Trotz 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr sind signifikante Verbesserungen nicht in Sicht. Die Hilfe für die Ukraine reißt weitere Löcher. Längst steht die Forderung nach 300 Milliarden im Raum.
In der Panzertruppenschule des Heeres im niedersächsischen Munster hat man die Meldung über die Lieferung von 14 Kampfpanzern Leopard 2 aus den Beständen der Bundeswehr an die Ukraine mit Fassung aufgenommen. Bereits während der Diskussion um die Kampfpanzer war klar: Wenn Deutschland den Leopard 2 zeitnah liefern möchte, dann geht das auf Kosten der Ausbildung der Panzersoldaten. Einer, von dem man in der ganzen Diskussion vor und nach der Entscheidung gar nichts hörte, ist Brigadegeneral Björn F. Schulz. Der 55-Jährige leitet die Panzertruppenschule und meidet die Öffentlichkeit. Sein Dienstantritt im Hauptsitz der Panzerausbildung in Munster war sechs Tage vor dem russischen Angriff auf die Ukraine und ihm war damals schon klar, dass da raue Zeiten auf ihn zukommen. Doch dem höchsten deutschen General bei der Panzerausbildung war auch klar: Wer innerhalb der Truppe jetzt aus dem Glied tritt und öffentlich Forderungen formuliert, kann innerhalb des Bundesverteidigungsministeriums nur verlieren. Die damalige Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) war kein Vierteljahr im Amt, da wollte General Schulz nicht unangenehm auffallen. Und es sah ja auch anfangs so aus, als wäre seine Panzer-Ausbildungsbrigade vom Ukraine-Krieg gar nicht weiter betroffen. Lambrecht schickte zunächst mal 5.000 Helme, dazu im ersten Kriegswarenkorb für die Ukraine 116.000 Winterjacken, 80.000 Winterhosen und 240.000 Winterhüte. Schweres Militärgerät war nicht dabei. Doch bereits damals fragten sich viele bei der Bundeswehr – vor allem die im Feld befindlichen Angehörigen von Luftwaffe, Heer und Marine –, woher plötzlich das ganze Material kommen sollte, auf das die Truppe selbst seit Jahren wartet. Die simple Antwort: aus den eigenen Beständen.
Lieferungen aus eigenen Beständen
Spätestens mit der Entscheidung Anfang Januar, der Ukraine 40 Marder-Schützenpanzer zu überstellen, wurde Panzer-General Schulz langsam mulmig zumute. Denn erstens, woher soll das Gerät kommen? Und zweitens: Wer bildet die ukrainischen Soldaten an dem Waffensystem Marder aus?
Das Gerät kommt natürlich wieder aus den eigenen Beständen – und die Ausbildung läuft über das niedersächsische Munster. Fast vier Wochen nach der Marder-Entscheidung sind dann die ersten Auszubildenden aus der Ukraine in der Panzerschule in Norddeutschland eingetroffen. Ihre Lehre auf dem Marder wird vermutlich acht Wochen in Anspruch nehmen. Damit ist der vieldiskutierte Marder aus Deutschland frühestens Anfang April im Kampfgebiet an der russischen Grenze einsatzbereit. Gleichzeitig verdichten sich die Hinweise auf eine geplante russische Großoffensive in diesem Frühjahr.
Zeitgleich mit dem Ausbildungsbeginn der ukrainischen Marder-Panzersoldaten fiel die Entscheidung, nun doch auch noch 14 deutsche Leopard-Kampfpanzer zu schicken. Doch die Ausbildung auf diesem komplizierten taktischen Panzersystem beginnt vermutlich erst Ende Februar. Die Ausbildungszeit für die ukrainischen Panzersoldaten am Leo beträgt ebenfalls mindestens acht Wochen, eher länger, Einsatzbereitschaft der 14 deutschen Schützenpanzer also wohl nicht vor Ende April. Zusätzliche Leopard-Lieferungen aus Deutschland sind geplant. Das Problem für Brigadegeneral Schulz aus dem niedersächsischen Munster: Die ersten 14 Kampfpanzer sollen aus seinen Beständen kommen. Doch wenn diese dann vermutlich Ende April weg sind, womit soll er seine deutschen Rekruten und die ukrainischen Waffenbrüder ausbilden? Laut Rechnung des Heeres würden dann der Panzerschule noch ganze fünf Leopard 2 zur Verfügung stehen. Würde die Bundeswehr die Panzerausbildung im Niedersächsischen mit Fahrzeugen aus den regulären Heeresbeständen auffüllen, so würde das Verteidigungsministerium die Nato-Mindestanforderungen zur Landesverteidigung nicht mehr erfüllen.
