Nicht nur saarländische Top-athleten finden in Saarbrücken eine perfekte Vereinbarkeit von Leistungssport-Karriere und beruflicher Ausbildung auf hohem Niveau.
Fußballprofis müssen sich über ihre Karriere nach der Karriere in der Regel erst einmal keine großen Gedanken machen. Bleiben sie über weite Strecken verletzungsfrei, können sie sich während ihrer Karriere genug Kleingeld erspielen, um gelassen auf die berufliche Perspektive nach der aktiven Laufbahn blicken zu können. Doch für die meisten Spitzensportlerinnen und Spitzensportler ist das Nebenher von Ausbildung und Beruf zur sportlichen Karriere ein geradezu existenzielles Thema.
Seit 2019 besteht am Olympiastützpunkt (OSP) Rheinland-Pfalz/Saarland für junge Talente die Möglichkeit, eine akademische Ausbildung ideal mit einer Leistungssportkarriere zu kombinieren. Der Fokus liegt auf dem Sport, und parallel dazu können sich die jungen Menschen an der Deutschen Hochschule für Prävention & Gesundheitsmanagement (DHfPG) aus- und weiterbilden. Beides geschieht in direkter Nachbarschaft auf dem Campus der Hermann-Neuberger-Sportschule des Landessportverbandes für das Saarland (LSVS) in Saarbrücken.
Sport steht weiter an erster Stelle
„Das Studium läuft weitestgehend digital, was Flexibilität mit sich bringt. Das war ein entscheidender Grund für mich, es genauso zu machen“, sagt beispielsweise Etienne Kinsinger. Der 26-jährige Ringer von Bundesligist KSV Köllerbach und Olympia-Teilnehmer von 2021 in Tokio studiert seit Juni 2022 an der DHfPG, wo er den Master in Sportökonomie anstrebt. Zuvor hatte er an der Universität des Saarlandes den Bachelor-Abschluss in „Wirtschaft und Recht“ gemacht. „Ein anderer wichtiger Aspekt war für mich die Möglichkeit, mich thematisch mehr dem Sport widmen zu können. Die Inhalte sind ähnlich, aber eben sportspezifischer, und das gefällt mir sehr gut“, sagt Sportsoldat Kinsinger und ist dankbar, dass ihm die Bundeswehr diese Art der Ausbildung ermöglicht, bei der „der Sport auch weiterhin an erster Stelle steht.“ Neben Kinsinger profitieren auch weitere Topathletinnen und Athleten wie Stabhochspringer Raphael Holzdeppe und die Badminton-Asse Annabella Jäger, Isabel Lohau und Nils Böning von der Kooperation zwischen OSP und Hochschule. Unterstützt werden sie darüber hinaus von Laufbahn-Beraterin Katharina Jakob.
Über ein solches Angebot hätte sich seinerzeit auch Joachim Tesche gefreut. Der frühere Weltklasse-Badmintonspieler ist mittlerweile der Finanzchef im LSVS-Vorstand und sieht in der Kooperation von OSP und DHfPG einen klaren Standortvorteil: „Auch, dass hier alles auf einem Campus angesiedelt ist, ist einfach großartig. Beide Seiten profitieren auch von einem inhaltlichen Austausch, was man so sicher nicht an vielen anderen Leistungssport-Standorten vorfindet“, betont er und erinnert sich: „Ich war selbst zwei Jahre lang als Sportsoldat Mitglied der Sportfördergruppe Mainz. Die Möglichkeit eines dualen Studiums gab es damals noch nicht. Auch deshalb habe ich die Gruppe nach zwei Jahren wieder verlassen und mich ganz normal in BWL eingeschrieben.“ Damals sei dies „einer der Topstudiengänge für Sportler“, gewesen, weil nicht so sehr auf die Anwesenheit geachtet, sondern mehr Wert auf die Klausurergebnisse gelegt wurde. „Wie auch immer man den Stoff in den Kopf bekommen hat, war egal“, berichtet Tesche.
