Mit Andrea Petkovic und Philipp Kohlschreiber hängen auch zwei ihr Racket an den Nagel, die das deutsche Tennis in den vergangenen Jahren maßgeblich mitgeprägt haben.
Sie tanzte ein letztes Mal, ein paar Schritte zumindest: Andrea Petkovic. Die Überlegende aus der Golden-Girls-Ära des deutschen Tennis begab sich nach den US Open in die Ruheposition, aus der heraus sie zunächst an ihrem neuen Buch arbeitete. Mit „Robert" sei sie in einem Verlag, plauderte die Politik-Fernstudentin im April vor einem Jahr am Rande des Porsche-Turniers in Stuttgart. „Robert", das ist Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Habeck. Wie die coole Andrea auch so einer, der viel nachdenkt und die Menschen in bestechend direkter Art an seinen innerlichen Pros und Contras teilnehmen lässt. Dem man gerne zuhört. So wie immer wieder der Tennisspielerin, die rund um ihre Matches nicht nur vom Springen der Bälle und vom „incredible" Event und Publikum erzählte. Sondern von so Vielem, was den Lauf der Dinge bewirkt oder beschwert.
Und die trotz ihrer Liebe zum Denken und Debattieren so wahnsinnig gern professionell Tennis spielte. Deshalb klang die Frage nach „Aufhören" vor eineinhalb Jahren noch völlig falsch in ihren Ohren. „Ich bin nicht Paul McCartney, bin mehr so der Ringo Starr der Beatles. Ich mach‘ es für mich, für keinen anderen. Es gibt nichts Vergleichbares zu Tennis." Und Petkovic fügte einmal etwas Unüberlegtes hinzu: „Solange mich die Leute nicht vom Platz treiben, werde ich es noch weiter machen."
Schriftstellerin und Fernsehkommentatorin
Das ist unüberlegt. Denn vorbei sind ganz ohne eskalierendes Publikum mit dem Jahr 2022 die Zeiten, in denen „Petko" einen „Petko-Dance" auf dem Platz zelebrierte, um sich selbst zu feiern. Sie tanzte, wenn die mittlerweile 35-jährige, ehemalige Top-Ten-Spielerin für den Moment mit sich zufrieden war. Eher eine Seltenheit bei ihr, die ihr Sein und Nicht-Sein auf den Plätzen der Welt immer sehr kritisch begutachtete. Die als belesene und philosophierende Hobby-Kommentatorin der Welt über das Tennis hinaus Pressekonferenzen mit Humor, Esprit und hintergründigen Erkenntnissen bereicherte.
Jetzt ist sie fürs erste hauptberuflich Schriftstellerin und Fernsehkommentatorin. Mit weniger Potenzial als in ihrem Sein als Profispielerin, sich langwierige Verletzungen zu holen. Immer wieder strapazierten unwillkommene Malheurs das Geduldskorsett der mit sechs Monaten aus Serbien nach Deutschland immigrierten Darmstädterin. So nach ihrem Superjahr 2011, in dem sie die ehemalige Nummer eins der Welt, Maria Sharapova, besiegte. Als sie in drei der vier Grand Slams jeweils ins Viertelfinale einzog, in Wimbledon erstmals von drei Mal Runde drei erreichte, bei Tour-Turnieren im Himmel der (Halb-)Finalteilnahmen schwebte, zur neuntbesten Spielerin des Tenniskosmos aufstieg und das Jahr als Nummer zehn der Weltrangliste beschloss.
Nach 335 Turnierteilnahmen, sieben Siegen im Profiverband WTF und neun ITF-Pokalen ist Schluss mit dem Ringen um ein Quäntchen mehr Glück auf dem Platz. Wo ihr leidenschaftliches Spiel regelmäßig ihren Gegnerinnen das Gewinnen schwer machte. Und am Ende doch das Halbfinale bei den French Open in Paris, 2014, Petkos größter Erfolg blieb.
In diesem zweitbesten Jahr ihrer Karriere beendete die Darmstädterin als Nummer 14 der Welt das Jahr. Dieses Wahnsinnsjahr, als sie das deutsche Team im Fed-Cup-Finale auf Petko-Art pushte: Kämpfen, kämpfen, Punkt für Punkt weitermachen. Ihr Ehrgeiz brannte sie aus. Doch Petko löste sich in den letzten Jahren vom allgegenwärtigen Druck. War glücklich damit, immer wieder mal sehr gut in ihren Matches zu spielen. Neben ihrem Leben mit ihrem Freund in Brooklyn und ihrer neuen Rolle als analytische Begleiterin der Tennisszene.
„Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht" nannte die 1,2er-Abiturientin bezeichnenderweise ihr erstes Buch. Immer wieder räsonierte Petkovic über ihren Kampf mit ihrem Kopf, der Steine auf Sand, Gras oder Hartplätzen in ihren Weg rollte, wenn es mit weniger Reflexion besser für sie hätte laufen können. Die Distanzen zwischen super in Form und fataler Verletzung wurden immer kürzer. „Wenn ich mal im Rhythmus war, wie in Hamburg, dann gewinne ich zwei Matches und es kommt die nächste Verletzung. Das war immer öfter dieses Jahr der Fall", begründete die einstige Top-Ten- und bisherige Top-Hundert-Spielerin ihren Entschluss, der ihr ähnlich schwergefallen sei, wie Serena Williams. „Deswegen bin ich auch zu der Entscheidung gekommen, dass es irgendwann reicht."
