Die massiven Ausschreitungen gegen Polizei und Feuerwehr in der Silvesternacht vor allem in Berlin haben die Politik aufgeschreckt. Ein „Gipfel“ soll Sofortmaßnahmen besprechen. Die Ursachen liegen aber tiefer.
Schlimmer kommt es bekanntlich immer. Im Berliner Wahlkampf zur Wiederholungswahl im Februar wollte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey direkt nach Silvester ihre Wahlkampagne vorstellen. Es sollte der Startschuss für die Sozialdemokraten an der Spree werden und endete als medialer Rohrkrepierer. Nach der Silvester-Krawallnacht in der Hauptstadt interessierte sich keiner der Reporter mehr für Wahlplakate oder Kampagnen, sondern hatte vor allem Fragen an die Bürgermeisterin und SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey. Doch die hatte keine Antworten. Eine hilflos regierende Bürgermeisterin, die seitdem um Schadensbegrenzung bemüht ist und versucht, massive Gewalt gegen Polizei, Feuerwehr und Hilfskräfte als ein neues Phänomen von Jugendgewalt darzustellen. Es kam noch dicker für die wahlkämpfende Bürgermeisterin. Beim Vorort-Termin in der Feuerwache Neukölln musste sie sich nicht nur den bohrenden Fragen der leidtragenden Helfer auf der Wache stellen, die in der Silvesternacht beim Einsatz mehrfach die Mündungen von Pyro-Pistolen vor ihrem Gesicht hatten, sondern Parteifreundin und Bundesinnenministerin Nancy Faeser fiel ihr beim Feuerwehrbesuch auch noch politisch in den Rücken.
Unterschiedliche Wahrnehmungen
Während Giffey von einer neuen Form der Jugendgewalt spricht, nennt Faeser von „einem großen Problem mit bestimmten jungen Männern mit Migrationshintergrund“. Damit war nun bundesweit genau die Debatte losgetreten worden, die Giffey auf jeden Fall verhindern wollte. Da änderte auch wenig die polizeiliche Statistik, wonach von den 145 Festgenommenen der Silvesternacht ein beträchtlicher Teil, nämlich 45, deutsche Staatsangehörige sind. Das Thema der Migrationspolitik in Berlin und damit der Integrationspolitik der seit über 20 Jahren in der Regierungsverantwortung stehenden SPD war gesetzt.
Giffeys Behauptung, man sei von der neuen Qualität der Gewalt überrascht worden, lassen Polizeigewerkschaft, aber auch Sicherheitsexperten nicht gelten. Selbst die Hauptstadtreporter fuhren an Silvester mit ihren Kameras gezielt zu den Orten, wo es später die spektakulären Bilder gab. Eine nachvollziehbare Frage, warum denn die Polizeikräfte nicht schon im Vorfeld diese neuralgischen Punkte gerade in Berlin-Neukölln mit Kräften besetzt hätten, findet eine einfache Erklärung: Die Hundertschaften sind nicht als Voraussicherung rausgefahren, weil damit der Eindruck des „Racial Profiling“ hätte entstehen können. Gemeint ist damit der Umstand, dass die Polizei an Orten in Stellung geht, an denen eine hohe Zahl von Migranten lebt. Ein Hundertschaft-Führer machte in der Silvesternacht gegenüber FORUM deutlich: „Wir fahren in diesen Bereichen nur mit Auftrag, also Notruf, raus, ansonsten entsteht der Eindruck, wir würden die dort lebenden Menschen stigmatisieren. Auch wenn uns im Vorfeld klar war, dass es in diesen Bereichen, wie zum Beispiel hier in der Hermannstraße, eine erhebliche Gefahr in Verzug bestand.“
Auf gut Deutsch, warten bis etwas passiert, auch wenn im Vorfeld klar ist, dass etwas passiert. Die Einsatzleiter reagieren aus Sicht der Rot-Grün-Roten politischen Führung der Stadt politisch absolut umsichtig, kein unbegründeter Verdacht gegen niemanden. Doch die Strategie scheint in der Hauptstadt völlig an die Wand gefahren zu sein. Selbst Soziologen sprechen unterdessen in den vorwiegend sich selbst überlassenen Kiezen nicht mehr von „Parallelgesellschaften“, weil es, so die Argumentation, keine parallelen Entwicklung gibt sondern ein völliges Eigenleben. Die von Politikern gern zitierten Parallelgesellschaften waren gestern. Heute haben sich eigene Gemeinschaften zusammengefunden, die vom deutschen Staat und seinen Gesetzen nicht bevormundet werden wollen.
