Die EU friert Fördergelder für Budapest in Milliardenhöhe ein. Hintergrund ist der Verdacht auf Veruntreuung. Der ungarische Investigativjournalist Szabolcs Panyi sprach mit FORUM über Korruption, Pressefreiheit und Budapests Verstrickungen mit dem Kreml.
Herr Panyi, wie erklären Sie sich Ungarns schlechtes Abschneiden im Pressefreiheits-Ranking von Reporter ohne Grenzen?
Während der Corona-Krise gab es tatsächlich einige Manipulationen seitens des Staates. Nicht so sehr Journalisten, sondern Regierungskritiker wurden bestraft, wenn sie Fake News über das Coronavirus veröffentlichten und Regierungsmaßnahmen kritisierten. Ein junger Mann hat auf Facebook veröffentlicht, die Regierung würde nicht genügend Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, um die Menschen vor dem Virus zu schützen, was deutlich mehr Tote zur Folge hätte. Dafür wurde bei ihm eine Hausdurchsuchung gemacht, und er landete in Untersuchungshaft. Als Folge davon wurden Journalisten vorsichtiger, welche Statistiken sie veröffentlichen, und die Berichterstattung war nicht mehr so neutral. Was das internationale Ergebnis angeht, ist es immer noch ein schlechtes Ergebnis für europäische Verhältnisse. Die meisten unabhängigen Sender berichten mittlerweile im Internet. Genau diese Kommunikationskanäle haben im Pressefreiheits-Ranking 2021 mehr Beachtung gefunden. Auch erhofft man sich den Eingriff und Schutz kritischer Medien seitens der EU-Institutionen, nachdem eine Klage gegen unsere Regierung erhoben wurde, als der regierungskritische Sender Klubrádió mundtot gemacht werden sollte. Leider erwarten wir eine weitere Verschlechterung der Lage angesichts neuester Ereignisse.
Zielscheibe ist mittlerweile auch Ihr Team, das einst für das größte Online-Magazin „Origó“ gearbeitet hat und heute Korruptionsaffären aufdeckt. Hat die Regierung Sie in irgendeiner Weise dazu genötigt, Ihre journalistische Arbeit heimlich machen zu müssen?
„Origó“ war Eigentum einer Tochterfirma der Deutschen Telekom in Ungarn und wurde Anfang des Jahrhunderts von breiten Bevölkerungsschichten gelesen. Nachdem aufgedeckt wurde, dass Orbán Steuergelder verschwendet hat, haben die früheren Eigentümer der Telekom (gemeint ist die Telekom-Tochter „Magyar Telekom“, Anm. d. Red.) dafür gesorgt, dass der damalige Chefredakteur Gergő Sáling gefeuert wurde. Als Zeichen des Protestes haben einige Redakteure die Non-Profit-Agentur „Direkt 36“ gegründet. Währenddessen ist Origó nach einigen Turbulenzen und Besitzerwechseln immer mehr zur regierungsfreundlichen Agentur mutiert und hat sowohl Trump- als auch Putin-freundliche Inhalte publiziert. Der Non-Profit-Status schützt uns ein Stück weit vor offenen Erpressungen und Kündigungen seitens der Regierung und erlaubt uns, wie der Name schon sagt, direkt und investigativ zu sein. Aber sie haben ihre Methoden: Abgesehen von regelmäßigen verbalen Attacken in ihren Kanälen wurden 2019 mein Kollege und ich Opfer eines israelischen Spionage-Hacker-Angriffs, bei dem wir Verbindungen zur ungarischen Regierung vermuten.
Bei den Wahlen im April haben 55 Prozent der Bevölkerung für Victor Orbáns Partei Fidesz gestimmt – ein noch besseres Ergebnis im Vergleich zum vorherigen Mal. Die Zeitung „Hungary Today“ hat in einer Wahlumfrage berichtet, dass in Budapest 27 Prozent der Bevölkerung für Orbáns Partei stimmten und 45 Prozent die Opposition bevorzugten. In der Provinz war das Verhältnis mit 43 zu 29 Prozent umgekehrt.
