„Wenn Politiker die Stimmen von Kindern bräuchten, würden auch die Inhalte andere werden", sagt Thomas Sutter, Intendant des Berliner ATZE Musiktheaters für Kinder. Er ist für ein Wahlrecht von Geburt an. Seine Erfahrung: „Kinder wollen ernsthaft an der Zukunft mitbauen."
Herr Sutter, Sie sind für das Kinderwahlrecht?
In unserem Stück „Die Ministerpräsidentin" von Tore Tungodden geht es darum, dass ein Kind zur Ministerpräsidentin gewählt wird. Wenn ein Kind vom Volk gewählt wird, stellt sich wiederum die Frage, was mit dem allgemeinen Wahlrecht ist? Dazu haben wir Podiumsdiskussionen geführt. Ich bin für das Wahlrecht für Kinder ab null Jahren. Die Kinder sollten selbstständig wählen dürfen. Wenn sie noch nicht lesen können, sollte ihnen jemand zur Seite stehen. Aber nicht die Eltern. Ein Stellvertreterwahlrecht etwa durch die Eltern entmündigt Kinder und nimmt sie nicht ernst.
Was sagt die Politik dazu?
Leider sind diese Ideen in der Politik noch nicht angekommen. Die Piraten haben als einzige das Wahlrecht ab Geburt gefordert. Die anderen Parteien schaffen es noch nicht einmal, sich bundesweit zu einigen, das kommunale Wahlrecht auf 16 Jahre zu senken.
Das klingt ja alles reichlich utopisch. Kinder und Politik – geht das überhaupt?
Ich war anfangs auch skeptisch. Ich habe lange im Theater und vorher als Erzieher mit Kindern gearbeitet und mich auch mit meinen eigenen Kindern auseinandergesetzt. Inzwischen würde ich behaupten, es würde dem Demokratisierungsprozess helfen, wenn Kinder wählen dürften. Die Politik würde sich verändern. Wenn Politiker die Stimmen von Kindern bräuchten, würden auch die Inhalte andere werden. Als vor etwa 100 Jahren das Frauenwahlrecht eingeführt wurde, wurde auch zunächst gesagt: Die haben doch keine eigene Meinung.
Frauen mussten das Wählen auch erst lernen?
Man hat ihnen zunächst das politische Bewusstsein abgesprochen. Lange noch haben Frauen das gewählt, was die Männer wollten. Aber letztendlich war es die richtige Entscheidung. Über das Wahlrecht für Frauen hat eine Demokratisierung der Gesellschaft stattgefunden. Frauen sind heute aus dem politischen Leben nicht mehr wegzudenken. Und diese Entwicklung würde mit Kindern auch passieren. Studien sagen übrigens: Wer mit 18 nicht wählen geht, tut das auch später nicht mehr. Wir sollten Kinder an der parlamentarischen Demokratie teilhaben lassen. Wir können nicht früh genug damit anfangen.
Haben Sie nicht mal überlegt, eine „Kinderwahlpartei" zu gründen?
Ich hatte tatsächlich schon mal überlegt, eine solche Partei zu gründen. Sie sollte „Stimme der Zukunft" heißen. Ich hatte versucht, Prominente als Unterstützer zu gewinnen. Doch auf Grund der personellen Unterbesetzung als unterfinanziertes Theater konnten wir das nicht stemmen. Es ist großartig, wie sehr Kinder Teil dieser Welt sein und wie ernsthaft sie an der Zukunft mitbauen wollen.
„Eine klare Meinung zu politischen Themen"
Sind Kinder die besseren Wähler?
Kinder wissen genauso viel oder wenig wie Erwachsene. Wer von uns Erwachsenen versteht die Globalisierung oder weiß etwas über Börsenspekulationen? Als Erwachsener darfst du wählen gehen, auch wenn du komplizierte politische Zusammenhänge wie zum Beispiel den Länderfinanzausgleich nicht verstehst. Du darfst sogar wählen gehen, wenn du dich gar nicht für Politik interessierst oder einer Nazipartei deine Stimme geben willst. Kinder haben zu sozialen und politischen Themen eine ganz klare Meinung und sie sind im Gegensatz zu Erwachsenen völlig unverstellt. Ein Gerechtigkeitsgefühl in seiner reinen Form ist noch vorhanden. In jedem Gespräch mit Kindern stelle ich fest, dass sie alle Themen auf ihre soziale Gerechtigkeit überprüfen.