Die Füchse Berlin profitieren von einem Patzer des THW Kiel und stehen nach der Hinrunde auf Platz eins. Das ist zusätzlicher Ansporn für den großen Titeltraum.
Den ersten Titel der Saison haben die Füchse Berlin bereits in der Tasche. Und auch wenn der Titel des „Weihnachts-Meisters“ ein höchst inoffizieller ist und im Briefkopf des Handball-Bundesligisten keine Erwähnung finden wird, ist man dort stolz, die beste Hinrunden-Mannschaft zu stellen. Geschäftsführer Bob Hanning wollte sich dafür mit einem Glas Rotwein zu Weihnachten belohnen, für Trainer Jaron Siewert sollte es dagegen ein zünftiges Bier geben. Und Sportvorstand Stefan Kretzschmar? Von ihm war kein Getränkewunsch übermittelt – dafür aber ein Titelwunsch, der im kommenden Juni in Erfüllung gehen soll.
Stolz auf das Erreichte sei er nicht wirklich, denn dafür gebe es „noch keinen Grund“. Stolz könne man erst dann entwickeln, „wenn man tatsächlich Titel gewinnt“, sagte der frühere Weltklasse-Handballer im RBB-Interview. Er verspüre aber eine große Freude über die aktuelle Entwicklung. „Ich sehe, wie unsere Mannschaft und das Trainerteam arbeiten. Das macht mich glücklich“, sagte Kretzschmar: „Und ich hoffe, dass es in naher Zukunft mal einen Grund geben wird, stolz zu sein. Das wäre dann natürlich gleichbedeutend mit einem Titelgewinn.“
Der Gewinn der Meisterschaft ist nun das erklärte Ziel. Das wäre es auch, wenn die Füchse nach der Hinrunde „nur“ auf Platz zwei gestanden hätten. Doch dank des bösen Ausrutschers des THW Kiel ging der Spitzenplatz zurück an Berlin. Die Kieler kassierten durch das 23:36 bei der SG Flensburg-Handewitt ihre höchste Pleite gegen den Nordrivalen und verloren die Tabellenführung. Die Füchse zeigten sich dagegen von der knappen 31:32-Niederlage gegen Titelverteidiger SC Magdeburg gut erholt und gewannen ihr Auswärtsspiel beim VfL Gummersbach (30:28) im Stil einer Spitzenmannschaft. Doch auch Kiel, die Rhein-Neckar Löwen und Magdeburg haben noch realistische Meisterschancen. Mit einem Sieg im letzten Spiel des Jahres am 27. Dezember zu Hause gegen Leipzig hatte Berlin die Chance, als Tabellenführer in die lange WM-Pause zu gehen.
„Wir sind sehr froh über diese zwei Punkte und auch über die Tabellenführung“, sagte Kapitän Paul Drux nach dem äußerst kniffligen Spiel in Gummersbach, das mit etwas weniger Glück auch in die andere Richtung hätte kippen können. „Gummersbach hat uns vor wirkliche Probleme gestellt“, stellte auch Siewert fest. Sein Team habe es „nicht geschafft, die Zweikämpfe erfolgreich zu führen, und sie haben uns im Tempospiel brutal bestraft“. Die letzten zehn Minuten, sagte der Trainer mit dem Anflug eines stolzen Lächelns, „waren ein Fight“. Und den Fight haben die Berliner angenommen und für sich entschieden. Wie so oft in der Hinrunde.
Nur selten fiel Berlin das Siegen leicht, wirklich brillant herausgespielte Erfolge gab es nicht viele. Doch in den entscheidenden Momenten zeigten die Füchse Nervenstärke, Fokus und Durchsetzungsvermögen. Auch Kretzschmar ist davon beeindruckt, „wie sehr die Mannschaft brennt“. Er könne das „in jedem Spiel“ erkennen. „Schon in der Kabine und auch, wenn sie rauskommt und in die Halle geht.“ Die Mentalität ist die eines Meisters, vorgelebt vor allem von den Führungsspielern Drux, Hans Lindberg, Mijajlo Marsenic und Torhüter Dejan Milosavljev, auch wenn der wegen einer Fußverletzung gegen Leipzig wohl ausfallen wird. Einzig bei der peinlichen Niederlage Anfang November bei Schlusslicht Minden, die eine noch bessere Ausgangsposition im Titelrennen verhinderte, hatten die Körpersprache und der Einsatzwille überhaupt nicht gepasst.
