Soll der schwere Schrank noch ein Stückchen weiter nach links oder gar doch ins oberste Stockwerk gestellt werden? Statt das Möbel hin- und herzuschleppen, führt uns das Smartphone der Zukunft beispielsweise Einrichtungsoptionen in ihrer realen Umgebung vor Augen.
Zehn Jahre, nachdem das erste Smartphone auf den Markt gekommen ist, erobert der mobile Computer, mit dem kaum noch telefoniert wird, immer größere Anteile unseres Alltags und stößt sogar in Verknüpfungen von Real- und Fantasiewelten vor. Sogenannte Heavy User schauen 100 bis 150 Mal pro Tag auf ihr mobiles Telefon, nutzen Sprachsteuerung und Touch Displays und sprechen manchmal sogar tatsächlich noch mit anderen Menschen – vorzugsweise allerdings via Skype.
Was bringen die nächsten zehn Jahre? Manches, was derzeit noch eher Technikfreaks und Spielefans begeistert, wird ganz selbstverständlich unsere Lebensgestaltung begleiten. Dafür sprechen die Erfahrungen mit der ersten Dekade der Smartphones. Das zeigt auch eine zur Internationalen Funkausstellung (IFA) in Berlin vorgestellte Trendstudie, die Digitalverband Bitkom und das Prüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte in Auftrag gegeben hatten. Manche schlau nutzbaren Zukunftsmerkmale sind in ersten Geräten bereits jetzt zu finden. Wenn auch teils unausgereift oder mit mangelndem Spaßfaktor, da noch nicht genügend Anwendungsmöglichkeiten beispielweise für erweiterte Wirklichkeit, also Augmented Reality (AR), und Virtual Reality (VR) zu haben sind.
Mehr als nur nette Spielereien
Immerhin: Fast täglich kommen für AR neue Apps auf den Markt. Die laufen auf Smartphones, die Ausstattung und Lizenzen für Zukunftsfeatures haben. So wird Kindern im Klassenzimmer via Smartphone, statt bei einer Reise, „live“ das Taj Mahal gezeigt. Mama kann mit entsprechender App virtuelle Kleidungstücke am Körper probieren, sieht, ob sie ihr stehen und passen, ohne sie in Stoffausführung vorher zu bestellen und gegebenenfalls teuer wieder zurückzuschicken. Auch das neue Fahrrad für Papa liefert eine App als digitalen Datensatz zur Begutachtung. Mit Kameras wird der umgebende Raum erfasst und auf dem Smartphone in das Fahrrad-Bild von der Website des Herstellers hineingerechnet. So lässt sich das vielleicht sehr teure Traumstück ins Wohnzimmer stellen, der Käufer kann sich „darauf setzen“ und von virtuellen Einkaufsregalen LED-Lichter, Lenker und weitere Attribute holen.
Mit dem ZenFone AR von ASUS geht das bereits jetzt. Die Google Technologien „Daydream“ für VR und „Tango“ für erweiterte Wirklichkeit (AR) gehören zum Lieferumfang des 5,7-Zoll-Smartphones. „Tango“ kombiniert Sensoren zur Bewegungs-, Raum- und Tiefenerkennung mit intelligenter Software. Das TriCam-System von Asus kombiniert auf der Rückseite eine 23-Megapixel-Kamera, eine Infrarot-Tiefenkamera und eine Bewegungsverfolgungskamera. So befähigt es Tango zu Anwendungen und Spielen mit erweiterter Realität. Das ZenFone AR kann mit Tango wie ein Mensch räumlich sehen, Tiefen erkennen, Bewegungen verfolgen und so virtuelle Objekte mit der realen Welt verschmelzen lassen. Es misst die Entfernungen zum Boden, zu den Wänden und sämtlichen Objekten und lässt damit einen dreidimensionalen Raum entstehen. Außer powervollem Innen- und Außenleben, wie leistungsstärker werdenden Akkus, Prozessoren und hochauflösenden Displays, brauchen wirklich smarte Phones aber noch mehr. Die nächste Mobilfunkgeneration 5G soll dafür sorgen, dass die vielen Daten beim Streaming von Fußballspielen und Co. sowie VR- und AR-Spielen in echten Umgebungen nicht auf der Strecke bleiben.
Smartphone als Allzweckwaffe
„Pokémon Go“ war für viele die erste Berührung mit Augmented Reality, erzählt Ralf Esser, Research Manager TMT bei Deloitte. Innerhalb von 19 Tagen gab es von der Spiele-App mehr als 75 Millionen Downloads weltweit. 21 Prozent der Deutschen hatten „Pokémon Go“ eine Woche nach Marktstart ausprobiert und suchten in der echten Welt nach den virtuellen Figuren.
Jetzt kommt, hervorgehend aus einer Fernsehserie, „The Walking Dead: Our World“. Mit einer Art Pappvorbau (knapp fünf Euro, Google Cardboard 20 Euro) beziehungsweise nur per App lässt sich auch hier in Welten eintauchen, in denen sich Fantasie und Wirklichkeit begegnen und scheinbar berühren.
