Echte Aufmerksamkeit und Ermutigung bringen Kinder wirklich weiter
Das Elternsein hat seine Tücken. Und ich rede jetzt nicht davon, dass das Wohnzimmer täglich aussieht, als hätte Nordkorea dort seinen neuesten Raketenstart versemmelt. Vor allem der Kontakt zu anderen Eltern ist mitunter befremdlich.
Ganz klar: Es gibt unterschiedliche Erziehungsansätze. Die eine darf Süßigkeiten essen, der andere nicht. Dafür darf ein drittes Kind fernsehen, während die Familie des vierten dem TV so kritisch gegenübersteht, als wären sie leibliche Nachfahren Adornos. Alles gut.
Nur beim Thema Lob sind sich die Elternscharen einig. Lob ist gut. „Muss" man quasi machen. Alles andere wäre lieblos. Diese Überzeugung teilen meine Frau und ich nicht. Wie alle kontroversen Meinungen wird auch diese nur zum Problem, wenn man sie äußert. In einem Anflug geistiger Umnachtung ist mir doch tatsächlich einmal in Anwesenheit anderer Eltern rausgerutscht, dass wir unseren Sohn nicht loben. Ich hätte genauso gut sagen können, dass ich seit 13 Jahren ein illegales Methamphetamin-Labor in unserem Keller betreibe. Wie kann man nur?
Nun, meine Frage lautet: Warum sollte ich mein Kind loben? Aber hat da wirklich mal jemand ernsthaft drüber nachgedacht? Man lobt, weil es was Gutes ist. Weil man es immer schon so gemacht hat. Und – sicherlich das Hauptargument – um Kinder zu motivieren und sie zu selbstbewussten Menschen zu machen.
Okay, das ist legitim. Aber machen wir doch mal was total Verrücktes. Wir hören nicht auf unser Bauchgefühl, sondern schauen auf die Forschung. Schnell wird eine Sache deutlich: Lob ist nicht nur nicht erforderlich, um Kinder Selbstbestimmtheit zu lehren und sie zu motivieren, es hat sogar negative Auswirkungen. Der berühmte Schuss, der nach hinten losgeht. Interessiert nur leider keinen. Man ist zu beschäftigt, dem kleinen Leon 25 Mal „Gut gemacht!" zu sagen, wenn er ein Türmchen baut.
Zur Selbstbestimmtheit: Indem wir Kinder loben, manipulieren wir sie. Würde nur keiner zugeben. Ordentlich gegessen, ohne zu kleckern? Die Eltern kommen aus dem Lobpreisen gar nicht mehr raus. Sie möchten verdeutlichen: So ist’s richtig. Alles andere ist bäh! Das ist Manipulation. Nicht mehr, nicht weniger. Schon in den 70er-Jahren zeigten Studien von Mary Budd Rowe in den USA, dass Schüler, die mit Lob überhäuft wurden, zögernder antworteten und schneller von eigenen Ideen abwichen, sobald ein Lehrer Einwände erhob. Das klingt nicht nach Selbstvertrauen. Im Gegenteil.
Auch Felix Warneken und Michael Tomasello vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie fanden Erstaunliches: 20 Monate alte Kinder sollten jemandem helfen, dem etwas heruntergefallen war. Die Kinder, die dafür eine Belohnung bekamen (und Lob ist eine Belohnung – und was für eine, für ein kleines Kind), halfen seltener in nachgehenden Versuchen als Kinder, denen einfach gedankt wurde oder zu denen gar nichts gesagt wurde.
Lob vermiest uns den Spaß an Dingen, weil wir sie nicht mehr aus eigenem Antrieb machen, sondern nur noch für die Belohnung. Wenn ein Kind fünf Euro bekommt, wenn es den Rasen mäht, liebt es dann Rasenmähen? Mäht es dann nächste Woche den Rasen, um Mami einen Gefallen zu tun? Aus eigenem Antrieb? Natürlich nicht. Es wurde dressiert. Das kann man machen. Nur sollte man dann eben auch dazu stehen. Die meisten Eltern fallen aus allen Wolken und denken, nicht zu loben sei lieblos. Wenn man sein Kind jedoch ermutigt, herauszufinden, was es wirklich mag und ihm stets aufmerksam zur Seite steht, ist das weit motivierender und liebevoller, als es mit Lob zu erpressen. Ist das anstrengender? Ja! Ist das lieblos? Ganz im Gegenteil.
Wie lautet also die Alternative? Statt gebetsmühlenartig „gut gemacht" zu rufen, wenn das Kind rutscht, sagt man zum Beispiel: „Ich sehe, du bist alleine hochgeklettert und runtergerutscht." Das zeigt, man ist aufmerksam. Und führt dazu, dass das Kind nur dann noch einmal rutscht, wenn es Lust hat und nicht, weil es sich wie ein Junkie nach dem nächsten „Toll!" verzehrt. Ach ja: Ein Lob lässt sich aussprechen, während man am Smartphone daddelt. Echte Aufmerksamkeit ist schlechter zu heucheln.