Rainer Koch läuft und läuft und läuft. Der 36-Jährige ist Ultraläufer und durchquert in Tausenden von Kilometern halbe Kontinente. Unter anderem gewann er den Transamerika- und den Transeuropalauf. Beim Jogle Ultra in Großbritannien war er am Ende ganz allein.
Zum neunten Geburtstag wünschte sich Rainer Koch ein ganz besonderes Geschenk: Er wollte an einer Marathon-Wanderung teilnehmen. Heute ist der inzwischen 36-Jährige fast jedes Wochenende unterwegs. Allerdings wandert er nicht mehr, sondern er läuft. Und die Marathonstrecke – 42,2 Kilometer – ist ihm inzwischen zu kurz. „An einen Marathonlauf hänge ich meist noch mindestens 20 Kilometer dran“, berichtet er. Der Unterfranke aus Dettelbach bei Würzburg ist Ultra-läufer, trainiert fast jedes Wochenende und ist spezialisiert auf Strecken, die deutlich über die Marathon-Distanz hinausgehen. Wenn der Elektroingenieur, der sich mit Sensordatenverarbeitung in der mobilen Robotik befasst und in den vergangenen Jahren auch an einer Promotion gearbeitet hat, genug Urlaub dafür zusammensparen kann, ist er gerne wochen- und monatelang unterwegs.
Etwa beim Transamerikalauf von Los Angeles nach New York. 5.140 Kilometer, aufgeteilt auf Tagesetappen von im Schnitt 74 Kilometern. Rainer Koch war dabei gut 90 Stunden schneller am Ziel als der Zweitplatzierte. Einen Transeuropalauf hat der Unterfranke ebenfalls bereits gewonnen, dabei joggte er 4.485 Kilometer von Bari in Italien zum Nordkap, erlebte in dieser Zeit Sand- und Schneestürme. Damit ist Rainer Koch derzeit der weltweit einzige Ultraläufer, der gleich zwei Transkontinentalläufe gewonnen hat.
Dazu kommen „kleinere“ Etappenläufe, bei denen Rainer Koch ebenfalls schon mehrmals als Erster am Ziel ankam. Beim La Transe Gaule im Jahr 2002 lief Koch mehr als 1.100 Kilometer durch Frankreich, die Tagesabschnitte auf dem Weg vom Ärmelkanal bis zum Mittelmeer lagen meist zwischen 60 und 70 Kilometer. Den Deutschlandlauf von Rügen nach Lörrach gewann Koch dann im Jahr 2005 ebenfalls.
Beim Jogle Ultra, einer Nord-Süd-Route durch Großbritannien, rannte Koch im Schnitt sogar 90 Kilometer pro Tag – und war der einzige Teilnehmer, der den Lauf im Jahr 2012 komplett schaffte. „Nach einer Woche war ich eigentlich nur noch alleine im Rennen, das macht dann nicht mehr so viel Spaß, denn eigentlich ist es bei den Ultraläufen eher so, dass man wie mit einer Familie unterwegs ist – sodass jeder auch jedem hilft“, erläutert Koch, der seinen nächsten Etappenlauf im November geplant hat. Beim „7Emirates Run“, der am 18. November in Abu Dhabi beginnt und der durch Abu Dhabi über Dubai, Sharjah, Ajman, Umm Al Quwain, Ras Al Khaimah und Fujairah nach Hatta in Dubai führt, sind die Tagesetappen im Schnitt etwas über 70 Kilometer lang. „Die Temperaturen dürften dort um diese Jahreszeit zwischen 25 und 30 Grad sein, das liegt mir, ich habe es lieber, wenn es warm ist, im Regen und bei Kälte laufe ich nicht so gerne“, gesteht Koch, der sich besonders freut, dass mit dem Lauf auch eine Stiftung unterstützt wird, die gehbehinderten Kindern ärztliche Hilfe zukommen lässt.
70 bis 80 Kilometer am Tag – etwa zehn Wochen lang
Langstreckenlaufen, so gesteht Koch, ist für ihn eine Art Sucht. Er bekommt dabei den Kopf frei und kann Natur und Landschaft genießen. Am Anfang eines Laufes, so verrät er, bremst er seine Euphorie ganz bewusst, um sich nicht zu sehr zu verausgaben. „Gleichmäßigkeit und Ruhe sind wichtig. Man muss auf den eigenen Körper achten und mit seinen Kräften haushalten“, erklärt Koch. Was nicht heißt, dass Koch langsam läuft: Beim Transeuropalauf lag seine Durchschnittsgeschwindigkeit bei fast zwölf Stundenkilometern, beim Transamerikalauf waren es mehr als zehn Stundenkilometer. Sechs Paar Laufschuhe hat er in den 70 Tagen Amerika verschlissen und pro Tag zwischen zwölf und 16 Liter Flüssigkeit zu sich genommen.
„Bei solchen Läufen muss man jeden Morgen um fünf Uhr aufstehen, frühstücken und dann 70 bis 80 Kilometer laufen – und das etwa zehn Wochen lang.“ Dafür brauchte er Ehrgeiz und eisernen Willen. „Während der letzten Tage des Transamerikalaufs hat es geregnet, und es gab orkanartige Böen, – aber wenn man sein Ziel vor Augen hat, dann geht das“, versichert der Unterfranke. Wer zu Fuß durch Amerika läuft, der wird natürlich zwangsläufig auch auf Forrest Gump angesprochen. „Für mich ist das ein sehr schöner Film. Die Ruhe und Gelassenheit, die Forrest Gump ausstrahlt, die gefallen mir gut“, gesteht Koch.