Ein Happy End hätte ihr Abschied 2021 sein können: Damals gewann Petko in Rumänien ein weiteres Turnier, stand in Hamburg im Finale und unterlag dort der Rumänin Elena-Gabriela Ruse auf Sand nur knapp. Doch die ewige Kämpferin mit sich selbst hängte 2022 noch an. Und unterlag mehr denn je ihrem Körper, der ihr keine gute Routine gönnte: „Es war immer irgendetwas", sagte Petkovic, als sie bei den US Open Abschied von der internationalen Bühne nahm. Wieder einmal kämpfte sie dort hart und gut. Das kostete die Schweizer Tennis-Olympiasiegerin Belinda Bencic Kraft und Nerven. Die Partie raubte den Zuschauern den Schlaf. Doch die 35-Jährige unterlag an ihrem Karriere-Ende auf eine typische Petko-Art in drei Sätzen knapp mit 2:6, 6:4, 4:6. Tränen flossen nach diesem letzten Auftritt bei der jungen Schweizerin wie bei dem scheidenden Publikumsliebling.
Ein Hashtag auf Instagram, eine kurze Verneigung vor ihrem Publikum, das Petkovic mit lauten „Petko, Petko"-Rufen würdigte. Ein paar Tränen. Das war’s mit ihrer Karriere, die Andrea mit sechs Jahren begonnen hatte.
Wimbledon sollte die letzte Station der vielen Tennistouren in der 21-jährigen Profikarriere des Philipp Kohlschreiber sein. Vor zehn Jahren gelang ihm auf dem Traditionsrasen der Einzug ins Viertelfinale. Der Höhepunkt seiner Karriere. Gekrönt mit Rang 16 der Weltrangliste. Dort wollte der Sieger von acht ATP-Turnieren Abschied nehmen. Doch es sollte nicht sein. Ein paar Kilometer entfernt vom Tennisclub an der Church Road misslang dem 39-Jährigen in Roehampton der Weg über die Qualifikation ins Hauptfeld. „Es war eine sehr lange Reise, ich habe tolle Erinnerungen. Besonders hier mit meinem größten Erfolg bei einem Grand Slam."
Immer wieder zickt der Bauchmuskel
Der Augsburger hatte bereits bei seinem Leib-und-Magen-Turnier, den BMW Open in München, Ende April festgestellt, dass er „nicht mehr so der Profi wie früher" sei. Den anderen Part des Lebens, mit nicht so viel Training und Warten im Hotel aufs nächste Match, hatte er in einer Übergangsphase in den Ruhestand schätzen gelernt. Bereits in der ersten Runde in München unterlag der dreimalige Champion deshalb dem 23-jährigen Daniel Altmaier – in drei Sätzen, die angeruhten Schwächen danach eingestehend, fair und entspannt. Auf der Anlage des Tennisclubs Iphitos am Aumeister. Dort, wo er schon als 14-Jähriger aufgeschlagen hatte. Kohlis Analyse nach der Niederlage: „Die Chancen stehen sehr gut, dass ich hier zum letzten Mal ein Einzel gespielt habe."
Rafael Nadal, Andy Murray, Novak Djokovic, Alexander Zverev und noch manche andere Top-Ten-Spieler hatte der Bayer besiegt, der 2020 bei den Australian Open kurz vor der Rückkehr in die Top 50 stand. Sein Bauchmuskel war dagegen. „Ich weiß, dass das Ende naht", offenbarte der sonstige Sunnyboy damals, im Bewusstsein der altersbedingten Grenzen seines Körpers.
Ursprünglich träumte er für 2020 den großen Traum, einmal bei Olympia dabei zu sein. Der unverdrossene Kohlschreiber trainierte und focht deshalb umso fleißiger. Dann meldete sich der überforderte Bauchmuskel. „A weng was" ging nach seiner Genesung noch. Doch 2022 war in der Wimbledon-Qualifikation Schluss.
„Es war eine Riesenreise, die ich erleben durfte. Im Davis Cup habe ich die emotionalsten Momente erlebt. Ich hatte das Glück, da oft ganz gut gespielt zu haben", sagte Kohlschreiber, als er am Hamburger Rothenbaum im September vom Deutschen Tennis Bund (DTB) aus dem Davis-Cup-Team verabschiedet wurde. „Insgesamt warst Du 22-mal für den Davis Cup nominiert. Du bist einer von den Spielern, die am häufigsten für Deutschland angetreten sind", resümierte Verbandschef Dietloff von Arnim. Kohlschreibers neue Zielroute: Vielleicht in zwei Jahren Spielern in der Off-Season bei der Vorbereitung beistehen. Genügend Erfahrung hat Kohli ja!