und den seines Teams. Und so verabschiedete sich Mick Schumacher als 16. in seinem vorerst letzten F1-Rennen und auch als WM-16. in der Gesamtwertung am 20. November und verschwand um 19.43 Uhr durch das Drehkreuz im Fahrerlager von Abu Dhabi – in eine neue Zukunft. „Im Gepäck nehme ich aber von positiven und negativen Dingen viel mit, denn das macht mich stärker als Fahrer. Und dann gibt es wieder schönere Zeiten“, bilanzierte Mick Schumacher über seine Zeit als Formel-1-Fahrer. Die „schöneren Zeiten“ könnten für Mick Schumacher unter dem richtigen Leit-„Wolff“ bei Mercedes beginnen – wenn auch nur als Test- und Ersatzfahrer. Wegbegleiter und Micks Fans wären vorerst zufrieden.