Auch wenn er in der Hof-Etikette der britischen Royals nicht mehr zu finden ist, haben einige Designer dem viktorianischen Kragen für die winterlichen Monate wieder zu neuer modischer Wertschätzung verholfen.
Immer wenn es Winter wird … dann tauchen in den letzten Jahren regelmäßig modische Anleihen aus dem für das britische Empire so überaus glorreichen Viktorianischen Zeitalter, mit dem Aufstieg Englands zur führenden Welt- und Wirtschaftsmacht, in den Kollektionen renommierter Designer auf. 2015/2016 waren Labels wie Alexander McQueen, Givenchy, Alberta Ferretti Rodarte oder Erdem involviert und zeigten Teile aus schwarzer Spitze und hochgeschlossenen Kragen, spielerisch zwischen Märchenroben und Gothic-Style angesiedelt. 2016/2017 setzten Modemacher wie Kenzo, Chloé oder Véronique Branquinho auf Fashion im Stile des späten 19. Jahrhunderts mit verspielten Kragen, Ärmeln und Schultern, wobei dekorativen Elementen wie Spitze, Jabots, Rüschen und Bändchen eine zentrale Rolle zukam. Auch diesen Winter haben sich wieder einige Markenchefs vom Kleidungsstil während der langen Regentschaft von Queen Victoria zwischen 1837 und 1901 inspirieren lassen.
Sie haben ihr Hauptaugenmerk beim Gestalten von Blusen oder Kleidern auf die damals zeittypische Kragenform, den viktorianischen Kragen, der seine absolute Hochzeit in den 1880er-Jahren erlebt hatte, gerichtet. Der wird häufig als die ältere Schwester des Rollkragens bezeichnet, obwohl er angesichts des Zeitabstands trefflicher als dessen Großtante deklariert werden sollte. Alexa Chung hatte schon immer eine große Vorliebe für diesen stylischen Hingucker, der die Neckline betont. Genauso die Pariser Stilikone und Star-Influencerin Caroline de Maigret. Das hatte das People-Magazin „Die Bunte“ schon vor einem Jahr zum Anlass genommen, viktorianische Blusen zum „Mega-Trend“ und zum „Fashion-Must-have der Saison“ auszurufen. Wohl etwas verfrüht, obwohl kurz zuvor auch schon stylebook.de lauthals eine neue „Kragen-Kür“ angekündigt und einen relativ unmotivierten Abgesang auf den Turtleneck angestimmt hatte: „Rollkragenpullover waren gestern! Der Trend der neuen Saison sind Kragen im viktorianischen Stil.“
Hochgeschlossen, aber aufregend
Als Dpa vor einigen Monaten mit Blick auf die Pariser Fashion Week für den Winter 2017/2018 hiesigen Zeitungsredaktionen einen vorformulierten Textbeitrag samt Bildbelegen unter dem Titel „In der Mode lebt das viktorianische Zeitalter wieder auf“ zukommen ließ, wurde in den folgenden Publikationen dieser Fashion-Style kommentarlos gefeiert. Der wird häufig völlig zu Unrecht wegen den komplexen, detailverliebten Kleidern mit ihren Bändern, Schleifen, Rüschen, Spitzen oder langen Schleppen auch als romantisch dargestellt und verklärt. Dabei wird meist vergessen, dass viktorianische Damenmode über Korsett und Krinoline zwar hübsch anzusehen war, aber dabei ungemein schwer und unpraktisch war.
