Eine Paaranalyse nach der Trennung des erfolgreichsten deutschen Herrendoppels der Tennisgeschichte – vor ihrer ersten Saison mit neuen Partnern auf der ATP-Tour und nach der ersten Krise von Pütz und Krawietz bei den Davis Cup Finals.
Zu den lustigen Geschichten rund um die doppelten Doppel-Grand-Slam-Sieger von Paris, Kevin Krawietz und Andreas Mies, gehört das Gerücht, dass die beiden ihre Traum-Mates auf der Flirt-Plattform Tinder gefunden hätten. Doch manchmal läuft es richtig, tja, mies in einer Partnerschaft, wenn einer im Duo verletzungsbedingt ausfällt. Und das ausgerechnet in dem Moment, in dem die Olympischen Spiele anstehen und weitere Stufen der Karriereleiter für das Paar poliert sind. Jetzt hat Kevin mit Tim Pütz einen Neuanfang gewagt. Ihre Hoffnung: anhaltender Erfolg, auch über den Davis Cup hinaus, mit Grand-Slam-Sieg-Peilung. Ihr Honeymoon-Pech: superstarke kanadische Gegner und Mängel im Einklang, als es Ende November um den Einzug ins Halbfinale des Davis Cups in Málaga ging.
Niedergedrückt klang Kevin Krawietz nach der ersten Nachtpartie, die das frisch für die ATP-Tour verbandelte Doppel anlässlich der Davis Cup Finals bestritt – und verlor: „Wir sind sehr enttäuscht. Wir wollten dem Team helfen und den zweiten Punkt holen. Das haben wir leider nicht geschafft, weil die Kanadier zum Schluss besser waren und wir das Niveau aus dem ersten Satz nicht halten konnten“, sagte der gebürtige Coburger. Seit 2017 hatte kein deutsches Doppel mehr eine Davis-Cup-Partie verloren. Pütz war elf Mal dabei im Spiel, Krawietz sogar zwölf Mal. Immer wieder hatten die Paarungen „Tim und Struffi“ – das waren Tim Pütz und Jan-Lennard Struff –, danach Krawietz und Andreas Mies sowie schließlich Pütz und Krawietz fürs deutsche Team die Kohlen beim Nationencup aus dem Feuer geholt. „Wie viele Partien wir da beim Stand von 1:1 hatten, ist außergewöhnlich. Ich hoffe natürlich, dass diese Serie hier nicht reißt“, hatte Teamchef Michael Kohlmann vor dem Match gegen die bärenstarken Kanadier Denis Shapovalov und Vasek Pospisil gesagt.
Neuanfang nach Mies-Verletzung
„The Men in White“ schwärmte der Kommentator auf Tennis Channel (TC) beim Stand von 5:2 für das neue deutsche Traumpaar von deren selbstbewusstem Auftreten im ersten Satz. Fast schien es, als könne man schlafen gehen, so geradeaus und harmonisch spielten Pütz und Krawietz ihre Punkte und Breaks herunter. Seit 2011 kennen sich die beiden. „Noch ein Satz und das deutsche Doppel kann die Deutschen ins Halbfinale bringen“, moderierte der TC-Mann den zweiten Satz an. Doch dann kam alles anders. Nichts wurde es mit der Weichenstellung zu einem ersten Davis-Cup-Finalsieg eines deutschen Teams seit 29 Jahren. Die Kanadier waren aufgewacht, elektrisiert und aufgedreht. Als hätte Fortuna die Seiten gewechselt, gelang ihnen nun alles, wohingegen beim deutschen Duo die Glückssträhne abriss. Verpatzte Aufschläge, auch mal eine überraschte Miene, weil der andere vorne am Netz den Ball nicht gleich genommen hatte. Dabei ist das reaktionsschnelle „Zack und weg“ beim Return sonst eine Spezialität deutscher Doppel. Oft reiben sich die Zuschauer verwundert die Augen, wenn eine solche Aktion in Sekundenbruchteilen an ihnen vorübergezogen ist.
