In dem kleinen Ort Waldstetten, inmitten des Günztals in Bayerisch-Schwaben, lebt Sandra Müller. Sie beherrscht ein uraltes Handwerk: Aus kleinen runden Scheiben fertigt sie in mühevoller Handarbeit farbenfrohe Kunstwerke, die fast vergessen waren. Doch inzwischen sind sie wieder richtig beliebt: die Posamentenknöpfe.
Das sind meine Schätze“, sagt die Designerin Sandra Müller beim Rundgang in ihrer Werkstatt und zeigt auf Schatullen mit Knöpfen und alten Borten. In den Regalen sind sorgfältig beschriftete Kistchen und Kartons aufgereiht und unendlich viele Schubladen, gefüllt mit bunten Garnen, fertigen Knöpfen und Knopfrohlingen. Die Wände schmücken Heiligenbilder und Familienfotos. Rosa, Orange oder Blau leuchten die figurbetont geschnittenen und gefalteten Röcke, die auf Bügeln hängen. Auf den Schürzen, Schößchenjacken aus Spitze und bunten Kleidern – aus alten Stücken und neuen Stoffen zusammengesetzt und mit filigranen Mustern bestickt – spürt man den Geist der Zeit. Feierabendkappen mit den unterschiedlichsten Verzierungen entwirft ihr Freund, der von ihrer Leidenschaft ebenfalls gefesselt wurde. Im 19. Jahrhundert kannte man diese Feierabendkappen als Hauskappe, Rauchermütze oder Troddelkappe, und sie waren bei den Herren groß in Mode. In Schwaben wurden sie bis ins 20. Jahrhundert zur Rieser Tracht getragen, mit Posamentenknopf und Troddel oder Quaste als Verzierung.
Ihre Kreationen kommen an
Sandra Müller setzt eine Brautkrone auf und ein Lächeln verzaubert ihr Gesicht. Die Krone ist mit klirrenden Kronkorken aus Brauereien behangen. „Meine Familie kommt aus Franken und teilweise aus Hessen. Ich habe in Archiven nachgesehen und mich von historischen Kronen aus beiden Regionen inspirieren lassen, aber anders zusammengestellt.“
Alles ein sehr bunter Auftakt. Das bekommt Sandra Müller öfter zu hören. Sie liebt die Arbeit in ihrer kleinen Werkstatt. Sorgfältig zerlegt sie die festgezurrten Gewandregeln an Blusen, Kleidern und Spenzern, um die Einzelteile zur freien Verfügung für Neues zu haben. Ihre Kreationen kommen an, die 41-Jährige ist viel beschäftigt. Schon als kleines Mädchen staunte sie über ihre Uroma. Diese trug mit der Marburger katholischen Tracht ihr Leben lang eine der letzten regionalen Kleidungsformen Deutschlands. Von ihr bekam sie die ersten originalen Trachtenstücke vererbt, die ihre Begeisterung wachriefen. Während des Volkskundestudiums lernte sie mit den „Kreeweibla“ des Forchheimer Landes eine weitere damals noch lebendige Tracht kennen, die sie wegen der Farbenfreude faszinierte. „Ich wollte das Handwerk neu erleben, erlernte die Trachtenschneiderei bei der schwäbischen Trachtenkulturberatung.“ Über die Jahre ist sie immer tiefer in die Kunst des Erfindens eingetaucht. Wenn Sandra Müller ein Erbstück neu ausrichtet, tut sie das mit viel Gespür. Die Nähte werden vorsichtig gelöst. Die Künstlerin arbeitet sich im wahrsten Sinne des Wortes Stich für Stich durch das Kleid oder den Rock und variiert Stoffe und Besätze. Sie kann nicht sagen, wie lange sie dazu braucht. Auf alle Fälle viele Stunden.