„Du musst ihnen nicht sagen, was sie wollen“
Die Motivation und große Leidenschaft kämen aus den Spielern selbst heraus, wie Kretschmar betonte. „Du musst ihnen nicht sagen, was wir wollen und was die Zielvorgaben sind. Sie sagen es dir, und sie sagen es auch offensiv in Interviews“, sagte der Sportvorstand. Die Profis seien alle „sehr ambitioniert“ und vereint im Meister-Ziel. „Dazu kommt, wie hart sie arbeiten. Und dann haben wir noch einen überragenden Trainer, der sie gut vorbereitet und das mit der nötigen Ruhe.“
Jaron Siewert ist sicher ein Schlüssel für den Erfolg. Dass er erst 28 Jahre alt ist, ist innerhalb der Mannschaft längst kein Thema mehr. Siewert war von Beginn an höchst respektiert, auch, weil die Alphatiere Kretzschmar und Hanning ihm auch in schwierigen Zeiten den Rücken stärkten. An Siewerts fachlichen Qualitäten gibt es im Team und im Umfeld überhaupt keine Zweifel, deswegen wurde der Vertrag im vergangenen August auch vorzeitig bis 2024 verlängert. „Wir haben ehrgeizige Ziele, und ich bin davon überzeugt, dass wir sie mit unserem Trainerteam erreichen können“, sagte Kretzschmar.
Er selbst hat auch maßgeblichen Anteil am Höhenflug, denn Kretzschmar ist es, der als Sportvorstand hauptverantwortlich für die Kaderzusammenstellung ist. Und obwohl die Füchse hohe Ziele haben, ist ihr Etat verglichen mit den ganz großen Clubs in Europa noch relativ bescheiden. Deswegen musste er in den vergangenen ein, zwei Jahren früher an Spielern dran sein oder auch kreative Wege bestreiten. Langfristig müsse der Club aber auch ökonomisch wachsen, „um die Gehälter der Großen vielleicht auch irgendwann mitzahlen zu können“. Denn das sei nötig, „um dauerhaft erfolgreich zu sein“, glaubt Kretzschmar. Bis dahin müsse man in Vertragsverhandlungen auch mal „nein“ sagen und „auch ehrlich zu den Spielern“ sein.
Für Mathias Gidsel waren die Perspektiven, die ihm der Club aufgezeigt hat, und das neue Gehalt aber genehm. Der hochveranlagte Rückraumspieler verlängerte seinen Vertrag vorzeitig und vor allem langfristig bis 2028. Die Unterschrift des dänischen Weltmeisters sei „ein Statement für unser tolles Projekt“, wie Kretzschmar genüsslich feststellte: „Er ist jemand, der eine unfassbare Mentalität mitbringt und eine Mannschaft noch mal enorm pushen kann. Er hat unser Team noch mal besser gemacht.“ An Gidsel waren vor einem Jahr mehrere Topclubs interessiert gewesen, doch den Zuschlag hatten die Füchse erhalten. Und nach nur wenigen Monaten im Verein verlängert der 23-Jährige seinen Vertrag. „Mit diesem Verein um die erste deutsche Meisterschaft zu kämpfen und als Herausforderer oben anzugreifen – das ist das, was mich antreibt und wofür ich mit der Mannschaft hart arbeiten möchte“, begründete Gidsel.
Dass die Füchse in der Verletzungspause – Gidsel hatte sich beim Länderspiel im Oktober mit Dänemark an seiner linken Wurfhand verletzt – Nägel mit Köpfen machten, überrascht nicht. Der Spieler dürfte die Wertschätzung des Vereins gerade in dieser Phase wohlwollend zur Kenntnis genommen haben. Außerdem war er so etwas außerhalb des Radars für zahlungskräftigere Vereine. Die Vertragsverlängerung mit Gidsel „zeigt, dass wir gewillt sind, uns über die nächsten Jahre mit den Spitzenclubs zu messen“, betonte auch Hanning. Der Geschäftsführer arbeitet wie Kretzschmar, Siewert und das Team auf den ersten Meistertitel der Bundesligageschichte hin. Die Chance ist realistisch, dass es schon in diesem Jahr gelingen kann.