Es gibt sie doch noch, auch in Berlin: die guten Handwerksbäckereien, die nach althergebrachter Tradition Brot backen. Mehl, Wasser und Salz – mehr braucht es nicht. Zusatzstoffe, Konservierungsmittel und Ähnliches sind hier tabu.
Eigentlich ist es ganz einfach. Mehl, Wasser, Salz. Aus diesen drei Zutaten entsteht ein Brot. Bakterien schaffen den Sauerteig, aus Vorteig wird Teig. Gewürze, Körner, Nüsse in den Teig. Schon gibt’s ein etwas ausgefeilteres Brot. Backen, ruhen lassen. Handwerkliches Können gehört ebenso dazu: das Wissen um die richtige Dosierung, um Timing, Teigführung, Geschmack, Geruch und Haptik. Luftfeuchtigkeit, Wetter und Temperatur beeinflussen das Ergebnis ebenfalls. So einfach und doch so komplex ist die Kunst des Brotbackens. Zusatzstoffe, Konservierungsmittel oder anderes „Doping mit Pülverchen“, wie es auf der Webseite von „Domberger Brot-Werk“ steht, braucht es nicht, um schmackhaftes Backwerk zu erzeugen.
Dem handwerklichen Backen, beinah wie früher, haben sich einige Bäcker in Berlin verschrieben. Michael Köser ist einer von ihnen. Sie stehen mit Können, Konsequenz und ihrer Liebe zum guten Produkt dafür ein. Ganz unspektakulär im Rixdorfer Kiez produzieren Köser und seine acht Mitarbeiterinnen montags bis samstags in der offen einsehbaren „Køniglichen Backstube“. Brote wie eine aufwendige „Hirsekrone“, Mais-Walnussbrot oder klassisches Krustenbrot verlassen nach einem im Netz oder auf einer Tafel einsehbaren „Brotplan“ ab 9 Uhr die Öfen. Zimtschnecken, Himbeerschnitten, „Kopenhagener“ und Rosinenbrötchen decken die süße Seite des Lebens ab. Sie verweisen ebenfalls auf die dänische Backkunst, die der Chef drei Jahre vor Ort praktizierte und nach Berlin mit zurückbrachte. Im Juni 2016 eröffnete Michael Köser seine „Kønigliche Backstube“. Es wird im Zeichen der gekrönten Brezel gebacken, die über dem Eingang hängt. Mit dem altertümlich anmutenden Namen und der dänischen Schreibweise des „ö“ bezieht er sich auf ein traditionelles Handwerksverständnis und auf die Zeit in Dänemark.
Einfach und bodenständig sollen seine Brote sein, raffiniert sind sie zudem. Etwa die handwerklich aufwendigen „Kronen“-Brote mit Hafer oder Hirse. Oder die „Boller“-Brötchen oder ein Mais-Walnuss-Brot, das eine weiche, milde Süße in sich trägt. „Helle Sachen produziere ich am Vortag“, sagt Michael Köser, der seinen Beruf einst in Opas Backstube im sauerländischen Halver erlernte und sich zum Backtechniker weiterbildete. Ab 7 Uhr morgens werden die Stücke abgebacken. Das hat nicht nur für den Chef Vorteile, der sich vorgenommen hatte, nicht mehr nachts zu arbeiten. Sondern auch für den Teig und den Geschmack: „Die Eiweiße werden durch die lange Liegezeit besser aufgeschlossen. Die Brote sind bekömmlicher, und es werden mehr Aromastoffe freigesetzt“, erklärt der 52-Jährige.
