Mit Verführung oder Erotik-Fummel haben die neuen Korsetts nichts am Hut. Vielmehr sollen sie als Fashion-Accessoire über der Kleidung getragen werden.
Kim Kardashian, bestenfalls It-Girl, Queen der Klatschspalten oder Instagram-Junkie, mit Caterina de’ Medici, als Königin von Frankreich dereinst eine der intelligentesten und mächtigsten Frauengestalten der Geschichte, zu vergleichen, das dürfte ein ungläubiges Kopfschütteln verursachen. Und doch versuchte die britische Tageszeitung „The Guardian“ jüngst nachzuweisen, dass beide Ladys in Sachen Mode einiges gemeinsam haben. Vor allem ihre Vorliebe für das Korsett, für die Wespentaille. Der Legende nach soll die gebürtige Florentinerin von ihren Hofdamen im späten 16. Jahrhundert verlangt haben, ihre Taille auf 13 Zoll einzuschnüren. Ein unglaubliches Maß, umgerechnet irgendwo zwischen 30 und 39 Zentimetern anzusiedeln. Eigentlich unmöglich, da mit den ersten versteiften Miederexemplaren der Renaissance textiltechnisch kaum bereits Werte wie bei der heutigen Rekordhalterin Cathie Jung erzielt werden konnten. Die US-Amerikanerin schaffte mit Hilfe eines Sanduhrkorsetts 38 Zentimeter. Caterina stieg jedenfalls, abseits des spanischen Hofes, der damals in Sachen Mode eigentlich den Ton angab, zu einer frühen Fashion-Ikone auf und sorgte vor allem dafür, dass für alle aristokratischen Damen am Korsett für lange Zeit kein Weg mehr vorbeiführte.
Kim Kardashian sei es zu verdanken, so schrieb der „Guardian“, dass dieser Tage das lange verschwundene Kleidungsstück wieder salonfähig geworden sei. Auch die „Vogue“ sprach von einem „Kim Kardashian West effect“. Allerdings in einer anderen Funktion. Nicht mehr als sexy, reichlich Haut freilassendes Teilchen zu ultratief sitzenden Jeans wie um die Jahrtausendwende bei Christina Aguilera, sondern als züchtiges, dekoratives Oberteil, das fast schon Accessoire-Charakter hat. Von Unterwäsche als Oberbekleidung kann dabei kaum mehr gesprochen werden. Die Mehrzahl der neuen Korsetts, die von einigen Labeln mit Prada an der Spitze diesen Winter in ihren Kollektionen präsentiert werden, sollen nicht mehr zur einschnürenden Figurkorrektur dienen, sondern nur noch lässig-cooles Outfit-Beiwerk darstellen. Mit lockeren Bändern oder Schnüren über allem Möglichen drapiert, bei Prada werden sie sogar wie Riesengürtel über Mänteln getragen.
Die neuen Modelle sind weniger einengend
Kim Kardashian hatte das Korsett-Revival bereits 2014 eingeleitet. Auf Instagram postete sie Fotos, auf denen sie ihren durch einen Waist-Trainer eingeschnürten Body im Fitnessstudio präsentierte. Die unmissverständliche Botschaft: Mithilfe des Korsetts lässt sich eine Wespentaille erzielen. Wenig später bekannten sich auch Schwesterchen Khloé Kardashian, Amber Rose, Kim Zolciak-Biermann oder Nicki Minaj in den sozialen Medien als Fans dieser vermeintlich sicheren Erfolg versprechenden Zauber-Diät. Jessica Alba behauptete gar, dass sie nach den Geburten ihrer beiden Kinder nicht nur einen, sondern sogar zwei dieser Waist-Trimmer-Gürtel trug: „Es war brutal und ist sicher nichts für jeden. Ich trug drei Monate lang, Tag und Nacht, ein doppeltes Korsett. Es war anstrengend, aber es hat sich gelohnt.“
Glauben macht selig, kann dazu eigentlich nur gesagt werden. Denn nicht nur Korsett-Profi Dita von Teese bezweifelt die Wirksamkeit der Abnehmkur mittels eines Waist-Trainers, sondern auch Mediziner oder Ernährungswissenschaftler können keinen positiven Effekt erkennen. Ohne sportliche Unterstützung kann das enge Umschnallen des Korsetts schlimmstenfalls zu Verletzungen von Rippen oder Organen führen. Dabei ist Gewichtsabnahme ausgeschlossen, weil das Fett durch das Zusammenpressen nicht einfach verschwindet, geschweige denn wegschmilzt, wie es einige Frauenmagazine unkritisch berichtet hatten, sondern sich in der Körpermitte nur etwas anders verteilt. Auch die Kombination mit einem Work-out halten die Experten für problematisch, weil die Bewegungsfreiheit durch das Fitnesskorsett eingeschränkt wird und daher leicht Verletzungen entstehen können. Daher war es lobenswert, dass die „Teen Vogue“, die Teenager-Ausgabe des Renommier-Magazins, ihren jungen Leserinnen vor einigen Monaten klar gemacht hatte, dass Waist-Trainer völlig überflüssig und gesundheitsschädlich sind: „Waist training is a total waste“ („Training für die Taille ist sinnlos“).