Die wohl längste Strecke, die Koch nahezu ohne Unterbrechung am Stück gelaufen ist, war ein 245-Kilometer-Lauf von Sparta nach Athen. An diesem Spartathlon hat Koch dreimal teilgenommen. „Zweimal habe ich die gesamte Strecke geschafft, beim dritten Mal hatte ich Muskel- und Magenprobleme und musste aufhören.“ Wenn man 245 Kilometer unterwegs ist und 28 oder 35 Stunden nahezu ununterbrochen läuft, ist die Tagesform viel entscheidender, als wenn man zehn Wochen unterwegs ist, berichtet der Unterfranke. Seine Spezialität sind eher die Läufe, bei denen er mindestens vierzehn Tage am Stück unterwegs ist. „Wer über Wochen lange Strecken läuft, muss nicht nur fit sein, sondern seine Kräfte auch richtig einschätzen und einteilen“, weiß er.
Der Sieg ist
für ihn nicht das primäre Ziel
Die ersten Etappen eines Langstreckenlaufs etwas langsamer anzugehen und sich dabei noch zu trainieren, sodass man gegen Ende zulegen kann – diese Strategie hat sich für Rainer Koch bewährt. „Die ersten ein, zwei Wochen sind am kritischsten, der Körper muss sich noch daran gewöhnen. Und es besteht die Gefahr, dass man aus der Euphorie heraus zu schnell startet“, erläutert Koch. „Die Sehnen werden während eines Laufes stark beansprucht, und sie gewöhnen sich meist langsamer an die Strapazen als die Muskulatur“, berichtet er weiter. Wenn kleine Probleme auftreten, davon ist Rainer Koch überzeugt, sollte man diese immer gleich behandeln – bevor daraus ein großes Problem wird und der Lauf vielleicht abgebrochen werden muss. Doch nicht nur der Körper, auch der Kopf spielt bei einem Langstreckenlauf eine wichtige Rolle. Auch wenn Koch fast alle längeren Etappenläufe, an denen er bisher teilgenommen hat, gewonnen hat, und im vergangenen Jahr beim Baltic Run, einen Fünf-Etappen-Lauf von Berlin nach Usedom, den zweiten Platz gemacht hat, ist der Sieg für ihn nicht das primäre Ziel. „Es ist nicht immer das Wichtigste, den ersten Platz zu erlaufen, für mich kommt es mehr darauf an, die Strecke in einer für mich guten Zeit zu schaffen. Ich laufe nicht gegen die anderen, sondern gegen mich selbst. Sich vorzunehmen, Erster zu werden, bringt wenig, denn wenn man sich zu früh verausgabt, weil man auf die Platzierung schaut, dann steigt das Risiko, dass man sich überbeansprucht und dann vielleicht sogar rausfliegt“, weiß Koch.
Wenn er trainiert, dann nimmt er häufig an IVV-Wandertagen teil – oder er sucht sich eine abwechslungsreiche IVV-Permanentstrecke. „Wenn man auf der Straße läuft, ist das zwar mit einer geringeren Verletzungsgefahr verbunden, aber kleine Waldpfade machen mir deutlich mehr Spaß“, verrät der Unterfranke, der häufig im Hunsrück, im Westerwald oder in der Fränkischen Schweiz trainiert. Seine Ehefrau Wanyi begleitet ihn zu vielen der Trainings, sie wandert oder joggt dabei einfach in ihrem eigenen Tempo. „Ich bin etwa doppelt so schnell. In der Zeit, in der sie eine Runde dreht, mache ich dann einfach zwei“, erläutert Rainer Koch. Das Training sieht er nicht als explizite Vorbereitung auf den nächsten Etappen- oder Transkontinentallauf, es geht ihm darum, sein Grundlevel zu halten. Zudem, so versichert er, ist das Laufen auch ein optimaler Ausgleich zur Kopf- und Computerarbeit während seiner Promotion: „Ich denke dabei über Sachen nach und überlege, wie man sie angehen könnte. Dadurch arbeite ich im Kopf schon vor – und wenn ich am Montag dann wieder am PC sitze, bin ich dadurch effektiver.“
In Zukunft möchte er gerne rund um Taiwan, quer durch Australien, durch Afrika, Asien oder durch Südamerika laufen. Doch solche Langstreckenläufe werden selten organisiert, und nicht immer hat Koch dafür Zeit und Geld. „Für den Transamerikalauf im Jahr 2011 habe ich drei Monate Urlaub genommen, die Teilnahme hat mich insgesamt etwa 17.000 Euro gekostet, für den Transeuropalauf im Jahr 2009 habe ich 9.000 Euro ausgegeben, das hat man nicht so nebenbei auf der hohen Kante“, berichtet Koch. Doch der 36-Jährige sieht dies gelassen. „Für einen Ultraläufer“, sagt er, „bin ich noch sehr jung, die meisten Läufer sind zwischen 35 und 40, wenn sie von kürzeren Strecken auf die Ultra-Langstrecken umschwenken.“
Der Dettelbacher war 20 Jahre jünger, als er mit den langen Strecken begann – bereits mit 16 absolvierte der konditionsstarke Franke seine erste 100-Kilometer-Strecke.