Bei Etienne Kinsinger läuft es im Master-Studiengang ähnlich. Und das muss es auch: Trainingsumfang und -zeiträume werden bei ihm „zu 100 Prozent“ vom Ringerverband vorgegeben. Um diese Zeiten herum legt sich Kinsinger die Arbeit für sein Studium. „Im Bachelor-Studium war das anders, da hatte ich vorgegebene Präsenzzeiten. Wenn sich das mit einer Trainingseinheit überschnitten hat, hatte ich ein Problem“, erinnert sich der 26-Jährige: „Jetzt ist es fast wie in einem Fernstudium: Mir werden die Unterrichtsmaterialien zugeschickt oder ich kann sie online einsehen und mich ihnen dann widmen, wenn ich die Zeit dazu habe.“ Zwar gebe es auch im aktuellen Studiengang Präsenzveranstaltungen, die man allerdings besuchen kann und nicht muss. „Das ist ein großer Vorteil – insbesondere, wenn ich mich zu den anberaumten Veranstaltungen auf Lehrgängen außerhalb des Saarlandes befinde, das Studium aber trotzdem fortführen kann. Früher hatte ich die Inhalte verpasst“, erklärt Kinsinger. Da die verschiedenen Module nacheinander und nicht gleichzeitig absolviert werden, „kann man sich gut fokussieren und auch die Termine in den Prüfungsphasen flexibel gestalten. Es gibt Zeitfenster, innerhalb derer ich mir quasi aussuchen kann, wann ich die Prüfung ablege. Und das ist vor allem in Phasen mit vielen Wettkämpfen sehr wertvoll.“
Eine Herausforderung ist ein weitgehend selbst zu taktendes Studium aber dennoch: Zwar kennt Kinsinger durch den jahrelangen Leistungssport das Thema Selbstdisziplinierung, trotzdem fällt ihm diese am Schreibtisch nicht immer leicht: „Es ist schon etwas anderes, wenn man sich selbst immer wieder dazu zwingen muss, etwas zu tun. Früher war klar: Von 12 bis 14 Uhr findet die Vorlesung statt, und wenn ich im Saarland war und kein Training hatte, ging ich hin“, sagt er und stellt fest: „Heute sagt mit keiner, dass ich von 12 bis 14 Uhr lernen muss. Das ist schon eine Umstellung, es auch wirklich durchzuziehen.“
Kinsinger möchte im Sportlerkreis bleiben
Dabei helfen die Inhalte seines Studiengangs Sportökonomie. Darin geht es unter anderem um Sportmarketing, als wie als ein Verein oder Verband professionelle Strukturen aufbauen, Sponsoren generieren, Events planen und ganz allgemein besser wirtschaften kann. „Ich habe das als gute Spezialisierung zu dem gesehen, was ich im Bachelorstudium gelernt habe“, sagt Kinsinger, der die Umsetzung einiger der theoretischen Inhalte tagtäglich am Olympiastützpunkt oder beim LSVS beobachten kann. Er kann sich deshalb gut vorstellen, nach seiner aktiven Karriere in einer solchen oder vergleichbaren Organisation tätig zu werden. Dank seiner schon jetzt großen Erfahrung als internationaler Topathlet könnte er auch schon eigene Impulse setzen. „Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich später mal als Trainer arbeiten will. Aber ich würde schon gerne im Sportlerkreis bleiben und dabei mithelfen, den Sport voranzubringen – aber ohne selbst aktiv auf der Matte zu wirken“, sagt Kinsinger.
Bevor es so weit kommt, hat der Ringer allerdings noch viel vor. Ohnehin lautet sein aktueller Job als Sportsoldat: so erfolgreich sein, wie es nur geht. Gelingt Etienne Kinsinger dies, wird er nach Tokio 2021 auch 2024 in Paris an den Olympischen Spielen teilnehmen. Das hätte wiederum Auswirkungen auf sein Studium: „Eigentlich würde es im Sommer 2024 mit dem Abschluss enden“, verrät er, „Aber wenn ich in Paris dabei bin, werde ich einige Module nach hinten verschieben und meinen Abschluss 2025 machen.“ Somit steht der beruflichen Karriere nach einer möglichst erfolgreichen sportlichen nichts mehr im Wege. Ganz ohne das Kleingeld aus einer Laufbahn als Fußballprofi.