Philipp Bohr hat den Sprung über den Großen Teich gewagt: Mit seiner Geschäftsidee, alte Kühlschränke zu recyceln, hat der 38-jährige Saarländer in Brasilien ein Unternehmen aufgebaut. In unserer Reihe „Sprungbrett Saarland“ erklärt er, wie er das trotz widriger Umstände geschafft hat.
Im Grunde ist Philipp Bohr ein typischer Deutscher. Unaufgeregt, vernünftig und strukturiert. Dennoch springt die Begeisterung über, die er versprüht, wenn er über sein Unternehmen spricht. „Ich wollte versuchen, auf untypische Art und Weise unternehmerisch erfolgreich zu sein.“ Dazu gründete Bohr, der im Saarland groß geworden ist und danach Maschinenbau und Betriebswirtschaftslehre studierte, ein Recycling-Unternehmen in Brasilien: in einem Land, in dem vieles „anders abläuft, als wir das von zu Hause gewohnt sind“.
Zwölf Millionen für die erste Anlage
Eine Affinität zu Brasilien oder zur portugiesischen Sprache gab es bei ihm nicht, vielmehr die gut durchdachte Geschäftsidee, einem Schwellen- oder Entwicklungsland zu helfen, seinen CO2-Fußabdruck zu verringern. Zum Beispiel durch Recycling. „Ich habe nach Ländern mit großen Städten gesucht, wo wir alte Kühlschränke, die mit FCKW liefen, recyceln wollten. Asien war im Kommen, aber ich konnte mir nicht vorstellen, Jahre dort zu verbringen. Für Brasilien habe ich mich entschieden, weil die Millionenstädte São Paulo und Rio ein ausreichend großes Potenzial geboten haben.“
Also eine Vernunftentscheidung, dem Geschäftsplan folgend, für den Bohr in der Schweiz Geld der Stiftung Fair Recycling und dem Schweizer Departement für Entwicklungszusammenarbeit als Investoren geworben hat. Zwölf Millionen Euro hat die erste Kühlschrank-Verwertungs- und Recyclinganlage von São Paulo im Jahr 2010 gekostet, der Grundstein des heutigen Unternehmens Industria Fox, dessen CEO Bohr heute ist. Geld sollte das Unternehmen verdienen, indem es mit CO2-Zertifikaten handelt – 15 bis 20 Euro pro Tonne CO2 waren diese wert, und ein FCKW-freier Kühlschrank sparte zwei Tonnen CO2 ein. Ein gutes Geschäft, wenn man bedenkt, dass die Verwertungsanlage pro Jahr etwa 400.000 Kühlschränke recyceln konnte.
Doch der Anfang war schwer. Brasilien stellte die notwendigen Maschinen nicht her, sie mussten aus Deutschland importiert werden. „Wir hatten Probleme, überhaupt an die alten Kühlschränke heranzukommen – und mussten erst einmal die Logistik aufbauen, die uns das ermöglicht.“ Ein institutionalisiertes Abfall-Entsorgungssystem mit Mülltrennung und Kreislaufwirtschaft gab es damals in Brasilien nicht. „Die Müllabfuhr nimmt den Hausmüll mit und wirft ihn auf die Halde. Müllsammler durchsuchen die Reste nach verwertbaren Gegenständen und verkaufen sie.“ Dann die allgegenwärtige Korruption im Land – „etwas, was mir persönlich regelrecht zuwider ist“, sagt Bohr. „Sicher bildet man sich da schnell eine Meinung, wenn man das Thema Korruption von Deutschland aus betrachtet. Ja, es ist ein großes Thema, das uns auch am Anfang gebremst hat – ich fragte mich manchmal, wieso es nicht vorangeht, und das kann man auch der Korruption im Land zuschreiben.“ Weil er damit haderte, entwarf er einen strengen Ethikkodex, der die Unternehmenskultur von Industria Fox prägte – und ihm bis heute auch viele Türen verschlossen hat. Dennoch: Die meisten Brasilianer sind ehrliche Menschen, betont Bohr, „warme und freundliche Menschen. Im Umgang mit ihnen muss man damit rechnen, dass sie jemanden mehr berühren oder umarmen. Wir Deutschen sind da viel distanzierter.“ Auch in manch anderen Bereichen ist Brasilien fortschrittlicher, aber auch bürokratischer als Deutschland. Zum Beispiel beim umfangreichen Steuer-Reporting von Unternehmen an die Finanzbehörden. Das ist komplex, aber leicht handhabbar, weil alle Dokumente elektronisch übermittelt werden.
