Eintracht Frankfurt entwickelte sich in den vergangenen Jahren stetig weiter. Die Wechselgerüchte um die Leistungsträger nehmen zu. Cheftrainer Oliver Glasner bleibt cool, auch wenn der Club bei unmoralischen Angeboten nicht mithalten kann.
Die Situation, in der sich Eintracht Frankfurt derzeit befindet, ist keine unbekannte. Lob gibt es von allen Seiten, die Vorbereitung läuft ohne größere Störgeräusche ab, und der Kader macht weiterhin einen homogenen Eindruck. Das war im vergangenen Jahr auch so. Dann kamen die Bayern und schraubten die Eintracht mit 1:6 auseinander. Es scheint so, als hätte die Eintracht daraus gelernt oder zumindest die richtigen Schlüsse gezogen – und allen handelnden Personen einen neuen Realitätssinn gänzlich ohne Übermut eingespeist. Die Rückrunde startet gegen Schalke 04, Tabellenletzter mit gerade mal neun Punkten nach 15 Spielen. Die Fallhöhe ist enorm – Trainer Oliver Glasner ist gegen so etwas aber immun. Selbstüberschätzung ist dem Österreicher fremd, und er scheint es auf die ganze Eintracht zu übertragen. Natürlich haben nicht alle Spieler den Charakter Glasners, jedoch hat seine Arbeitseinstellung in anderthalb Jahren durchaus auf seine Spieler abgefärbt. Logischerweise, denn alle Maßnahmen und Richtlinien des Trainers haben die Eintracht in die komfortable Situation gebracht, in der sie sich gerade befindet.
Die Fallhöhe ist enorm
Wahrscheinlich gibt es nichts an der sportlichen Situation der Eintracht auszusetzen – wären da nicht die Gesetze des Profifußballs. Nichts hat Bestand, die Schnelllebigkeit sitzt den Verantwortlichen ständig im Nacken. Sportlicher Erfolg zieht auch immer die großen Vereine des Fußballs auf den Plan, um sich schnell an den tragenden Säulen einer solchen Mannschaft zu bedienen. Bei der Eintracht haben Spieler wie Randal Kolo Muani, Kevin Trapp, Daichi Kamada, Evan N’Dicka, Djibril Sow, Jesper Lindstrøm oder Rafael Borré die Aufmerksamkeit der Branche auf sich gezogen. „Der Markt macht die Gesetze“, hat Glasner im Trainingslager in Dubai gesagt. Die Eintracht scheint mit den Gesetzmäßigkeiten des Marktes auf die einzige logische Art und Weise umzugehen: Ruhe bewahren und alles dafür tun, dass die Mannschaft zusammenbleibt, so lange es realisierbar ist. Das hat sie in diesem Winter mit Bravour getan, alle Leistungsträger gehalten, um in der Rückrunde auf der starken Vorrunde aufzubauen. Federführend ist dabei Glasner, der schon im Wintertrainingslager große Gelassenheit vermittelte, obwohl das derzeit große Glück für viele flüchtig scheint. „Wenn ich mir über alles Sorgen machen würde, könnte ich nicht weiterarbeiten.“ Dann zählt er auf, worüber er sich Sorgen machen könnte: „Kevin Trapp verlängert nicht, Junior Ebimbe geht zurück nach Paris, Kamada und Sow wechseln, Ndicka sowieso, und Hasebe beendet seine Karriere.“ Aber nichts sei entschieden. „Im schlechtesten Fall gehen alle, im besten Fall bleiben alle. Wenn es um ein Wünsch-dir-was geht, würde ich sagen, alle verlängern um vier Jahre, wir bleiben zusammen und nehmen nur noch hier und da eine kleine Verstärkung dazu. So hätten wir meiner Meinung nach für die Eintracht den größtmöglichen Erfolg.“
Kolo Muani ist äußerst begehrt
Fußball ist aber in jedem Fall eines: knallhartes Business. Glasner hält es für unwahrscheinlich, dass sowohl der schlimmste als auch der beste Fall eintreten wird: „Wir werden keine fünf oder sechs Stammspieler verlieren, und wir werden nicht alle halten können. Die Wahrheit wird irgendwo in der Mitte liegen.“ Kommt ein unmoralisches Angebot für Kolo Muani oder Kevin Trapp, dann werden sie den Verein verlassen, auch wenn sie derzeit signalisieren, dass sie bei der Eintracht bleiben wollen. Gleiches gilt auch für den Coach selbst: „Ich habe noch anderthalb Jahre Vertrag in Frankfurt, und es macht mir wahnsinnig viel Spaß hier. Aber alles, was ich über die Zukunft sage, kann nur falsch sein.