Doch Moment. Das war eher das Momentum, das Andreas Mies ins Spiel brachte. Wenn der Kölner spontan und verblüffend fix auf die Aktionen des Gegners reagierte, während Krawietz den Matchverlauf insgesamt dirigierte. Das wird fehlen, wenn der 30-Jährige ab der Saison 2023 ohne Mies unterwegs ist. Wenn er mit dem verlässlicher aufschlagenden und routinierteren Tim Pütz an einer Beziehung feilt, in der zwei selbstbewusste Strategen ihre Rollen auf dem Platz sehr schnell abstimmen müssen. Als Ü30er ist Pütz in der Saison 2021 in die Top 20 der Doppel-Weltrangliste, im Folgejahr sogar auf Rang sieben aufgestiegen. Und doch wartet er als 35-Jähriger noch immer auf einen Grand-Slam-Titel, der einen auch finanziell sehr relevanten Gewinn darstellen würde. Der Südhesse konnte im Davis-Cup-Team aufgrund seiner Meriten bestimmen, mit wem er im Doppel aufschlägt, als die Fülle an guten Doppelspielern einen strapaziösen Mehrfach-Einsatz von Einzel-Playern wie Struff im Nationencup unnötig machte. Der studierte Volkswirt Tim entschied sich für Kevin und gewann Geschmack an der neuen Verbindung.
Geschmack an der neuen Verbindung
Gemeinsamer Sieg, Strahlen und Feiern bei der Davis Cup Finals Group Stage Mitte September in Hamburg. Der Denkmotor ratterte, Tim sprach mit Kevin, klopfte ihn schließlich auf eine Entscheidung fest. Die Telefondrähte zwischen den Partnern liefen ein wenig heiß für Verabredungen, Verkündigungen und Verständnis-Haschereien. Tim und der Neuseeländer Michael Venus waren nach erfolgreichen gemeinsamen achtzehn Monaten knapp an den ATP Finals vorbeigerauscht. Doch sie hatten seit den US Open nicht mehr gut gespielt, wie Pütz im Tennis- und Sportpodcast „Advantage“ selbst analysierte (wo er noch viele andere nachhörenswerte Einblicke in das Auseinanderbrechen der bisherigen Doppel-Konstellationen gab: www.patreon.com/advantagepodcast).
„Natürlich wollen wir Grand Slams gewinnen, am liebsten alle vier, aber das ist kein realistisches Szenario und Ziel. Als übergreifendes Ziel haben wir für 2023 die Qualifikation für die ATP Finals in Turin“, sagte Tim im erwähnten Podcast-Interview. Der 35-Jährige. der mit Frau und Kind im südhessischen Usingen zuhause ist, hatte erst 2021 auf eine Offerte von Michael Venus, sich zusammenzutun, zugesagt. Weil der so hoch in der Weltrangliste platziert war, kam Tim nachfolgend öfter zu großen Turnieren, bei denen viele Punkte zu holen sind. Ein wichtiger Schubser für Pütz’ Ranglistenkletterei.
Doch für 2023 setzt der gebürtige Frankfurter auf einen neuen Partner. Auch wenn Pütz seine eigene körperliche Verfassung in der 2022er-Saison selbstkritisch mit in die Verantwortung dafür nimmt, wegen zu weniger Auftritte nicht noch weiter gekommen zu sein. Ziel sei es, „neue Impulse zu bekommen und zu geben“, sagte der Auserwählte, Krawietz, im schönsten PR-Deutsch über seine neue Paarung mit Pütz.
Neue Beziehungsarbeit ist gefragt, nachdem Kevin beim ATP-Turnier in Tel Aviv Ende September mit Andy „Schluss gemacht“ hat. Was sich sehr „schlecht“ angefühlt habe, wie er bei einer digitalen Pressekonferenz zur Trennung der ersten deutschen Grand-Slam-Sieger seit Gottfried von Cramm und Henner Henkel 1937 eingestand. Mies halt (wobei er das natürlich nicht so sagte). Die Zeit des gemeinsamen lockeren Frotzelns ist vorbei im Herbst des einstigen Traumduos.