Dieser neuen Einfachheit hat sich auch Florian Domberger verschrieben. „Vor drei Jahren konnte ich noch nicht backen und arbeitete in einem großen Unternehmen“, sagt der 50-Jährige. Der studierte Verkehrsbetriebswirt machte in Australien seinen MBA und beschloss, in Deutschland eigenes Brot in einer eigenen Bäckerei herzustellen. Für dieses ambitionierte Vorhaben fand er Unterstützung bei Bäckermeister Björn Wiese. Bei ihm lernte er in Eberswalde das Brotbacken als Praktikant von der Pike auf. Der Plan ging auf. Seit Oktober 2016 gibt es das „Domberger Brot-Werk“ in Moabit. Mit Björn Wiese zusammen betreibt Domberger auch die „Mobile Bäckerei“, eine ehemalige Feldbäckerei aus der Schweizer Armee. Mit dem „Brotwüstenexpeditionsfahrzeug“ bringen sie Brot in kulinarische Einöden. Oder auf Food-Festivals und Events, auf denen sie vor Ort „Beute-Brot“ und ein Roggen-Dinkel-Brot backen.
Ralf Tschentscher kommt mit einem halbierten „Beute-Brot“ in der Hand heran, beratschlagt sich mit Domberger. „Die Porung ist schon gut, aber es könnte noch ein wenig höher sein“, sagt der Bäcker. Der erste Schwung, der an diesem Tag aus dem Ofen kam, war etwas zu flach geraten. Nach einem Schädlingsbefall musste kurzfristig das Mehl gewechselt werden – jedes reagiert anders, wie sich jetzt zeigt.
„Das Volumen ist noch nicht so gut.“ Das Brot wird dennoch gekauft. Die Kunden im Laden erfahren oder wissen ebenso, dass Brot ein lebendiges Produkt ist, das mit viel Fingerspitzengefühl produziert wird und dessen Gelingen vom Zusammenspiel vieler Faktoren abhängt. „Unsere Kreativität setzt am Produktionsprozess an, nicht am Material“, erklärt Florian Domberger seinen Ansatz. „Wir können aus sehr wenigen Materialien durch den Katalysator Mensch eine große Produktvielfalt erzeugen.“ Im „Brot-Werk“ arbeiten nicht nur gelernte Bäcker, die nicht mehr tief in der Nacht mit der Arbeit anfangen möchten. Sondern es kommen ebenfalls die Quereinsteiger, die Kreativität ins Handwerk hineintragen. So wie Florian Domberger selbst. „Leute mit Motivation zu bekommen, ist die große Herausforderung“, weiß er. „Wir hoffen, dass unsere Leute bleiben, wenn sie aus eigenem Interesse kommen.“ Das scheint zu klappen: Sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind im Team.
Mobile Bäckerei für die kulinarische Einöde
Um 6 Uhr startet der Arbeitstag. Um allein das „Beute-Brot“, ein Weizenbrot mit Dinkel-Vollkornanteil im Stil französischer Landbrote, selbstständig und korrekt backen zu lernen, brauche es zwei bis vier Wochen, erzählt Domberger. Sensorik spielt eine große Rolle. „Man muss immer wieder anfassen, riechen und schmecken“, sagt der gebürtige Augsburger. „Das dauert halt.“ Das „Beute-Brot“ ist, wie alle anderen im „Brot-Werk“, ein frei geschobenes Brot. Es wird nicht in einer Form gebacken, sondern von Hand geformt. Drei Stunden lang wird der Teig immer wieder gefaltet – nicht geknetet.
Auch in Moabit können sich die Aromen in der Teigruhe über Nacht richtig entfalten. Vier Stapel Mehle – Roggenschrot, Vollkornroggen, Dinkelvollkorn und Weizen 550er Auszugsmehl – lagern in einer Ecke. Sie reichen für alles. Im „Brot-Werk“ wird ausschließlich mit Bio-Mehlen gearbeitet, aber auf eine – nicht preiswerte – Zertifizierung verzichtet. So hält es auch Kollege Michael Köser in Neukölln: „Ich biete lieber mein Brot günstiger an“. Das Krustenbrot für 3,80 Euro im Kilo etwa. Die 750-Gramm-Brote kosten zwischen 3,30 und 3,80 Euro. Im „Brot-Werk“ liegen die Brote bei 4,50 Euro für 750 Gramm. Für die Brötchen sind bei Köser 55 Cent, für die Semmeln bei Domberger 80 Cent zu zahlen. Dafür wiegen sie ordentlich was und sind keine aufgeblasene Berliner Luft.