Neue Smartphone-Gerätefeatures sollen Augmented-Reality-Dienste künftig sogar ganz ohne Brillen ermöglichen. Eine Voraussetzung dafür ist die Tiefenerkennung der von der Smartphone-Kamera aufgenommenen Umgebung.
Intelligente Mitnahme-Computer, die nur optisch noch an klassische Handys erinnern, sind mehr als eine Spielerei. Der deutsche Smartphone-Markt erzielt im laufenden Jahr mit 9,77 Milliarden Euro voraussichtlich einen höheren Umsatz als die gesamte klassische Unterhaltungselektronik. Mit einem Absatzrekord von fünf Millionen verkaufter Geräte (plus 8,2 Prozent) haben insbesondere Phablets, also Smartphones ab einer Display-Größe von 5,5-Zoll, einen großen Anteil an der Entwicklung.
Smartphone-generierte Umsätze machen der Bitkom/Deloitte-Analyse zufolge heute ein Fünftel der Erlöse des deutschen Maschinenbaus aus. Den Prognosen zufolge wird der Smartphone-Anteil am Bruttoinlandprodukt bis 2022 auf 1,7 Prozent steigen. „Die Nutzung vor allem in den jüngeren Alterssegmenten ist riesig“, berichtet Esser. Fast jeder Deutsche, der unter 50 Jahren ist, nutzt ein Smartphone.
Komfort-Funktionen, die nicht nur Jugendliche faszinieren, ziehen so schnell ein, dass mit jeder neuen Produktvorstellung die Zukunft in der Gegenwart Einzug hält und sich viele perspektivische Merkmale bereits jetzt in diversen Smartphone-Charakteristika finden.
Dazu gehört es, mit nur einem Fingerabdruck zu bestellen und zu bezahlen oder einen kostenpflichtigen Text freizuschalten, wenn die biometrischen Merkmale erkannt werden. Sprachsteuerung und digitale Sprachassistenten, die für uns Tische und Flüge buchen, Essen bestellen, den Fernseher bedienen, Musik einschalten oder die Markise einfahren, werden immer alltäglicher und als „Connectivity“-Funktionen im Smartphone der Zukunft selbstverständlich.
Aus dem Selfie-Boom hat sich das „Dual Recording“ als Zukunftstrend ergeben. Damit kann sich Mutter oder Vater, die ihr Kind beim Auspacken des Weihnachtsgeschenkes filmen, auch gleich selbst fotografieren und das Foto mit Film übers Smartphone direkt an die Großeltern schicken. Tele-, Macro-, Zoom- und Weitwinkel-Objektivaufsätze fürs Phone von Optik-Experten wie Zeiss (ExoLens Pro ab 180 Euro) und Leica, sowie Laser Keyboards fürs einfachere Tippen und Beamer, um Filme, Fotos und Präsentationen auf eine große Fläche zu projizieren, professionalisieren die mobilen Geräte. Leica-Aufsichtsratsvorsitzender Andreas Kaufmann träumte gegenüber dem amerikanischen Fernsehsender CNBC gar von einem Leica-Smartphone, das explizit für Fotografen entwickelt wird. Aktuelle Smartphones würden nicht wie Foto- oder Filmkameras gebaut, aber als solche verwendet.
In der Zusammenarbeit mit Huawei dürfte es Kaufmanns Äußerungen zufolge in der weiteren Entwicklung um die Frage gehen, ob zwei Kamerasysteme genug für ein Smartphone sind, womit unter Umständen die Entwicklung einer Triple-Kamera für die multimedialen Begleiter gemeint ist.
Da geht aber noch was: Displays zum Aufrollen am Smartphone etwa – warum nicht? Die Hosentaschen, gerade bei Damen-Kleidung, bieten in aller Regel nicht allzu viel Platz für den ständigen Begleiter, der sich gerne auch via Vibrationen mit seinen Neuigkeiten meldet.
Der visuelle Faktor, Bilder, Videos, Live-Streaming von gerade ablaufenden Wettkämpfen und anderen Veranstaltungen, machen das Smartphone für die Menschen als mobilen Kameraden noch viel attraktiver als einst das reine Sprach-Handy mit seinen getippten SMS-Nachrichten. Flexible Bildschirme sollen den Komfort beim Anschauen erhöhen, werden die Optik von Smartphones ein Stück weit verändern.
Multimedialer Begleiter
Das Smartphone der Zukunft entwickelt sich sogar selbst weiter: Künstliche Intelligenz (KI) und das sogenannte Machine Learning werden zum Standard. Das Smartphone registriert aufmerksam, was wir mit seiner Unterstützung tun und was unser Leben ausmacht, lernt von unserem Verhalten, ahmt uns nach und programmiert sich eigenständig weiter.
Unsere gesammelten Daten analysiert die KI in einem Offline-Chip im Gerät, erstellt daraus unser persönliches Profil und versorgt den Nutzer „fürsorglich“ mit Ratschlägen und angepassten Ergebnissen.