Dennoch scheinen verschiedene Designer ganz aufmerksam das wieder aufflammende Interesse an Korsetts oder auch an Korsagen, die deutlich weniger Atmennot verursachen, weil sie weniger einengen, verfolgt zu haben. Bei Olivier Rousteing, dem Balmain-Chef, mag das kaum überraschen. Schließlich ist er seit Jahren mit Kim Kardashian ganz eng befreundet. Daher hat er deren ungewöhnliche Kurvengestaltung und Körper-Silhouette als Vorlage für den Korsett-Schnitt seiner aktuellen Winter-Kollektion genommen. Rousteings Kreationen waren auch neben einigen Entwürfen von Preen by Thorton Bregazzi oder Shiatzy Chen mit die einzigen, die noch relativ deutlich an figurbetonte Unterwäsche erinnert haben, auch wenn die Korsetts natürlich auch bei Balmain über Blusen oder Pullovern getragen wurden. Jean Paul Gaultier, der mit seinem legendären Korsett für Madonna 1990 für Furore gesorgt hatte, dürften diese sicherlich gefallen haben.
Passend zum aktuellen „Wäsche-drüber-Trend“
Weitaus alltagstauglicher als bei Balmain war die accessoireähnliche Neuinterpretation des Korsetts bei den anderen Brands. „Denn ab jetzt wird das Korsett“, so „Harper’s Bazaar“, „nicht mehr züchtig und streng geschnürt unter mehreren Lagen Stoff versteckt, sondern deutlich sichtbar getragen.“ Als Paradebeispiel wurde Prada zitiert, weil Miuccia Prada das Korsett nicht als unbequemes Modediktat verwendet habe, sondern zur Betonung einer lässigen „Nonchalance gepaart mit weiblicher Stärke“. Die Frage mag sich aufdrängen, ob die Fashionwelt unbedingt ein solches zusätzliches Accessoire gebraucht hat. Miuccia Prada scheint das jedenfalls zu glauben. Denn wie anders wäre es sonst zu erklären, dass in der Vorweihnachtszeit 2016 selbst in den Outlet-Filialen des Nobellabels, beispielsweise im niederländischen Roermond, nur Fotos von Models mit verschiedenen, weißen Korsettvarianten zu sehen waren, die ebenso wie einige Umsetzungen aus Denim oder Strick locker über Military-Mäntel, Jacken, Kleider oder Blusen arrangiert waren. Mal fast wie übergroße, von Schleifen zusammengehaltene Gürtel wirkend, mal Richtung Brust mit einer zusätzlichen Spitzen-Verlängerung aufwartend. „Miuccia Prada takes back the Corset“, titelte denn auch die „Vogue“.
Für diese Titelzeile der „Vogue“ wäre fraglos auch Victoria Beckham mit ihrem Label bestens geeignet und geradezu prädestiniert gewesen. Schließlich ist die persönliche Vorliebe des ehemaligen Spice Girls für Korsetts hinlänglich bekannt. Uns gefallen Victoria Beckhams Korsettlösungen besser, weil sie kaum wie ein Accessoire, sondern eher wie ein normales Kleidungsstück, das an ein Bustier erinnert, wirken. Zusätzlich überrascht die ungewöhnliche Material- und Musterwahl, Jacquard, Prince of Wales oder Hahnentritt. Originell auch die Strickwaren, bei denen die Brust farblich mit einem Bustier-Inlay hervorgehoben wird.
Ganz dekorative Korsett-Auflagen hat beispielsweise Loewe in seinem aktuellen Sortiment. Sie schmiegen sich wie eine kleine Rüstung an den Körper, können aber auch als pfiffige Gürtellösungen in Gold oder Schwarz bestens durchgehen. Bei Veronique Leroy haben die Korsetts dagegen eher die Gestalt von Volants, die im Sommer 2016 bei einigen Labels wie Jill Stuart, Jason Wu oder Mara Hoffman sehr angesagt waren. Leichten Fetisch-Touch haben die Bustier-Oberteile aus Lackleder von Nicolas Ghesquières bei Louis Vuitton (getragen allerdings über unkomplizierten Midi-Kleidern). Sogar etwas Bondage-Feeling vermitteln Moschinos schwarze Lederteile. Des Weiteren gibt es neue Korsett-Pieces in den aktuellen Kollektionen von Ellery, Alexander McQueen, Tome, Joseph, Frédéric Charlier, Chromat, Puma By Rihanna, Jonathan Simkhai oder Brock. Diese dürften allesamt garantiert auch Promi-Ladys gefallen, die sich in jüngster Zeit auf dem roten Teppich mit darüber getragenem Korsett präsentiert hatten – von Kendall Jenner oder Chiara Ferragni über Emma Stone oder Rihanna bis hin zu Gigi Hadid oder Sarah Jessica Parker.