An der südfranzösischen Mittelmeerküste kann der Winter launisch sein. Doch in der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur gibt es einen Landstrich, wo bis März Tausende kleine Sonnen „dauerscheinen“.
Wie ein dottergelber Flaum umketteln unzählige Mimosen das pastell-aprikosenfarbene Mauerwerk des mittelalterlichen Städtchens Bormes-les-Mimosas. Fast surreal liegt mitten im Winter eine feinpudrige Süße wie vaporisierter Honig in der Luft. Die bei uns auch als „Akazien“ bekannten Mimosen kommen ursprünglich aus Südaustralien und werden auch in Südafrika kultiviert. 800 Arten sind offiziell registriert, 1.200 gibt es weltweit und 90 davon wachsen als wild-invasive und eigentlich gar nicht „schamhafte Sinnpflanze“ – so der botanische Fachbegriff – in der pittoresken Stadt und ihrer Küstenregion. Im 19. Jahrhundert sollen Engländer die ersten Samen einer Silber-Akazie aus Australien nach Frankreich gebracht haben. Mimosen unterscheiden sich in Blüten- und Blätterfarben, Duft und Wuchsform. Manche Blätter können sogar stachelige Nadeln haben. Die im Département Var meistverbreitete Art sind die „Gaullois“, die als feingliedrige Bäume mit dunkelgrünem Laub mit ihrer schwefelgelben, üppig wuchernden Blütenbällchen-Pracht die Stadt dominieren.
Die „Mirandole“ verwandeln sich, hellgelb mit zartgrünem Blattwerk, als Gebüsch zum Blumenmeer. Manche der floralen Gold-Mädchen wachsen in Zier- oder Steingärten oder posieren als Hecken oder Windschutz. Mit einer von vier Blumen gekrönten Etikette gehört das Dorf zu den „Plus Beaux Villages Fleuris“. Das ist die höchste „offizielle“ Auszeichnung zu einem der „schönsten floralen Dörfer“ Frankreichs, ja Europas.
Nach coronabedingter Pause wird der „Blumenumzug“, der hier eine lange Tradition hat, dieses Jahr zur Wintersonnenblüte vom 18. bis 19. Februar endlich wieder stattfinden. Zwölf Tonnen frisch gepflückter Mimosen und 80.000 am Vortag erworbene Schnittblumen werden von Passionierten der Dorfgemeinschaft mit flinken Händen an 15 Motiv-Wagen befestigt.
Es begann mit einem einzigen Blumenwagen
Ihren Beginn nahm die Corso-Tradition der Côte d’Azur in einem bitterkalten Winter nach dem Ersten Weltkrieg mit einem einzelnen Blumenwagen – dem „la Carreto Ramado“. Durch das Herumkutschieren der strahlenden Mimosen mit weißem Heidekraut und Wildblumen sollte die Schönheit ins Leben zurückkehren. Immer mehr schmucke Karren kamen über die Jahre hinzu. Lange wurden sie von Eseln und Maultieren, später von Fahrrädern, Traktoren und den noch seltenen Automobilen gezogen. Das Département Var spezialisierte sich auf Schnittblumen wie Gänseblümchenanemonen, Ringelblumen oder Nelken – vom offenen Feld oder aus neu angelegten Gewächshäusern. So wurden die Wagen bunter, die Parade größer, die Nachahmer zahlreicher.
Das Mikroklima und die sauren Böden an der Côte d’Azur lassen den leuchtenden Akazien-Teppich von der Küste bis ins Hinterland zu einem geografischen „Goldenen Dreieck“ wachsen. Die Einladung zu einer erhellenden Winterwanderung führt vorbei an Pinienwäldern und Olivenhainen auf die Route du Mimosa. Die „Mimosen-Straße“ beginnt in Bormes-les-Mimosas und führt 130 Kilometer entlang der Côte d’Azur über die Orte Rayol-Canadel-sur-Mer, Sainte-Maxime, Saint-Raphaël, Mandelieu-la-Napoule, Tanneron und Pégomas bis nach Grasse. Hier kreieren feine Nasen die großen Düfte der Welt. Für Marken wie Saint Laurent oder Givenchy werden nur die Duftköniginnen unter den Mimosen verwendet. Ein Etappen-Juwel ist die „Route d’Or“ vom Massif des Maures bis zum Esterel.