„Wir kommen mit insgesamt 20 Rohmaterialien aus“, erzählt Florian Domberger. Zucker und Eier gehören in die wechselnden Obstblechkuchen oder den „Uckermärkischen Zuckerkuchen“. In ihn darf ausnahmsweise ein Prozent Hefe mit hinein. In die Brote nicht. Das mag der Chef nämlich nicht: „Was mir nicht schmeckt, das gibt’s nicht.“ Die Kunden teilen seinen Geschmack – während wir uns auf der Terrasse unterhalten, herrscht reger Betrieb. Wer Hunger hat, lässt sich eine Scheibe Brot abschneiden und isst eine frisch bestrichene Stulle.
„Bei uns gibt es keinen Kaffee to go“
Vanessa See, Florian Dombergers Frau, wacht über Brote und Brötchen, Croissants und Kuchen. Sie verkauft und serviert Stullen, Kuchen und Kaffee. „Das Wichtigste ist das, was im Regal liegt“, sagt Florian Domberger. Brotlaibe und Brötchen sind die Stars; einen regelrechten Café-Betrieb wird es nicht geben. Auf „das Wichtigste“ schauen auch Fachbesucher interessiert. „Ein fränkischer Bäcker hat von unseren Brezeln geschwärmt“, erzählt er. Sie werden aus Weizen, Butter, Salz und Sauerteig gebacken; ohne Malz und Hefe. Ein Ritterschlag aus dem Süden und keine Selbstverständlichkeit in der Brezel-Diaspora Berlin.
„Ich muss nur noch schnell ausliefern“, ruft mir Michael Köser bei der Ankunft in der „Køniglichen Backstube“ zu und verschwindet mit seinem orangefarbenen Lastenfahrrad und einer Kiste Brötchen. Ich bekomme eine kleine Kanne „Durchdrückkaffee“ und eine mürbe, marmeladengefüllte Himbeerschnitte auf Blümchengeschirr. „Bei uns gibt’s keinen Kaffee to go“, sagt Köser. Die Zeit für den Genuss müsse man sich gönnen. „Die Handwerker in ihrer Pause haben erst mal gegrummelt. Aber sie kommen immer wieder.“ Auch in Neukölln sind nur ein schmales Bord und drei Barhocker am Fenster sowie eine Bank vor der Tür zu finden, kein Café. Ich genieße die Süßigkeit und den Blick auf die „Kunstwand“. Künstlerin Tine Schumann lässt bis Jahresende auf ihrer Zeichnung „land flucht“ überlebensgroße Krähen über eine Getreideähre und an einem Windrad vorbeifliegen. Diese Kunstprojekte wechseln alle drei Monate und werden inzwischen sogar vom Bezirksamt unterstützt. „Ich brauche keinen Kühlschrank mit Getränken“, sagt Köser.
Zeit benötigen die Brote auch nach dem Backen. Sie sollten einen und bei Roggenbroten sogar bis zu drei Tage lagern. Erst dann entfalten sie ihren vollen Geschmack. Sie halten sich anschließend mindestens eine Woche, wenn sie frei gelagert werden. Aber wer kann sich schon zurückhalten, wenn Stücke von Walnuss- oder Rosinenbrötchen auf dem Tresen zum Probieren einladen? Besonders von den Rosinenbrötchen sind häufig die Kinder in der „Køniglichen Backstube“ angetan, beobachtete Köser. Viele Rosinen, Buttermilch, wenig Butter und Zucker stecken in ihnen. Das sind Qualitäten, die auch den Eltern schmecken. Dieses Rosinenbrötchen entwickelte Michael Köser, so wie alle seine Backwerke, selbst. „Berlin war mal eher sauer und stand für keinen Schnickschnack“, beobachtete er im Laufe seines langjährigen Berufslebens. Damit das geschmacklich nicht so bleibt und sich Qualitätsbrot mit eigener Handschrift weiterentwickelt, bringt er sein gesammeltes Wissen, seine Kreativität und Einflüsse aus dem hohen Norden ein.