Es muss also schnell nachbestellt werden, das ist auch dem neuen Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) klar. Doch da winkt Hersteller Rheinmetall gleich ab. So schnell geht das nicht. In den firmeneigenen Werkhallen stehen zwar gut 140 der Kampfpanzer aus erster und zweiter Generation. Doch um die Leopard 1 und 2, die ausgemustert von der Bundeswehr bei Rheinmetall geparkt wurden, wieder kampffähig zu machen, braucht es angeblich gut ein Jahr. Über die Kosten und vor allem darüber, wer sie trägt, wird in diesem Zusammenhang schon gar nicht mehr gesprochen. Ein entsprechender Auftrag aus dem Verteidigungsministerium ist auch in der Zentrale der Panzerschmiede in Düsseldorf noch gar nicht eingegangen.
Im Verteidigungsministerium (und nicht nur dort) befürchtet man, dass diese Nachbestellungen, die ja nicht nur schweres Gerät betreffen, finanziell über das „Sondervermögen Bundeswehr“ abgewickelt werden, um das Gerät dann unterm Strich an die Ukraine weiterzugeben. Für das Aufmöbeln und damit die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik könnte es also trotz Sondervermögen ein klassisches Nullsummenspiel werden. Alles, was die Truppe dringend braucht, landet zwar vorübergehend in ihren Beständen, aber nur, um es dann gleich in Richtung Osten weitergeleitet zu werden. Dass es dort dringend gebraucht wird, bezweifelt niemand. Nur wird das Sondervermögen kaum für die Doppelaufgabe reichen, nämlich den Nachholbedarf bei der Bundeswehr aufzuholen und gleichzeitig die Ukraine in ihrem Abwehrkampf zu unterstützen.
Einsatz-Desaster noch in den Knochen
Darum fordert der Bundeswehrverband eine Aufstockung des Sondervermögens auf 300 Milliarden Euro. Nur so ließen sich die weiter anstehenden Lieferaufgaben Deutschlands für die Abschreckung der russischen Aggressoren bewerkstelligen, so der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes Wüstner. Die Abschreckung ist das eine, gleichzeitig müssen Heer, Luftwaffe und Marine wieder „kaltstartfähig“ gemacht werden. Das heißt, innerhalb von 48 Stunden müssen alle Waffengattungen auch im eigenen Land einsatz- und verteidigungsfähig sein.
Bundeskanzler Scholz kündigte in der Fragestunde des Deutschen Bundestages an, dass aus den Kreisen der Ukraine-Unterstützerstaaten zwei Bataillone, also weit über einhundert Leoparden an die Ukraine überstellt werden sollen. Die entsprechenden Ausfuhrgenehmigungen sollen umgehend erfolgen. Bei einer Kampfstärke der russischen Armee von nach seriösen Schätzungen über 1.300 Kampfpanzern stellt sich automatisch die Frage, was sie bei diesem Kräfteverhältnis ausrichten können.
Kaum war das deutsche Ja zu den Kampfpanzern gegeben (wann auch immer diese dann tatsächlich im Kriegsgebiet eintreffen werden), wird längst über die Lieferung von Kampfjets und Raketen mittlerer Reichweite diskutiert. Auch hier lehnt Deutschland (Stand Ende Januar) strikt ab. Aus gutem Grund. Der Luftwaffe steckt noch das Einsatz-Desaster von vor 15 Jahren in den Knochen. Von zehn Tornados, die auf Druck der USA ins afghanische Masar-e Scharif verlegt wurden, waren dann ganze zwei einsatzbereit. Sechs Tornados blieben beim Auftanken in Italien und in der Türkei zurück, zwei der Kampfjets mussten als mobile Ersatzteillager für die zwei fliegenden Tornados am Boden bleiben und wurden in der afghanischen Steppe nach und nach ausgeschlachtet. Ausfallquote also: 80 Prozent! Abgesehen vom technischen Debakel stellt sich auch hier für Deutschland wieder die Frage, wie eine Lieferung von Kampfjets an die Ukraine überhaupt finanziert werden sollte. Von der Brisanz der politischen Entscheidung ganz zu schweigen.