Das ist richtig. So wie in anderen Staaten mit erfolgreichen Populisten, wie etwa in den USA, ist auch hier die Diskrepanz zwischen Provinz und Großstadt festzustellen. Die Mehrheit von Orbáns Befürwortern lebt in ländlichen Gebieten und mittelgroßen Städten.
Im EU-Parlament wird Ungarn mittlerweile als „hybrides Autokratie-Regime mit Wahlen“ bezeichnet. Wie geht die ungarische Bevölkerung mit Orbáns Wiederwahl um?
Nach den Wahlen konnten wir eine apathische Stimmung und Enttäuschung feststellen. Sogar für die Unterstützer der Fidesz-Partei kam so ein Erfolg unerwartet. Vielleicht kann er damit erklärt werden, dass während der Wahlkampagne die Regierung dem Volk viele Vergünstigungen wie Steuererleichterungen und Rückerstattungen geboten hat. Aber auf lange Sicht haben diese Maßnahmen gepaart mit der Energie-Krise dazu geführt, dass Ungarns Wirtschaft so weit geschwächt wurde, dass strikte Sparmaßnahmen eingeleitet werden mussten. Wir können eine generelle Unzufriedenheit der Bevölkerung und sogar Proteste verzeichnen, da zusätzlich zu der Wirtschaftskrise die Opposition dafür beschuldigt wurde, zu pro-ukrainisch zu sein. Es sorgt nicht gerade für Beliebtheit, sich auf die Seite des Aggressors zu stellen.
Orbán geht noch weiter und bremst die europäische Politik aus: Zum Beispiel hat Ungarns Veto die EU daran gehindert, Kyrill I. zu sanktionieren. Der russisch-orthodoxe Patriarch ist für seine kriegsunterstützende Haltung bekannt. Wie erklären Sie die Position Orbáns, Putins kriminelle Machenschaften in Schutz zu nehmen?
Soweit uns bekannt ist, hat die Russisch-Orthodoxe Kirche die ungarische Regierung gebeten, sie auf internationaler Bühne in Schutz zu nehmen. Orbáns Regierung ist dieser Bitte nachgekommen – mit der offiziellen Stellungnahme, dass religiöse Freiheit verteidigt werden müsse.
Meine persönliche Meinung dazu ist, dass es auf höchster Ebene zwischen Russland und Ungarn geheime Absprachen gab. Dieses Veto wäre eine von vielen Gefälligkeiten in Bezug auf die Versorgung mit russischem Gas und Öl.
Das parlamentarische System in Ungarn erlaubt es Orbáns Partei, die überwiegende Mehrheit der Sitze zu stellen, konstitutionelle Veränderungen in Eigenregie durchzuführen und Gesetze zu verabschieden. Dennoch hat das Oppositionsbündnis „Vereint für Ungarn“ 35 Prozent der Stimmen erhalten. Welchen Handlungsspielraum hat die Opposition noch im Parlament?
Das ist nichts weiter als eine reine Formalität. Währenddessen sind die einzelnen Parteien wegen zu vieler Unstimmigkeiten zerstritten und die Resultate ihrer Arbeit alles andere als effektiv. Es wird jetzt noch eine Weile so weitergehen – mit dem zu erwartenden Ergebnis, dass „Vereint für Ungarn“ irgendwann in zwei Blöcke zerfällt und kleinere Parteien aus der Politik hinausdrängen wird. Im Parlament haben die Oppositionellen nur wenige Sitze und wenig Spielraum. Vielmehr müssen sie Schikanen, Spott und zahllose Verbote ertragen. Ich halte das Parlament ohnehin für eine leere Hülse.
Wegen des Krieges, ausbleibender EU-Förderungen und interner Korruption hat Ungarn ein großes Haushaltsdefizit zu verzeichnen. Die Inflation betrug im Juli 14 Prozent. Welche Prognose geben Sie Ungarns Wirtschaft für den Winter?
Wenn es so weitergeht, wird unsere Währung weiter fallen, und damit wird es viele unvorhergesehene Konsequenzen geben. Es brauen sich momentan soziale Unruhen zusammen. Besonders unterfinanzierte Lehrer und ihre Schüler sind dauernd auf den Straßen. Bald werden weitere Bevölkerungsgruppen die explodierenden Preise und Nebenkosten- Rechnungen nicht mehr hinnehmen und ihnen folgen.