Im Kampf um die Abschaffung der Rassentrennung in den USA wurde vor 60 Jahren dank des Einsatzes von Elitesoldaten an einer Highschool im Südstaat Arkansas ein wichtiger Etappensieg errungen.
Am frühen Abend des 24. September 1957 trafen 1.200 Elitesoldaten der legendären „Screaming Eagles“, die im Zweiten Weltkrieg die Landung der Alliierten in der Normandie perfekt vorbereitet hatten, in der Hauptstadt des US-Bundesstaates Arkansas ein. Für US-Präsident Dwight D. Eisenhower war die Entsendung der Männer der 101. Luftlandedivision keine leichte Entscheidung. Schließlich war es das erste Mal seit Ende des mehr als 90 Jahre zurückliegenden Bürgerkriegs, dass US-Militärs auf dem Gebiet der ehemaligen Südstaaten-Konföderation intervenierten. Und damit womöglich alte Wunden aufrissen. Aber Eisenhower hatte keine andere Wahl, weil seine persönliche Autorität und auch das Bundesrecht auf dem Spiel standen.
Der Armeeeinsatz sollte der Höhepunkt eines von der Rassentrennung ausgelösten Streits werden und US-Geschichte schreiben. Vordergründig ging es dabei um neun dunkelhäutige Teenager im Alter zwischen 15 und 17 Jahren, die Anfang September 1957 erstmals eine bis dahin allein weißen Schülern vorbehaltene Highschool besuchen wollten. Viel wichtiger aber war, dass Eisenhower, der sich bis dahin nicht gerade als Vorkämpfer der Rassenintegration einen Namen gemacht hatte, mit dem Einsatz der Fallschirmjäger ein Fanal gegen die sogenannte Segregation setzte. Letztere hatten die Südstaaten seit 1896 sogar mit Billigung durch den Supreme Court praktizieren dürfen. Das hatte in der Bildung zu strikt getrennten Schulen für schwarze und weiße Kinder und Jugendliche geführt. Am 17. Mai 1954 jedoch hatte das Oberste Bundesgericht diese Rassentrennung an öffentlichen Schulen als verfassungswidrig deklariert. Für die Mehrzahl der weißen Bevölkerung in den Südstaaten, wo die Lynchmorde des gefürchteten Ku-Klux-Klans kaum geahndet wurden, ein Schock.
Überraschenderweise hatte schon fünf Tage später die Schulbehörde von Little Rock ihre Bereitschaft zum Umsetzen des Urteils bekundet – sofern man ihr einen entsprechenden Zeitrahmen und die nötigen Tipps zur Einführung gemischter Schulen übermitteln sollte. Arkansas und seine Hauptstadt Little Rock, wo jeder Dritte der rund 110.000 Einwohner dunkelhäutig war, galten damals in Sachen Rassenintegration im Vergleich zu den anderen Südstaaten als vergleichsweise progressiv. Dennoch bildeten sich vielerorts weiße Bürgerkomitees, um den Widerstand gegen die Einführung gemischtrassiger Schulklassen zu koordinieren.
Lokalpolitikern wie den örtlichen Schulbehörden war allerdings klar, dass man schon etwas Entgegenkommen zeigen musste. Als Verzögerungstaktik wurden daher zunächst einmal Pläne für eine Rassenintegration ausgearbeitet, die jedoch – wenn überhaupt – erst im Laufe von mehreren Jahren umgesetzt werden sollten. Die Schulbehörde von Little Rock hatte 1955 beschlossen, mit der Integration auf Highschool-Level im Herbst 1957 zu beginnen. Man hatte sich darauf verständigt, zunächst nur an einer einzigen Schule, der Central Highschool, afroamerikanischen Schülern den Zugang zu erlauben.
71 Kandidaten ließen sich einschüchtern
Im Frühjahr 1957 hätten sich theoretisch 517 dunkelhäutige Schüler an der Central Highschool anmelden können. Doch vielen Eltern fehlte angesichts der zu erwartenden Anfeindungen der Mut. 85 Prozent der Weißen hatten sich in einer Umfrage gegen gemeinsame Schulen für Weiße und Schwarze ausgesprochen. Schließlich wagten es die Eltern von 80 Kindern, ihr Interesse für die Schule anzumelden. Doch nach einschüchternden Einzelgesprächen mit der Schulbehörde blieben noch ganze 17 übrig. Die Zahl wurde in den Wochen vor Schulbeginn durch unzählige Verbalattacken und anonyme Drohanrufe weiter reduziert. Übrig blieben nur noch neun afroamerikanische Schüler, sechs Mädchen und drei Jungen, die Anfang September 1957 den Unterricht an der Central Highschool aufnehmen wollten, wo sie angesichts von rund 2.000 weißen Mitschülern eine absolute Minderheit darstellten. Von schulischen Gemeinschaftsaktivitäten wie Sport, Chor oder Theater wurden sie von der Schulbehörde vorab ausgeschlossen.