Das Phänomen ist nicht neu. Bereits vor 30 Jahren hat in dem Problembereich „Schillerkiez“ in Neukölln ein damals prominenter Radioreporter einen Tag lang live den örtlichen Kontaktbereichsbeamten der Berliner Polizei begleitet. Das Fazit des Hauptkommissars kurz vor dem Ruhestand damals: „Wenn ich hier die Schlichtung zwischen realisierenden Jugendbanden will oder den Schutzgelderpressern im Kleingewerbe Einhalt gebieten will, muss ich mit dem örtlichen Imam sprechen“ (Gesprächsprotokolle liegen der Redaktion vor). Das war im Sommer 1993 und rief umgehend den damaligen Innensenator Heckelmann (parteilos) auf den Plan. Der Reporter wurde gemaßregelt, das Radio-Feature nie gesendet. Seitdem hat sich diese eigenständige „Rechtsprechung“ durch einen örtlichen Friedensrichter auf Grundlage der Scharia verfestigt, was auch den politisch Handelnden bekannt ist. Vor allem Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey. Immerhin hat sie ihre politische Karriere in Berlin-Neukölln als Ziehkind des legendären Bezirksbürgermeisters Heinz Buschkowsky begonnen. Sie war von 2015 bis 2018 seine Nachfolgerin und wurde dann Bundesfamilienministerin.
Wenn also jemand diesen Kiez kennt, dann Franziska Giffey. In ihrer Zeit als Bezirksbürgermeisterin benannte sie ganz offen die ablehnende Haltung großer Gruppen mit Migrationshintergrund gegenüber dem Staat. Doch nun, mitten im Wahlkampf, will sie davon nichts mehr hören. Sie hat eine neue Form ausgemacht und will einen Gipfel zu dieser „neuen Jugendgewalt“, mit vielen Absichtserklärungen und, wie Kritiker meinen, mit dem Bemühen der rot-grün-roten Landesregierung vom eigenen Versagen abzulenken.
Böllerverbote ändern nichts an den tieferen Ursachen
Da ist zum Beispiel die Änderung des Demonstrationsrechts in puncto freier Berichterstattung. Demnach können nun die Anmelder von Veranstaltungen Reporter, Fotografen und Kamerateams von den Demonstrationen ausschließen, wenn ihnen die Berichterstattung der Medienvertreter nicht passt. Davon wurde im vergangenen Jahr mehrfach Gebrauch gemacht.
Zum Beispiel bei der Demonstration zum Al-Quds-Tag im August auf dem Hermannplatz in Neukölln. Die anwesenden Reporter passten dem Veranstalter nicht in den Kram, und er sorgte mithilfe der Polizei dafür, dass diese nicht mit im Demonstrationszug laufen durften. Sie sollten dann hinter der Demonstration hertraben, was viele ablehnten und stattdessen in ihre Redaktionen zurück fuhren. Eine umfassende Berichterstattung kann so schwerlich funktionieren. Das Signal unterdessen für die Veranstalter ist eindeutig. Sie sehen sich in der Auffassung bestätigt, dass sie alles in ihrem Kiez selbst regeln. Und das gilt dann eben auch für Feuerwehr und andere Rettungskräfte, die folglich dort nichts verloren haben. Dieses Motto „Wir regeln das selbst“ scheint gerade unter jungen Männern ziemlich verbreitet. Da geht es dann auch um Männlichkeitsrituale, wer der Stärkste im örtlichen Revier ist.
Diese Dynamik hat sich in den letzten Jahren seit der Flüchtlingswelle nun noch verstärkt. Kein Wunder, Geflüchtete warten seit Jahren auf ihren Aufenthaltsstatus, bis dahin sind sie zum Nichtstun in ihren Unterkünften verdammt. Perspektive gleich Null. Dieser Frust hat sich in der Silvesternacht eruptiv entladen. Da hilft es auch nicht, wenn Bundesinnenministerin Faeser nun das Waffenrecht verschärfen, die Regierende Bürgermeistern Giffey ein bundesweites Böllerverbot durchsetzen will. Anstelle mit Pyropistolen und Böllern treten dann Silvesterraketen, Flaschen oder Steine. Mit Verboten ist Integration nicht zu bewerkstelligen, aber das ist auch nichts wirklich Neues.