Ein Jahr wird sie nun demnächst alt, die „Zeitenwende“, die Antwort auf die „militärische Spezialoperation“, die in Russland nach wie vor nicht Krieg genannt werden darf. An die babylonische Sprachverwirrung haben wir uns gewöhnt. Das charakterisiert vielleicht am deutlichsten, wie sich die Zeiten wenden. Die Debatte um Panzerlieferungen war noch nicht beendet, da wurde schon über Flugzeuge und U-Boote diskutiert. Und über „rote Linien“, die nach Ansicht mancher Protagonisten nicht gezogen werden sollten. Wäre das vor einem Jahr denkbar gewesen? Die Logik des Krieges hat einiges geändert.
„Zeitenwende“ – zu Recht das Wort des Jahres 2022. Und was wird das Wort des Jahres 2023?
Wird es ein Wort sein, das Perspektiven beschreibt, wie die Zeit nach diesem Krieg aussehen könnte? Eine Zeit, in der die vor dem Krieg Geflüchteten zurückkehren, um am Wiederaufbau zerstörter Häuser, Dörfer, Städte mitarbeiten zu können. In eine Heimat, die sie in weiten Teilen nicht mehr wiedererkennen werden. Nach wie vor sagen die allermeisten, dass sie das möchten, auch wenn ihre Kinder hier schon lange in Kita und Schule neue Freunde gefunden haben.
Die Ukraine wird, wenn auch nicht sofort, Mitglied der EU – sofern sie den Abwehrkampf erfolgreich besteht, mit unserer Hilfe. Vor dem Krieg wären ihre Chancen dazu nicht besonders groß gewesen. Das Land steht vor einem langen Reformweg. Inzwischen sieht vieles anders aus, dennoch bleiben große Aufgaben. Menschen, die bis dahin bei uns Aufnahme gefunden haben, können dabei so etwas wie Botschafter sein. Sie werden ihre Erfahrungen mitnehmen. Welche das sind, hängt wesentlich von uns ab.
Im Saarland läuft das bislang einmal mehr recht gut. Mit kritischen Fragen zum Containerdorf in Ensdorf befasst sich der zuständige Landtagsausschuss. Es gibt keine (gewalttätigen)Protestzüge zur Verhinderung.
Trotzdem sind Kommunen, Schulen und Einrichtungen an den Grenzen ihrer Möglichkeiten, brauchen dringend mehr Hilfe. Und dass es durch den (berechtigten) Sonderstatus für Ukraineflüchtlinge eine Zwei-Klassen-Gesellschaft unter Geflüchteten gibt, wird zunehmend problematisch.
Dass deshalb jemand Änderungen und eine Verdreifachung der Mittel wie beim „Sondervermögen“ für die Bundeswehr gefordert hätte, ist mir bislang nicht aufgefallen. Das wäre eine Zeitenwende der anderen Art.