Aber immerhin hatte die körperlich einschränkende Opulenz zur Folge, dass während des Viktorianischen Zeitalters der zentrale Fokus in der Mode erstmals von der Männer- auf die Damenbekleidung übergewechselt war. Ein erster kleiner feministischer Erfolg, auch wenn auf gesellschaftlicher Ebene die Rechte der Frauen im 19. Jahrhundert noch sehr beschränkt waren. Die ursprüngliche Absicht, mit dem hochgeschlossenen Kragen das Dekolleté komplett zu verbergen, spielt heute bei den Designer-Überlegungen natürlich keine Rolle mehr. Eher schon, dass gerade durch das offensichtliche Verhüllen bestimmter Körperregionen der Blick des Betrachters automatisch auf diese Stellen ausgerichtet wird. Beim viktorianischen Kragen wird die Schönheit des häufig vernachlässigten Nackens in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Der Kragen verläuft vom Nackenansatz gerade nach oben, maximal bis zur Kinnlinie, zuweilen ist er aber auch nur zwei Zentimeter hoch. Er soll möglichst dicht anliegen, den Hals quasi fest umarmen. Keinesfalls darf er sich in Rollen legen oder zu viel Spielraum um den Nacken freigeben. Er kann glatt – meist mit Stickereien oder Spitze – gestaltet sein oder etwas voluminöser daherkommen dank Volants oder Plissee.
Früher wurde Popeline als bevorzugtes Material benutzt – was diesen Winter auch wieder bei Blusen von Lemaire oder Frame Verwendung gefunden hat. Aber auch andere Gewebe wie Jersey, Seide oder Mesh sind dafür bestens geeignet. Freie Wahl ist auch bei der Optik geboten, von barock-opulent über minimalistisch bis hin zu sportiv. Farblich kann es von reinem Weiß wie aktuell bei Kenzo, John Galliano oder Lemaire bis zu bunten Mischungen wie bei Valentino oder auch zu Nadelstreifen-Muster wie bei Frame gehen. Tolle Blusen und Kleider mit auffälligem Victoria-Kragen haben aber auch No. 21, Temperley London oder Elie Saab in ihrer Winterkollektion 2017/2018.
Für Einsteiger sind entsprechende Blusen zu empfehlen, weil bei diesen die Kragen einen deutlich weniger dramatischen Look erzeugen als dies bei vielen Kleidern der Fall ist. Nicht allen Ladys steht dieser Kragen: Wer einen mollig-rundlichen oder extrem dünnen Hals hat, sollte möglichst auf diese Kragenform verzichten. Das gleiche gilt für Frauen mit Doppelkinn oder für Ladys mit kräftigen Schultern oder Armen. Der viktorianische Kragen betont speziell all diese individuellen Problemzonen zusätzlich. Ein idealer Partner ist der Kragen für Damen mit langem Hals und feiner Nackenpartie. Wenn der Hals etwas kürzer ist, sollte der Kragen nicht zu hoch geschnitten sein. Kleinere Personen sollten auf Kragen mit aufbauschendem Volumen unbedingt verzichten. Wichtig ist auch die Kombi oder der Mix mit modernen Kleidungselementen, um tunlichst Assoziationen mit der scharfzüngigen gräflichen Witwe Lady Violet alias Maggie Smith aus der TV-Kultserie „Downtown Abbey“ zu vermeiden.
Also ruhig mal einen kräftigen Style-Clash wagen durch Reinschlüpfen in Army-Jacke, Bomberjacke, Schlaghosen oder Jeans. Auch Loafer als maskulines Kontrastprogramm zu dem femininen Kragen kommen immer gut an – und können ein etwaiges Girlie-Feeling sogleich davonfegen. Interessant auch, zumal wenn die Blusen aus hauchdünnem Material gearbeitet sind, das Kragenteil layering-mäßig unter Sweatern, Pullovern oder Tops hervorblitzen zu lassen. Zusätzlichen Halsschmuck sollten nur ganz stilsichere Damen um den Kragen arrangieren. Ohrringe können allerdings nicht schaden, zumal wenn die Haare wie zu Zeiten Victorias dekorativ hochgesteckt getragen werden. Aber auch ein glatter Pferdeschwanz, ein konventioneller Dutt, Zopffrisuren oder Kurzhaarschnitte passen perfekt zu einem viktorianischen Kragen.