Bevor man sich auf den Weg macht, lädt Bormes-les-Mimosas mit seinen italienischen Gesichtszügen zum Flanieren ein. Das Wohngebiet erstreckt sich von der Mittelmeerküste mit einem 17 Kilometer langen Sandstrand bis auf 600 Höhenmeter. Wie steinerne Labyrinthe schlängeln sich die Gassen durch die Altstadt hoch zum Place de l’Isclou d’Amour. Am romantischen Brunnen küsst man sich mit Blick über die Stadt. Ein Künstlerkollektiv zeigt vor allem in der 150 Meter langen und über 83 Stufen zu erklimmenden Rue Rompi Cuon in offenen Ateliers ihre Artefakte – Schmuck, Keramik, Malerei. Ab Februar öffnet auch wieder das provenzalische Restaurant „La Cueva“ als Teil der kellerhaft verzweigten Gassen. Man isst und trinkt unter wilden Pfefferbäumen auf dem malerischen Place du Poulid Cantoun.
So lieblich-friedlich das Städtchen anmutet, erzählt die über der Stadt thronende Burgruine Château des Seigneurs de Fos von seiner Geschichte als wehrhaftes Dorf. Das im 12. Jahrhundert erbaute mittelalterliche Dorf Borma ist ein sogenanntes Village Perché, das wie viele seiner Epoche am Fuße des Maurenmassivs „hängt“. Die Erstbesiedlung geht laut Ausgrabungen bis in die keltische Zeit um 1056 zurück. Im Hafen von Brégançon wurde früher Granit aus den Bergwerken verschifft. Seit 1968 ist seine Festung die Ferienresidenz der regierenden französischen Präsidenten. Jede Präsidentengattin verpasst den Innenräumen ihre Handschrift. Umgeben von Weinbergen (zwölf in der Region!) und weißsandigen Stränden lohnt sich der Abstecher in die Enklave.
Viele Baumschulen und botanische Gärten
Aber zurück zur Witterung der Mimosen: Die lässt sich mit anderen Exoten im 2.400 Quadratmeter großen städtischen „Parc Gonzalez“ aufnehmen. Fast jedes Dorf auf der Route du Mimosa besitzt eigene Baumschulen (Pépinières), Blumenläden, Parks oder botanische Gärten wie „Le Jardin Botanique des Myrtes“ in Sainte-Maxime oder „Le Colline des Mimosas“ in Pégomas. Mitten in einem von Dünen und Meerpanorama umsäumten, 20 Hektar großen Naturschutzgebiet liegen die Landschaftsgärten der „Domaine du Rayol“. Hier spiegelt sich die mediterrane Biosphäre der ganzen Welt. Ganz in der Nähe liegt Le Lavandou, das bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch mit Bormes-les-Mimosas eine Gemeinde bildete. Der kundige Winter-Flaneur stößt von hier auf den „Sentier du Littoral“ – einen insgesamt 200 Kilometer langen Küstenweg der Zöllner, der sich über in die Felsen gehauene Stufen und Pfade am Meer entlangwindet.
Am 19. März erwacht der beliebte Küstenferienort Le Lavandou endgültig aus dem Winterschlaf. Da findet als krönender Winter-Abschluss der größte Blumen-Corso der Region statt. Bald wird die Küstenperle mit ihrem von Palmen umsäumten Bilderbuchhafen und den zwölf „Bunten Stränden“ wieder von Sonnenhungrigen belagert. Die „Vedettes“ – Ausflugsboote – der Îles d’Or werden wieder ihre Tagestouren zu den Hyères-Inseln Port-Cros, Île du Levant und Porquerolles anbieten. Wenn die letzten Mimosen verblüht sind, spiegelt sich verlässlich auch wieder die eine, große Sonne im azurblauen Meer. Im goldenen Mimosenland gibt es nun mal keinen Raum für Wintertristesse.