Während ihrer Recherche entdeckte sie die Posamentenknöpfe und ihr buntes Potenzial. Aus ihrer Selbstständigkeit als Trachtendesignerin hatte sie bereits viel Erfahrung und gründete 2015 die Posamentenknopf-Manufaktur. Sie erprobte verschiedene Wege, die komplexe Handwerkstechnik auf einfache Art zu erklären, und entwickelte ein eigenes Lehrsystem für Posamentenknöpfe. Seit 2010 gibt sie Knopfmacher-Kurse. Wenn sie sich konzentriert über einen Knopfrohling beugt, um mit dem Umwickeln zu beginnen, lässt sie mit jeder neuen Garnfarbe unterschiedliche Muster entstehen. Egal, ob es ein Sternen-Zwirnknopf, der Ottobeurer oder der Rokoko-Klassiker-Knopf ist: Sie beherrscht alle in Perfektion.
In alten Schriften und auf ihrer Website ist festgehalten, dass Posamentenknöpfe, die auch gewickelte oder umsponnene Knöpfe genannt werden, im 18. Jahrhundert sehr beliebt waren. Sie blieben auf verschiedenen Trachten erhalten, zum Beispiel in der hessischen Schwalm, im schwäbischen Ries, im Forchheimer Land oder in Mittelfranken, ebenso im norddeutschen Raum, in England und den Niederlanden. Knopfmacher war ein Beruf, der in Konkurrenz zum Posamentierer stand. Mit Aufkommen der Metallknöpfe schwand die Beliebtheit der Posamentenknöpfe. Das Handwerk wurde schließlich vom Posamentenmacher mit übernommen, bis es fast ganz in Vergessenheit geriet.
Die Knöpfe waren im 18. Jahrhundert beliebt
Wie man die kleinen Schönheiten mit Nadel und bunten Fäden herstellt, zeigt Sandra Müller während eines Workshops. Die rechte Hand hält eine Nadel mit rotem Faden, der außen um den Knopfrohling geführt wird. Sie erklärt, dass man den Faden nicht so stark spannen darf, zu wenig Spannung ist auch nicht gut, da verrutscht der Faden. Man braucht anfangs schon viel Geduld. „Üben, üben, üben“, macht sie denjenigen Mut, die noch nicht über die notwendige Fingerfertigkeit verfügen.
Zwischen ihren Fingern entstehen bunte Kunstwerke: Wagenräder, Sterne, Vierecke und Dreiecke mit Blüten oder Muster, die wie Augen aussehen oder in die kleine Perlen eingestickt sind. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Sie empfiehlt die Posamentenknöpfe vor allem zur Zierde an Kleidungsstücken. Außerdem lassen sich die edlen Knöpfe zu Broschen oder Halsketten oder Ohrringen weiter verarbeiten. Sie schätzt am Knopfmachen, dass es keine teure Ausrüstung braucht. „Alles was ich für das Herstellen der Knöpfe brauche, packe ich in eine Schachtel und nehme es überall mit hin.“ Zu ihren Workshops kommen Leute aus Deutschland und Österreich, der Schweiz und den Niederlanden. „Einige meiner ehemaligen Schülerinnen geben inzwischen selbst Kurse, andere gehen ihren Weg im Kunsthandwerk und wieder andere knopfeln nur für sich.“ Im Internet kann man verfolgen, wie mit den kreativen Knopf-Fans von heute neue Muster und Technik-Kombinationen entstehen und wie sich die Menschen gegenseitig inspirieren. Es bewegt sich was rund um die Knöpfe. „Wir haben es wohl tatsächlich geschafft, ein altes Handwerk wieder zum Leben zu erwecken!“, ist sich Sandra sicher.
Und hat die Trachtenschneiderin und Knopfmacherin etwas freie Zeit, dann fährt sie mit dem Fahrrad zum Ufer des Günzstausees. „Ich schaue mich aufmerksam um, achte darauf, was die Leute anhaben, welche Farbkombination sie gewählt haben. Ich bin immer kreativ. Auch außerhalb meiner Werkstatt.“