In letzter Minute versuchte Ende August 1957 eine Initiative namens „Mother’s League of Central Highschool“ die Aufnahme der verbliebenen neun Schüler gerichtlich verbieten zu lassen, weil ansonsten die Gefahr von Gewaltausbrüchen zu befürchten sei. Die Initiative hatte zunächst Erfolg, doch nach drei Tagen wurde am 30. August 1957 die Entscheidung von einer höheren Instanz aufgehoben. Dabei kam erstmals der Bundes-Distriktrichter Ronald Davies ins Spiel, der in der gesamten Affäre als unbeugsamer Widerpart gegen die Rassisten eine entscheidende Rolle übernehmen sollte. Bei Davies Kampf gegen die schulische Rassentrennung in Little Rock sollte mit dem Gouverneur Orval Faubus ausgerechnet der mächtigste Mann des Bundesstaates Arkansas gegenüberstehen.
Faubus war zwar kein Rassist, wohl aber ein Machtmensch. Von daher hielt er es für ratsam, sich wegen seiner für 1958 angestrebten Wiederwahl zum Gouverneur an die Spitze der Verfechter der Rassentrennung zu stellen. Er wollte auch gleich ein unmissverständliches Zeichen setzen, indem er am 2. September 1957 die ihm unterstehende Nationalgarde nach Little Rock zur Bewachung der Central Highschool beorderte. Die Reservisten hatten nicht etwa die Aufgabe, einen ungestörten Schulbeginn zu gewährleisten, sondern den unliebsamen Teenagern den Zugang zum Schulgebäude zu verwehren. „Ich muss hier in aller Öffentlichkeit feststellen“, sagte Faubus einen Tag vor dem offiziellen Schulbeginn am 4. September 1957, „dass es meiner Ansicht, ja sogar meiner Überzeugung nach nicht möglich sein wird, die Ordnung wiederherzustellen oder aufrechtzuerhalten und das Leben und den Besitz der Bürger zu schützen, wenn morgen den Schulen dieser Gemeinde die Integration aufgezwungen wird.“ Der 4. September 1957 wurde denn auch zu einem wahren Spießrutenlaufen vor laufenden TV-Kameras für die neun dunkelhäutigen Schüler, die in Windeseile als „Little Rock Nine“ bundesweite Berühmtheit erlangten.
Spießrutenlauf für die Schüler
Neben den bewaffneten Mitgliedern der Nationalgarde, deren Zahl mal mit 100, mal mit 300 angegeben wurde, wurden sie auch von Hunderten von Rassisten empfangen. Sie wurden als „Nigger“ beschimpft und körperlich bedroht. Vor allem zwei Mädchen, Elisabeth Eckford und Melba Pattilo, waren stark betroffen, während die übrigen sieben Schüler dank mehrerer Pfarrer, die sie begleiteten, schneller entkommen konnten. Das Überschreiten der Schulschwelle war ausgeschlossen, auch an den folgenden Tagen wurden die neun Kinder von ihren Eltern nicht zum Unterricht geschickt.
Die Ereignisse vom 4. September 1957 wurden vom Bürgermeister der Stadt namens Woodrow Mann scharf verurteilt. Zudem wurden dabei die Entscheidung des Obersten Bundesgerichts von 1954 und die Autorität der höchsten föderalen Staatsgewalt in Washington infrage gestellt. Präsident Eisenhower versuchte das Problem durch persönliche Gespräche mit Gouverneur Faubus aus der Welt zu schaffen – letztlich vergeblich.
Am 20. September 1957 erteilte Richter Davies dem Gouverneur die Auflage zum sofortigen Abzug der Nationalgarde. Der dermaßen in die Enge getriebene Faubus musste klein beigeben. Am 23. September 1957 wagten die neun Schüler wieder einen Anlauf zum Unterricht. Nachdem sie über einen Hintereingang das Schulgebäude betreten hatten, wurde ihre Anwesenheit nach draußen zu den etwa 1.000 rassistischen Demonstranten gemeldet. Daraufhin brach ein solcher Tumult aus, dass die afroamerikanischen Schüler von der örtlichen Polizei nach Hause geleitet werden mussten. Bürgermeister Woodrow Mann bat daraufhin Präsident Eisenhower am folgenden Morgen in einem Telegramm um die Entsendung von Bundestruppen.
Am 25. September 1957 konnten die neun Schüler unter dem Schutz der Militärs erstmals unbehelligt zur Highschool gelangen, wobei jeder Teenager einen Soldaten als persönlichen Leibwächter hatte. Nachdem die Elitesoldaten Ende Oktober 1957 allerdings wieder abgezogen waren, waren die dunkelhäutigen Schüler vielfältigen Peinigungen durch weiße Jugendliche ausgesetzt. Ein Mädchen namens Minnijean Brown, das sich gegen Misshandlungen zur Wehr setzte, wurde von der Schule verwiesen. Alle anderen hielten durch. Mit Ernest Green schaffte 1958 der erste schwarze Schüler einen Abschluss an der Central Highschool. Zur Abschlussfeier hatte seine Familie einen gewissen Martin Luther King als Ehrengast eingeladen.
Im Schuljahr 1958 allerdings blieben in Little Rock sämtliche High Schools geschlossen, weil die Behörden lieber ganz auf den Unterricht verzichten wollten, als die Rassentrennung aufzuheben. Als sich ein Jahr später die Schultore endlich wieder öffneten, hatten viele weiße Familien ihre Zöglinge bereits in teuren, rein weißen Privatschulen angemeldet.