“ Glasner führt ein Beispiel aus England an: „Graham Potter hat vor einem halben Jahr auch gesagt, dass er sich in Brighton wohlfühlt und bei dem Aufschwung des Clubs weiter dabei sein möchte. Dann entlässt der FC Chelsea aus irgendwelchen Gründen Trainer Thomas Tuchel und gibt mehr als 20 Millionen Euro Ablöse aus. Jetzt trainiert Potter den FC Chelsea.“ Genauso werde Kolo Muani zu Manchester City gehen, wenn der Club 100 Millionen Euro Ablöse zahle und alle anderen bei unmoralischen Angeboten. „Wir können nur reden und aufzeigen, was die Spieler an der Eintracht haben“, sagte Glasner. Dass das Erfolg haben kann, zeigt Djbril Sow, der im Sommer für sehr viel mehr Gehalt in England hätte aufschlagen können. „Nicht überall ist so eine geile Truppe zusammen wie in Frankfurt, nicht überall ist das Umfeld so super“, so der Coach. Glasner legt in seiner Arbeit sehr bewusst einen Schwerpunkt auf Charakter- und Persönlichkeitsbildung. Einer für alle, alle für einen. Der Trainer akzeptiert nicht, wenn sein Anspruch auf mannschaftliche Geschlossenheit nicht erfüllt wird. „Wenn jemand ausscheren würde, wäre er schon nicht mehr im Trainingslager.“ Vor allem in dieser mannschaftlichen Geschlossenheit sieht Glasner die Chance, die Grenzen weiter zu verschieben: „Wir können nun mal keine 60- oder 80-Millionen-Transfers machen. Dennoch wollen und müssen wir uns mit solchen Mannschaften messen, da brauchen wir halt andere Tools.“ Im Bereich Mentalität sei die Eintracht mit den Allerbesten konkurrenzfähig. Dafür gebe es viele Beispiele. Glasner führte zwei an: Almamy Touré, der nach langer Verletzungspause zu Saisonende ganz wichtig wurde. „Als ihn die Mannschaft in den entscheidenden Spielen brauchte, war er da.“ Dann kommt der Österreicher auf Rafael Borré zu sprechen: „Er hat seinen Stammplatz verloren, aber nie seinen Platz in der Gruppe.“ Der Kolumbianer schoss die Eintracht zum Gewinn der Europa League und muss nun mit ansehen, wie er von Neuzugang Kolo Muani ausgestochen wird. „Es ist vorbildlich, wie Rafa bei aller Unzufriedenheit mit der Situation umgeht“, sagt Glasner. Niemand ist wichtiger als die Mannschaft – Glasner hat es geschafft, dass seine Spieler diese Worte mit Leben füllen.
Nötige Ruhe ist vorhanden
Neben Glasner ist Sportdirektor Markus Krösche eine der prägendsten Figuren bei der Eintracht. Während sich Glasner um die sportlichen Belange auf dem Platz kümmert, muss Krösche die heiklen Vertragssituationen seiner Spieler lösen. Die Zielsetzung für die Rückrunde formuliert der Sportdirektor dagegen klar: „Wir wollen mit aller Macht diesen Platz verteidigen. Wir wollen am Ende der Saison auf den Champions-League-Plätzen stehen. Das ist unser Ziel.“ Während bei den möglichen Spielerabgängen Ruhe demonstriert wird, geht Krösche bei der Zielsetzung durchaus in die Offensive: „Ob wir das schaffen, weiß ich nicht. Aber was soll ich sagen? Dass wir schlechter werden wollen?“, betonte Krösche. Nein, sicher nicht. Ein internationaler Platz soll es mindestens werden für die Frankfurter. Eine zweite Champions-League-Teilnahme in Folge wäre aber ein neuer historischer Schritt für den Verein, der im Sommer 2016 in der Relegation gegen Nürnberg noch gegen den Abstieg in die Zweite Liga ankämpfen musste.
Die Eintracht strahlt mit ihren handelnden Personen die nötige Ruhe aus. Neben den Baustellen um auslaufende Verträge oder für die Konkurrenz interessante Spieler geht es vor allem darum, erfolgreich zu bleiben. Das erfolgreiche Jahr 2022 soll dabei so gut es geht vergessen werden. „Wir müssen das, was war, zur Seite schieben und dürfen uns nicht darauf ausruhen“, formulierte es der Eintracht-Sportvorstand. „Wir sind gefeiert worden – und das auch zu Recht. Aber jetzt reicht es.“ Sollten die Frankfurter im Mai aber erneut die Champions League erreichen, gäbe es ja genügend Gründe für neuerliche Feierlichkeiten. Zudem würde es die Verhandlungsposition der Eintracht verbessern – sowohl sportlich als auch finanziell. Von der Ruhe der Verantwortlichen sollten sich die Fans und Zweifler anstecken lassen. In den vergangenen Jahren hat die Eintracht oft die richtigen Entscheidungen getroffen, womöglich wird das auch in Zukunft so sein.