Wirtschaftliche Widerstände überwinden
Die kalte Schulter aber zeigte sich Industria Fox seitens der Weltwirtschaft: Dem Emissionsrechtehandel, der nach dem Kyoto-Protokoll der Vereinten Nationen Ende der 90er-Jahre eingerichtet wurde, hat auch Philipp Bohr ein großes Potenzial zugeschrieben. Aber die Preise für CO2-Zertifikate, damals 15 bis 20 Euro pro Tonne, die auf dem Weltmarkt gehandelt werden, brachen ein. Heute kosten sie weniger als die Hälfte. Hinzu kommt die anhaltende Wirtschaftskrise. Brasilien boomte durch die reichhaltigen Ölvorkommen, die vom staatlichen Konzern Petrobras erschlossen wurden. Seit 2014 erschüttert jedoch eine Korruptionsaffäre das Land, in die auch der Baukonzern der deutschstämmigen Familie Odebrecht verwickelt ist. Odebrecht soll geholfen haben, den halbstaatlichen Mineralölkonzern regelrecht auszuplündern. 2017 verhafteten die Behörden den Ex-Präsidenten der brasilianischen Abgeordnetenkammer als einen Drahtzieher, ebenso wie Konzernchef Marcelo Odebrecht. Doch das mafiöse Korruptionsnetzwerk ist weit verzweigt, brachte Staatspräsidentin Dilma Rousseff zu Fall und zieht den amtierenden Präsidenten Temer und viele weitere lateinamerikanische Spitzenpolitiker hinein in den Sumpf. 2015 fuhr Petrobras Rekordverluste von 8,8 Milliarden Euro ein. Keine gute Ausgangslage für die brasilianische Wirtschaft, die in den vergangenen beiden Jahren ein Negativwachstum zu verzeichnen hatte.
Und das bekam auch Philipp Bohr zu spüren. Industria Fox brauchte letztlich mehrere Standbeine, um diese Schieflage am Markt abzufedern. Passend zu den Energieeinsparprogrammen brasilianischer Energieversorger, zu denen auch der Austausch alter Kühl- und Elektrogeräte gehörte, verlegte sich das Unternehmen auf Energieeffizienz-Diagnostik. Es begann, Recycling-Maschinen herzustellen und brasilianischen Unternehmen dabei zu helfen, durch selbst entwickelte Software Geschäftsprozesse effizienter zu gestalten, stieg beim sogenannten Re-Manufacturing von Motoren ein, modernisierte also alte Antriebe, und baute seine Logistik-Abteilung aus.
Mit der Familie zurück nach Europa
Bohr ist ein Mensch mit Ideen und Sendungsbewusstsein, ein Pionier auf seinem Gebiet, in Brasilien. Sein unternehmerisches Handeln soll andere inspirieren, vor allem seine Mitarbeiter. Mittlerweile ist mit der Organisation Fox ein Konglomerat aus Einzelunternehmen entstanden, die sich allesamt der ökologischen und sozialen Verantwortung verschrieben haben – „social entrepreneurship“ heißt dies, und Bohr betont, dass er großen Wert darauf legt, seine jungen Angestellten zu entwickeln und zu emanzipieren. Mittlerweile aber hat sich sein Leben verändert. „Ich habe nie viel von Brasilien gesehen – dafür habe ich zu viel gearbeitet“, sagt er, trotzdem lachend. Bohr lebt keinen Traum in einem Traumland, sondern entwickelt zielstrebig eine Idee weiter, die schon in seinem Studium entstanden ist. Aber es ist sein Traumjob. Seine Miene erhellt sich, wenn er darüber spricht. Genauso erhellt sich sein Gesicht, wenn er über seine kleine Tochter Johanna spricht. 16 Monate ist sie alt, ihre Mutter, eine Schweizer Forscherin, lebt mittlerweile mit ihm in São Paulo, lehrt an der Universität. Die Tochter bringt ihn dazu, nicht nur beruflich, sondern auch privat in die Zukunft zu blicken. Und die liegt für Philipp Bohr nicht in Brasilien.
„Über kurz oder lang werden wir wieder nach Europa zurückkehren“, sagt Bohr bestimmt. „Spätestens, wenn Johanna in die Schule geht.“ Aber nicht ohne Industria Fox. Wenn es soweit ist, soll das Business dem Lebensplan folgen. Aktuell knüpft Bohr Kontakte nach Europa, um Industria Fox an den internationalen Markt zu bringen. Vor allem die Software-Lösungen sollen ihm dabei helfen, das brasilianische Unternehmen auch in der alten Heimat bekannt zu machen. Dort, wo alles ein bisschen unaufgeregter, vernünftiger und strukturierter abläuft.