Fünf Jahre waren „KraMies“, so der Spitzname des medienfitten Doppels, verbandelt auf der ATP-Tour. Nominell. Denn da war die Pandemie-Phase, da folgte eine weitere schmerzliche Auszeit in der Karriere des Andreas Mies, das Knie plagte ihn einmal mehr. Sechs Monate spielte Krawietz, der an der Oberhachinger Tennisbase trainiert, notgedrungen ohne Mies, mit wechselnden Partnern. Obwohl er mit ihnen zwei Turniere gewann, konnte der Wahl-Münchner sein Karrierehoch als Platz sieben der ATP-Doppelliste ohne Mies nicht stabilisieren. In dieser Zeit platzte der gemeinsame Olympische-Spiele-Traum der beiden, konnten die Eiffelturm-Einreißer von Paris keine Medaille für Deutschland anbaggern. Jetzt ist ihr Doppel-Beziehungsstatus „Ex“.
„Unvergessliche Jahre“
Das gemeinsame Glück, die Euphorie des unerwarteten Erfolgs: Vergangenheit. Trotz aller verbindenden Erlebnisse und Mühen, inklusive zweier Majors-Triumphe. Vor dem ersten Grand-Slam-Sieg von „KraMies“ bei den French Open hatten die beiden eine Menge investiert, um als Doppel jeweils erstmals auf der ATP-Tour starten zu dürfen. „Wir haben die letzten Jahre viel draufgezahlt bei den Futures und Challengers nach meiner Knie-OP“, erzählte Mies 2019. Damals war es noch gar nicht so lange her, dass Andreas Mies fürchtete, nach einem Knorpel- und Meniskus-Schaden, Knie-OP und zehn Monaten Reha, es könnte vorbei sein mit seinem Traum, jemals in einem Grand Slam antreten zu dürfen. Dabei hatte der Kölner 2016 mit seiner Einzel-Karriere richtig loslegen wollen. Als Mittzwanziger hatte er damals an einem College seinen Abschluss geschafft. Und dort zu seinem und Krawietz’ Glück gelernt, welch großen Stellenwert Doppel-Wettkämpfe haben können. So kam es, dass das geniale Doppel nicht nur zwei Grand Slams sowie vier weitere Tour-Titel gewann, sondern die Freude an Doppeln in die Breite des deutschen Tennissports brachte – und endlich auch in die medialen Übertragungen hierzulande.
Kevin und Andy hatten sich 2017 zur richtigen Zeit gesucht und gefunden. Denn auch Krawietz erinnerte sich gerade an seinen Junioren-Doppel-Titel in Wimbledon und rechnete seine weiteren Karrierechancen passend hoch. So wie auch Andy, für den eine Doppelkarriere besser mit seinem Knie harmonierte. Was zwei Titel in München und Barcelona für das Doppel KraMies in der Saison 2022, das Halbfinale beim 1.000er-Masters in Paris und eine Fast-Qualifikation für die ATP Finals eigentlich bestätigten.
Jetzt geht es für Mies weiter mit dem Australier John Peers, der 2017 das Doppelturnier der Australian Open mit dem Finnen Henri Kontinnen gewann – sein nunmehr zweiter Partner auf der Tour. „Nach vier unvergesslichen Jahren ist nun die Zeit gekommen, ein neues Kapitel aufzuschlagen“, schrieb der 32-jährige Mies bei Instagram. Patchwork can work bei der Partnerwahl. Vielleicht. Wir erinnern uns: Beim olympischen Tennis-Turnier 2021 scheiterten Kevin Krawietz und Tim Pütz als improvisiertes Nationen-Doppel im Achtelfinale.
Die nächste Chance, für Deutschland zu punkten, bekommen Pütz und Krawietz bereits bei der Davis-Cup-Qualifikationsrunde vom 3. bis 4. Februar 2023 zu Hause gegen die Schweiz. Auf Hartplatz in Trier. Das ergab die Auslosung der ITF am Rande der Davis Cup Finals in Málaga. Dort gewann übrigens am Ende Kanada. Felix Auger-Aliassime, Denis Shapovalov und Vasik Pospisil waren heuer einfach nicht zu stoppen. Auch nicht von der neuen festen Paarung Tim und Kevin. Ein wenig Mitternachtsblues zum Anfang wird der Beziehung nicht dauerhaft schaden. Krawietz postete nach dem Viertelfinal-Aus auf Instagram: „Wir konnten die Serie im Doppel leider nicht fortsetzen. Es tut noch weh, aber wir werden es nächstes Jahr wieder probieren.“